Moglichkeit gab uberzusetzen. Die Luft, die ihr beim Eintreten entgegenschlug, war zum Schneiden. Ein Feuer aus feuchten Pappelzweigen in der Zimmermitte verbreitete mehr Rauch als Warme. Um einen Tisch aus Schwemmholz sa? eine kleine Gruppe Reisender; die Manner loffelten Hirsesuppe und angelten sich von einem Teller in der Tischmitte grune Saubohnen und Ruben, die sie mit etwas Salz wurzten. Der Wirt hockte auf der andern Seite des Raums neben dem Herd, enthautete noch lebende Frosche und warf sie in einen Korb, wo sie sich unter Zuckungen wanden. Ein abgemagertes, in Lumpen gehulltes Madchen holte sie einen nach dem anderen heraus, kopfte sie und nahm sie aus, um sie hernach in einem Topf mit siedendem Schweineschmalz zu braten. Livia lie? sich etwas abseits nieder, und als der Wirt zu ihr kam, fragte sie nur, ob er Brot da habe.

»Roggenbrot«, lautete die Antwort.

Livia nickte. »Gut, Roggenbrot fur mich und einen Unterstand und etwas Heu fur mein Pferd.«

»Wir haben nur Stroh. Und das Pferd kann mit dir im Stall ubernachten.«

»In Ordnung. Werft ihm schon mal die Decke uber, die an den Sattel gebunden ist.«

Der Wirt befahl dem Madchen, Brot zu bringen, wahrend er selbst brummend das Pferd versorgen ging. Na ja, immerhin mu?te dieser junge Bursche Geld haben, sonst hatte er keine Lederstiefel und erst recht kein Pferd besessen. Kaum vor die Tur getreten, fiel er allerdings aus allen Wolken: Da legte doch tatsachlich eine Gruppe Reiter mit der Seilfahre am Ufer an! Unter wilden Fluchen gingen die Manner nacheinander an Land, in einer Hand die Zugel ihres Pferdes, in der anderen eine Laterne. Kurz darauf ubergaben sie ihm die Tiere und verlangten barsch nach Essen. »Fleisch!« brullten sie, noch bevor er den Mund aufmachen konnte, und flegelten sich an einen Tisch. Der Wirt rief nach seinem Knecht. »Schlachte den Hund«, befahl er ihm leise, »und koch ihnen den, etwas anderes haben wir nicht. Bestimmt merken sie es gar nicht, viehisch wie sie sind. Wenn wir denen nicht geben, was sie verlangen, schlagen sie uns alles kurz und klein.«

Livia beobachtete die Manner aus den Augenwinkeln: Es waren Barbaren, Soldner, die vermutlich im kaiserlichen Heer dienten. Livia fuhlte sich sehr unwohl, am liebsten ware sie sofort gegangen, und wenn sie es nicht tat, so nur, um keinen Verdacht zu erregen. Muhsam wurgte sie ihr hartes Brot hinunter und trank ein paar Schluck Wein, der allerdings eher nach Essig schmeckte. Als sie sich schlie?lich erheben wollte, merkte sie, da? sich einer von den Barbaren vor ihrem Tisch aufgebaut hatte und sie eindringlich musterte. Ihre Hand wanderte instinktiv zu dem Dolch unter ihrem Wams, wahrend sie sich mit der anderen noch etwas Wein einschenkte, um ihre Aufregung zu verbergen. Langsam leerte sie den Becher, dann holte sie tief Luft und stand auf. Glucklicherweise entfernte sich der Barbar ohne ein Wort und ging in die Kuche, um noch mehr Wein zu verlangen. Livia bezahlte ihr Abendessen und verlie? die Wirtsstube, um sich im Stall neben ihrem Pferd einen Schlafplatz zu suchen. Sie merkte nicht, wie sich der Barbar erneut nach ihr umdrehte und dann einen vielsagenden Blick mit seinem Anfuhrer wechselte, wie um zu sagen: »Das ist sie, was?«, worauf dieser nickte und gleich darauf den Wirt anbrullte: »He, bringst du uns jetzt endlich den Wein und das Fleisch, oder mu? ich dich erst auspeitschen lassen?«

»Noch etwas Geduld, mein Herr«, entgegnete der Wirt untertanig. »Wir haben eigens fur euch ein Zicklein geschlachtet, la? uns etwas Zeit, es zuzubereiten.«

Es dauerte noch eine ganze Stunde, bis der Hund gekocht war und, in kleine Stucke zerlegt, mit Marienblatt als Beilage auf den Tisch kam. Die Barbaren warfen die Krauter weg und machten sich uber das Fleisch her, das sie unter dem zufriedenen Blick des Wirts bis auf die Knochen abnagten. Es gab nur einen kritischen Moment, als namlich der Anfuhrer nach dem Kopf verlangte: »Die Augen sind das Beste. Also, her mit dem Kopf!« Der Wirt erschrak, fing sich aber sofort: »Der Kopf, mein Herr? Oh, wie mir das leid tut -den Kopf und die Innereien haben wir ... dem Hund gegeben.«

Livia, aufgewuhlt vom seltsamen Verhalten des Barbaren, lag lange wach und lauschte auf den Larm in der Wirtsstube, jeden Moment bereit, auf ihr Pferd zu springen und zu fliehen. Aber es geschah nichts, und irgendwann horte sie, da? die Manner die Schenke verlie?en und in Richtung Suden weiterzogen. Sie atmete erleichtert auf und machte es sich zum Schlafen bequem, aber der Aufruhr in ihrem Inneren lie? sie nicht zur Ruhe kommen. Sie sehnte sich nach Aurelius, seiner Stimme, seiner Gegenwart, und machte sich gro?e Sorgen um Romulus - wie ging es ihm, wo war er, was dachte er wohl in diesem Augenblick? Sie vermi?te den alten Ambrosinus, der auf alles eine Antwort wu?te, seine stoische Gelassenheit, seine eifersuchtige Liebe zu dem Jungen und seinen blinden Glauben an dessen Zukunft, allem zum Trotz. Und die anderen Gefahrten fehlten ihr nicht minder: Vatrenus, Batiatus, Orosius und Demetrios, unzertrennlich wie die Dioskuren, ihr Mut, ihre Opferbereitschaft, ihre unglaubliche Seelenstarke. Wie hatte sie sie blo? verlassen konnen, blo? um ein bi?chen Geld aufzutreiben?

Selbst die Erinnerung an ihre Stadt verbla?te in diesem Moment. Livia fuhlte nur, da? ihr alles fehlte, was sie zum Leben brauchte, und sie konnte an nichts anderes denken als daran, wie sie die Gefahrten wiederfand. Diese furchterliche Welt, die elende Niedertracht, die sie allenthalben umgab, das qualende Gefuhl der Einsamkeit, das sie plotzlich so heftig empfand, und die Gewi?heit, da? es au?erst schwierig werden wurde, die Freunde wiederzufinden, zwangen sie zu einer raschen Entscheidung. Sie hatte noch, ein, zwei Tage abwarten konnen, um zu sehen, ob sie nachkamen, wenn sie aber nicht kamen, wurde der Abstand zu ihnen zu gro? werden und Livia auf dem Weg zum Pa? so weit zuruckfallen, da? sie womoglich endgultig den Anschlu? verlor. Das einzig Kluge war im Grunde das, was bereits Ambrosinus vorgeschlagen hatte: ihnen zum Gebirgspa? vorauszureiten und dort auf sie zu warten. Alles weitere lag in Gottes Hand.

Mit dem ersten Lichtschimmer des anbrechenden Tages stand sie auf, sattelte ihr Pferd und machte sich in aller Stille auf den Weg nach Norden, den auch die Gefahrten nehmen mu?ten, egal, ob sie nun vor oder noch hinter ihr waren. Da sie allein ritt, kam sie rasch vorwarts, und wenn nichts Unvorhergesehenes passierte, wurde sie den Alpenpa? bestimmt noch vor Aurelius und seinen Gefahrten erreichen. Einen Moment lang kam ihr der Gedanke, die schlechten Bodenverhaltnisse oder irgendein Zwischenfall konnte die anderen womoglich gezwungen haben, ihre Route zu andern - ein Gedanke, bei dem sie ganz mutlos wurde - , aber sie verscheuchte ihn sofort wieder. Gewi?, die Moglichkeit, sich zu verpassen und niemals wieder zu begegnen, bestand, andererseits wu?te Livia, da? Ambrosinus seine Entscheidungen nur nach reiflicher Uberlegung traf und fur gewohnlich daran festhielt, koste es, was es wolle.

Stephanus war noch am selben Abend davon unterrichtet worden, da? eine Frau, auf welche die Beschreibung Livias zutraf, in der Schenke an der Fahre uber die Trebia gesehen worden war. Er hatte sich daraufhin mit einer Eskorte aufgemacht, um ihr in einiger Entfernung unbemerkt zu folgen. Fruher oder spater wurde er sie auf dem Weg nach Raetien einholen und dazu bringen, mit ihm zuruckzukehren, dessen war er sich sicher, und auf demselben Wege wurde er auch in den Besitz des Schwertes gelangen, das einer von ihren Gefahrten bei sich haben mu?te. Stephanus hatte den Gesandten Kaiser Zenons von der Wunderwaffe erzahlt, und es stand au?er Zweifel, da? der »Casar des Ostens« ihm jede Summe und jedes nur erdenkliche Privileg anbieten wurde, um an das wertvolle Objekt zu kommen, das eine Art Symbol oder Reliquie der ursprunglichen Gro?e des Romischen Reiches darstellte.

Stephanus war aufgebrochen, sobald sich das Unwetter etwas beruhigt hatte und die uberschussigen Wassermassen der Flusse ins Meer abgeflossen waren. Es war ihm sogar gelungen, Odoaker unter einem fadenscheinigen Vorwand einen kleinen Soldnertrupp abzuringen. Doch hinter ihm war auch Wulfila aufgebrochen, sicher, da? nur Stephanus ihn auf die Spur seiner Beute bringen konnte. Zwar hatte der Barbar bereits Spaher in alle Richtungen ausgesandt, aber eine kleine Reisegesellschaft mit einem schwarzen Riesen, einem alten Mann und einem Jungen hatte niemand gesehen. Als Wulfila jedoch erfuhr, da? Stephanus Vorbereitungen fur einen ubersturzten Aufbruch traf und da? er sich unter dem Vorwand einer diplomatischen Mission in die Alpenregion von Odoaker einen bewaffneten Begleitschutz hatte geben lassen, ahnte er sofort den wahren Grund.

Er trommelte seine Manner zusammen, rund sechzig Krieger, die vor nichts zuruckschreckten, und heftete sich an Stephanus Fersen, fest davon uberzeugt, da? sie beide dasselbe Ziel hatten. Sollte sich spater herausstellen, da? dem doch nicht so war und er alles auf die falsche Karte gesetzt hatte, so gab es fur ihn kein Zuruck. Dann mu?te er fur immer untertauchen, sich in den endlosen Weiten des Kontinents verlieren, denn ein zweites Versagen innerhalb so kurzer Zeit wurde Odoaker ihm niemals verzeihen. Aber Wulfila wu?te, da? er sich nicht tauschte. Er wurde die Fliehenden einholen und ihrer Flucht ein jahes Ende bereiten. Er wurde mit dem beruhmten Wunderschwert den Jungen kopfen und das Gesicht dieses Romers entstellen, wie dieser das seine entstellt hatte; und dann wurde er endlich auch dessen wahre Identitat herausfinden, bevor er ihn endgultig uber die Klinge springen lie?.

Livia setzte unterdessen die Suche nach Aurelius und den anderen fort, und nichts lag ihr ferner als die Vorstellung, unfreiwillig Fuhrerin jener grausamen Manner zu sein, die ihre Freunde neuerlich in todliche Gefahr

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