verschwand.

Stephanus lehnte sich in seinen Sessel zuruck, um sich ein wenig Schlaf zu gonnen. In dem gro?en Saal war jetzt nur das Rauschen des Regens zu horen und das Pfeifen des Windes, der vom Meer kommend riesige Wellen auf den verlassenen Strand zutrieb, wo sie sich donnernd brachen.

XXIV

Livia erwachte im Morgengrauen und fand ihre Kleider, sauber und trocken, auf einem Teppich ausgebreitet vor. Sie mu?ten die ganze Nacht vor einem Feuer gehangen haben, denn sie fuhlten sich beim Anziehen noch ganz warm an. Nachdem sie die beiden Dolche in den Gurtel unter ihrem Wams gesteckt hatte und in ihre Stiefel geschlupft war, ging sie ins Erdgescho? hinunter. Stephanus sa? noch immer vor dem Feuer, oder besser: Er hing in seinem bequemen Armsessel, einem antiken Mobelstuck aus der Antoninischen Kaiserzeit, das zur wertvollen Ausstattung der Villa gehorte. Livias leichter Schritt auf der Treppe weckte ihn, und er drehte sich um und blickte sie aus verquollenen Augen an.

»Du warst nicht im Bett, stimmt's?« sagte die junge Frau.

»Nein, ich habe nur ein bi?chen vor dem Feuer gedost. Bei dem Unwetter hatte ich sowieso nicht schlafen konnen. Horst du? Es regnet noch immer in Stromen.«

»Leider«, erwiderte Livia besorgt. Eine Magd brachte ihr eine gro?e Tasse hei?e Milch mit Honig.

»Bei dem Regen kannst du unmoglich aufbrechen«, sagte Stephanus. »Sieh nur selbst. Es ist, als hatte der Himmel die Schleusen geoffnet. Wenn du meinen Rat befolgt und deine Gefahrten mitgebracht hattest, wart ihr jetzt alle im Trockenen - und in Sicherheit.«

»Du wei?t, da? das nicht wahr ist«, entgegnete Livia. »In der Gruppe waren wir sofort aufgefallen. Au?erdem ist dein Haus voller Spitzel, da bin ich mir sicher. In Kurze wei? Odoaker, da? ich hier war, und Wulfila wird es auch erfahren.« »Ich glaube nicht, da? deine Leute hier mehr in Gefahr gewesen waren als dort, wo sie sich jetzt befinden. Und nicht einmal der eifrigste Spitzel wird bei diesem Sauwetter Lust haben, das Haus zu verlassen, um irgend jemandem zu berichten, wen ich hier empfange. Uberleg es dir gut, Livia: Wenn du hierbleibst, konnte ich viel fur dich tun. Beispielsweise konnte ich bewirken, da? die Unabhangigkeit deiner kleinen Lagunenstadt anerkannt wird - in Ost wie in West. War das nicht immer dein Traum?«

»Ein Traum, den wir mit Waffen verteidigt und mit dem Glauben an die Zukunft aufrechterhalten haben«, erwiderte Livia.

»Ich sehe schon«, seufzte Stephanus, »du bist nicht von diesem absurden Abenteuer abzubringen, und dafur kann es eigentlich nur eine Erklarung geben, so weh sie mir tut: Du hast dich in diesen Soldaten verliebt.«

»Ich wurde lieber uber das Geld sprechen, das du mir versprochen hast, Stephanus. Wann trifft es ein?«

»Das kannst du dir selbst ausrechnen. Bei dem Regen ist bestimmt der Flu? uber die Ufer getreten und hat zwischen hier und Ravenna alles uberschwemmt. Mein Mann durfte nicht vor morgen fruh, bestenfalls heute nacht zuruck sein.«

»So lange kann ich nicht warten«, erwiderte Livia trocken.

»Sei doch vernunftig: Es hat keinen Sinn, da? du unter diesen Umstanden aufbrichst. Deine Leute warten doch sicher auf dich, oder?«

Livia schuttelte den Kopf. »Nein, nicht langer als abgemacht. Sie konnen es sich nicht erlauben; du kannst dir denken, warum.«

Stephanus nickte. »Dann bleib hier, ich bitte dich, sie werden das schon verstehen. Du hast schon soviel fur sie getan, du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt, und dieser Soldat ... er kann dir nichts bieten, Livia. Ich dagegen ware bereit, alles mit dir zu teilen: Traume, Macht, Reichtum. Uberleg es dir, solange du noch Zeit dazu hast.«

»Ich habe es mir bereits uberlegt«, antwortete Livia. »Heute nacht, als ich in diesem warmen, duftenden Bett lag, mu?te ich an sie denken, wie sie irgendwo im Freien ubernachten, in der Eiseskalte, bestenfalls von ein paar Zweigen geschutzt, und da habe ich mich ganz elend gefuhlt. Nein, mein Platz ist bei ihnen, Stephanus. Wenn das Geld nicht heute morgen eintrifft, breche ich ohne es auf. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich mu? mein Pferd fertigmachen.«

Sie verlie? das Haus uber den Korridor, durch den sie es am Vortag betreten hatte, und rannte im stromenden Regen zu den Stallungen hinuber. Ihr Pferd wartete ruhig und geduldig; es hatte reichlich Futter bekommen, war frisch gestriegelt und bestens auf einen anstrengenden Tag vorbereitet. Livia streifte ihm das Zaumzeug uber, schob ihm die Kandare zwischen die Zahne und legte ihm den Sattel auf, an dem sie danach noch ihre Decke befestigte. Wenig spater gesellte sich Stephanus in Begleitung zweier Diener zu ihr, die ein Wachstuch uber ihn hielten, damit er nicht na? wurde.

»Was kann ich fur dich tun, wenn ich dich schon nicht dazu bringe, hierzubleiben?« fragte er.

»Wenn du mir wenigstens etwas Geld geben konntest, soviel du eben entbehren kannst, ware ich dir sehr dankbar«, erwiderte sie. »Du wei?t, es ist nicht fur mich ...«

Stephanus reichte ihr einen Beutel. »Das ist alles, was ich habe«, sagte er. »Zwanzig, drei?ig Solidi, mehr nicht ...«

»Das mu? genugen«, antwortete Livia. »Hab Dank. Aber gib es mir wenigstens in kleinen Silbermunzen - ich durfte kaum Leute antreffen, die mir so gro?e Munzen wechseln konnen.«

Stephanus ging kurz ins Haus zuruck, wechselte das Geld und brachte es Livia wieder heraus, die sich nun zum Gehen anschickte.

»Willst du dich nicht wenigstens anstandig von mir verabschieden?« fragte er und versuchte, sie zu kussen, aber Livia wich seinen Lippen aus und reichte ihm die Hand.

»Ein Handschlag scheint mir der passendere Gru?, wie zwischen zwei alten Waffenbrudern.«

Stephanus versuchte noch, ihre Hand langer als notig festzuhalten, aber Livia entzog sie ihm. »Ich mu? gehen«, sagte sie. »Es ist spat.«

Da befahl Stephanus den beiden Dienern, ihr einen Wachs-tuchumhang und Quersacke mit Proviant zu reichen. Livia dankte ihm noch einmal, dann kletterte sie auf ihr Pferd und verschwand hinter einer Wand aus Regen. Stephanus ging ins Haus zuruck und lie? sich das Fruhstuck in die gro?e Bibliothek seiner Villa bringen. Auf dem riesigen Eichentisch in der Saalmitte lag ausgebreitet eine Papyrusrolle - eine wertvolle, illustrierte Ausgabe von Strabons Ge-ografia; Stephanus trat naher und betrachtete fasziniert eine herrliche Darstellung des Forum Romanum. Auf einer der Bildtafeln war der Tempel des Mars Ultor mit dem davorstehenden Altar zu sehen, auf einer anderen das Tempelinnere mit einer wundervollen, vielfarbigen Marmorstatue von Casar, angetan mit seiner Rustung; zu seinen Fu?en war ein Schwert abgebildet - nicht sehr gro?, aber doch gro? genug, um die feine Machart zu erkennen, den Griff in Form eines Adlerkopfs mit ausgebreiteten Schwingen. Stephanus starrte lange wie gebannt auf das Blatt, dann rollte er es wieder zusammen und verstaute es in einem Regal.

Livia trottete unterdessen im Schrittempo auf die Stadt zu; sie nahm an, die Brucke an der Via Emilia sei die einzige Moglichkeit, uber den Ariminus zu kommen, doch die Stra?e endete bald in einer Riesenuberschwemmung. In der Ferne konnte man gerade noch die Brustung der Brucke aus den schaumenden Wassermassen ragen sehen. Verzweiflung uberkam sie: Wie konnte sie unter diesen Bedingungen rechtzeitig zu ihren Freunden zuruckkehren? Ja, wer sagte ihr, da? diese uberhaupt noch am abgemachten Ort auf sie warteten und nicht langst vor dem Wasser hatten fliehen und sich anderswo einen sicheren Unterschlupf suchen mussen? Wenn die sintflutartigen Regenfalle hier unten den Flu? uber die Ufer treten und riesige Gebiete hatten uberschwemmen lassen, wie mu?te es dann erst in den Bergen zugehen, wo zusatzlich die Gefahr von Erdrutschen und Schlammlawinen bestand?

Livia nahm ihren ganzen Mut zusammen und begann, den Flu? hinaufzureiten, in der Hoffnung, weiter oben einen Ubergang zu finden, aber ihr Ritt wurde bald zu einem Alptraum. Die Blitze blendeten ihr Pferd, das sich panisch wiehernd aufbaumte, auf dem schlammigen Boden immer wieder zuruckrutschte und sich nur muhsam wieder aufrappeln konnte. Livia, die langst abgestiegen war, zerrte es am Zugel hinter sich her. So kampften sie sich unter unsaglichen Muhen Schritt um Schritt bergauf. Der Weg, den sie am Vortag hinuntergeritten waren, hatte sich in einen rei?enden Strom voll spitzer Steine verwandelt, und der Flu?, weiter unten, war nichts als eine Masse schaumenden Schlamms, die donnernd zu Tal sturzte. Gegen Mittag hatten sie gerade mal drei Meilen zuruckgelegt, und Livia wurde klar, da? die Nacht sie auf halber Hohe, in vollig ungeschutztem Gebiet uberraschen wurde, wo es keinerlei Unterschlupfmoglichkeit gab. Nicht genug: Oben, auf den Wipfeln der Baume, lag bereits

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