unerwidert lassen. Er blieb die Antwort schuldig und gab seinem Pferd die Sporen, um so bald wie moglich au?er Sichtweite zu gelangen.
Nach etwa einer Meile, in der er den Flu? nicht einen Augenblick lang aus den Augen verlor, entdeckte Romulus den Zug aus Kahnen, der rasch in der Stromung vorbeiglitt. Es schien ihm, da? niemand fehlte. Die Gefahrten hielten sich an den Seilen fest, die einen Teil der Reling bildeten, und klammerten sich eng aneinander, um nicht in den Strudeln der rei?enden Stromung zu versinken. Dann verschwand das sonderbare Gefahrt hinter einigen Buschen, die ihm die Sicht versperrten. Gerade konnte er noch rufen: »Da sind sie ja!«, als sie auch schon wieder verschwunden waren. Aurelius lie? sein Pferd in Trab fallen.
»So werden wir sie nie und nimmer einholen!« klagte der Junge.
»Kein Pferd kann es mit der Geschwindigkeit eines Gebirgsflusses aufnehmen. Das Gefalle ist stark, so da? das Wasser unglaublich schnell zu Tal flie?t. Au?erdem mu? Juba uns beide tragen, das ermudet ihn. Wir durfen nicht mehr von ihm verlangen, als er geben kann. Aber mach dir keine Sorge. Wir werden weiterhin der Stromung folgen, denn sicher stranden unsere Freunde entweder auf einer Sandbank, oder sie landen in einem Hafen, sobald der Flu? seinen Weg in die Ebene gefunden hat und langsamer wird. Dort werden sie auf uns warten, bis wir sie wieder eingeholt haben.«
»Warum haben sie das getan?« fragte Romulus. »Ware es nicht besser gewesen, sie hatten erst die Brucke uberquert und dann die Seile auf unserer Seite durchgeschnitten?«
»Das ware sicher besser gewesen. Doch hat Vatrenus eine sehr weise Entscheidung getroffen und wie ein echter Stratege gehandelt. Ganz der gro?e Soldat, der er nun einmal ist. Einfach fabelhaft. Denk doch nur einmal, wenn er es so gemacht hatte, wie du vorschlugst, waren wir zwar alle zusammengeblieben, hatten aber zu Fu? weiter gemu?t und waren nur sehr langsam vorangekommen. Die Barbaren hatten in aller Eile einen provisorischen Steg zusammengezimmert oder waren vielleicht weiter oben am Berg durch den Flu? gewatet. Auf jeden Fall hatten sie uns leicht innerhalb eines Tagesmarsches eingeholt. So dagegen ist es unseren Kameraden gelungen - vorausgesetzt, da? sie sich retten konnen - , einen sicheren Abstand zwischen sich und ihre Verfolger zu legen, wahrend wir nur zu zweit sind und daher viel schneller und wendiger sind. Wir konnen uns verstecken oder einen anderen Weg einschlagen, vielleicht sogar ein zweites Pferd finden und damit unsere Geschwindigkeit erheblich steigern.«
Romulus dachte ein paar Augenblicke nach, bevor er erwiderte: »Ich glaube tatsachlich, du hast recht, dennoch frage ich mich, was Ambrosinus gerade denkt und wie er sich fuhlt - jetzt, da wir getrennt sind.«
»Ambrosinus kommt bestens allein zurecht, und seine Ratschlage werden fur unsere Kameraden von allergro?tem Wert sein.«
»Das ist wahr. Aber kannst du dir vorstellen, da? wir beide, er und ich, das erste Mal voneinander getrennt sind, seitdem ich ihm damals im Alter von funf Jahren begegnet bin?«
»Willst du damit sagen, da? du seitdem immer mit ihm zusammen warst?«
»So ist es. Langer als mit meinem Vater, selbst langer als mit meiner Mutter. Langer uberhaupt als mit irgendeinem anderen Menschen. Er ist die weiseste und gescheiteste Person, die ich kenne. Und er schafft es immer wieder, mich zu uberraschen. Als uns Odoaker gefangennahm, habe ich ihn Dinge tun sehen, die ich mir vorher noch nicht einmal vorstellen konnte. Ich wurde mich nicht wundern, wenn er noch mehr Geheimnisse und Fahigkeiten auf Lager hatte.« »Du mu?t ihn sehr gerne haben«, sagte Aurelius. Der Junge lachelte, denn er erinnerte sich an einige Geschehnisse, die er zusammen mit seinem Erzieher erlebt hatte. »Manchmal ist er ziemlich launisch«, sagte er, »aber trotzdem ist er mir von allen Menschen auf der Welt der liebste.«
Aurelius fugte dem nichts weiter hinzu. Wieder gab er seinem Pferd die Sporen, um es noch weiter anzutreiben. Einerseits durften sie sich nicht allzuweit von den flachen Booten ihrer Gefahrten entfernen, die rasch auf den Fluten dahintrieben, andererseits mu?te er alles tun, um seinen Verfolgern zu entkommen. Doch ihre Reise verlief ohne Hindernisse und fuhrte sie durch eine bezaubernd schone Landschaft: Felsgipfel, die im Licht der untergehenden Sonne purpurn ergluhten, und unglaublich klare Seen, die gleich leuchtenden Spiegeln das dunkle Grun der Walder, das glei?ende Wei? der schneebedeckten Flachen und das intensive Blau des Himmels widerspiegelten. Romulus war von soviel Schonheit tief beeindruckt und fuhlte sich durch den standigen Wechsel der Schauplatze und des Lichts wie geblendet. Aurelius gewahrte Juba noch ein wenig Ruhe, indem er ihn wieder im Schritt gehen lie?.
»So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen«, sagte Romulus. »In welchem Land befinden wir uns?«
»In alter Zeit war dies das Land der Helvetier, ein Volk, das der Nation der Kelten angehorte und es wagte, den gro?e Casar herauszufordern.«
»Diese Episode kenne ich«, antwortete Romulus. »Ich habe
»Die Menschen sind nie mit dem zufrieden, was sie haben«, antwortete Aurelius. »Immer dazu verdammt, auf der Suche zu sein -nach neuen Landern, neuen Horizonten und neuen Reichtumern. Wie jeder einzelne Mensch aus der Menge der anderen herausragen mochte und sich durch Reichtum, Tuchtigkeit oder Schlauheit auszeichnen will, so verhalt es sich auch mit den Volkern und Nationen. Einerseits fuhrt das zum standigen Fortschritt in Wissenschaft und Forschung, da die menschlichen Talente und Aktivitaten in ihrer Entwicklung andauernd weitergetrieben werden, andererseits aber auch zu Konflikten und Zusammensto?en, die oft blutig enden. Ein Kraftakt, der ungeheuer ist und nicht selten auch ziemlich unsinnig. Fur alles, was wir unter unglaublichen Muhen erreichen, mussen wir einen sehr hohen Preis bezahlen. Und oft liegen am Ende die Verluste hoher als die errungenen Vorteile. Die Helvetier hatten die Berge, aber vielleicht sehnten sie sich nach der Ebene und den weiten fruchtbaren Feldern. Vielleicht aber war die Bevolkerung auch zu stark angewachsen, so da? ihnen die Taler zu eng wurden. Oder sie hofften, ihre Nation wurde starker, gro?er und machtiger werden, wenn sie sich im Flachland ausdehnte. Statt dessen wurden sie vernichtet.«
»Und du, Aurelius«, fragte Romulus, »was wunschst du dir? Wonach steht dir das Herz?«
»Ich wunsche mir ... Frieden.«
»Frieden? Das nehme ich dir niemals ab, denn du bist ein Krieger. Der starkste und mutigste, den ich je sah.«
»Ich bin kein Krieger, ich bin ein Soldat. Das ist etwas vollig anderes. Ich kampfe nur aus Notwendigkeit, um das zu verteidigen, woran ich glaube. Aber keiner wei? besser als ein Kampfer und
Die Sonne versank hinter dem Horizont und warf noch einen letzten rosigen Schein auf die majestatischen Zinnen, die die riesige Gebirgskette kronten. Aurelius tat alles, um so nah wie moglich am Ufer des Flusses zu bleiben, der die einzige Moglichkeit bot, sie wieder mit den Gefahrten zusammenzufuhren. Doch war er sich gleichzeitig der Gefahr bewu?t, von Wulfilas Mannern entdeckt zu werden, die gewi? niemals aufhorten, ihn zu verfolgen.
»Wir werden uns nur so viel Zeit der Ruhe nehmen, wie wir unbedingt brauchen«, sagte er, »dann machen wir uns wieder auf den Weg.«
»Ich mochte wissen, wo sie in diesem Augenblick sind«, meinte Romulus.
»Sicherlich vor uns, mindestens eine ganze Tagesreise. Der Flu? ruht niemals, er flie?t den ganzen Tag und die ganze Nacht. Sie fahren auf den Fluten dahin, wahrend wir uns uber schmale, unwegsame und steile Pfade qualen und Walder und Wildbache durchqueren mussen.«
Romulus nahm die Decken vom Sattel und richtete in einer Felsnische an einem hochgelegenen Platz das Nachtlager her, wahrend Aurelius dem Pferd die Kandare abnahm und ihm das Halfter anlegte.
»Aurelius ...«
»Ja, Casar?«
Romulus schwieg einen Augenblick lang, da ihn der wiederholte Gebrauch dieses Titels durch Aurelius unangenehm beruhrte. Dann fragte er: »Konnte es sein, da? wir sie uberhaupt nicht mehr wiederfinden?«
»Das ist eine Frage, auf die du die Antwort bereits wei?t. Naturlich. Vielleicht gibt es in diesem Flu? einige Stromschnellen, Wasserfalle oder verborgene Felsen, an denen ihre Kahne zerschellen. Und wenn sie dann in das