eiskalte Flu?wasser fallen, konnen sie nur eine sehr kurze Weile durchhalten. Rings um sie gibt es nichts als Schnee und Eis. Im Winter sind die Berge das feindseligste Gebiet, das man sich vorstellen kann. Es mag hier auch Rauberbanden und versprengte Soldaten auf der Suche nach Beute geben. Tatsachlich gibt es in dieser Welt unzahlige Gefahren.«
Still legte sich Romulus nieder und zog sich die Decke uber die Schultern.
»Schlaf«, sagte Aurelius zu ihm. »Juba wird uber uns wachen. Sollte sich uns jemand nahern, wird er uns rechtzeitig warnen, so da? wir uns davonstehlen konnen. Und ich schlafe sowieso immer nur mit einem geschlossenen Auge.«
»Und sie? Wie weit sind wohl sie von uns entfernt?«
»Unsere Verfolger? Das wei? ich nicht. Vielleicht ein paar Stunden, vielleicht aber auch einen halben Tag oder mehr. Doch glaube ich nicht, da? sie sich allzuweit von uns entfernt aufhalten. Au?erdem haben wir so deutliche Spuren im Schnee hinterlassen, da? uns jedes Kind folgen konnte.«
Romulus schwieg eine Weile, dann fragte er noch einmal: »Was wurde passieren, wenn sie uns einholten?«
Aurelius zogerte ein paar Augenblicke, bevor er antwortete. »Den Gefahren sieht man erst dann ins Auge, wenn sie da sind. Sie vorwegzunehmen, macht die Situation nur noch schlimmer, da die Angst steigt und die Bedrohung in unserer Vorstellungskraft ins Riesenhafte aufblaht. Stehen wir dagegen einer tatsachlichen Gefahr gegenuber, tut unser Verstand alles, um innerhalb kurzester Zeit seine samtlichen Fahigkeiten zu mobilisieren. Dann wird unser Korper von einem machtigen Energiestrom erfa?t, der den Herzschlag beschleunigt und die Muskeln sich ausdehnen und erharten la?t - alles mit dem Ziel, den Feind niederzukampfen, zu vernichten und zu toten ...«
Romulus sah ihn bewundernd an. »Du bist nicht nur ein Soldat, Aurelius. Du bist auch ein Krieger ...«
»Das kommt nur davon, da? ich jahrelang in standiger Angst vor allen nur denkbaren Schrecken und Verheerungen lebte, vor Metzeleien und Unheil, Mi?handlungen und sonstigen Qualereien. In jedem von uns schlummert ein Tier, und der Krieg weckt es auf.«
»Darf ich dich noch ein letztes fragen?«
»Gewi?.«
»Woran denkst du, wenn du stundenlang schweigst und noch nicht einmal die Worte horst, die ich zu dir sage?«
»Tue ich das wirklich?«
»Ja. Vielleicht langweile ich dich ja mit meinem Gerede oder store dich gar.«
»Nein, Casar, durchaus nicht ... Ich versuche nur ... ich versuche ...«
»Was denn?«
»Mich zu erinnern.«
Nachdem die Bootsbrucke aus ihrer Verankerung gerissen worden war, trug sie die Stromung in rasender Geschwindigkeit davon. Zunachst behielt sie noch ihre Querausrichtung bei, so da? eine Katastrophe vorauszusehen war. In der Entfernung von ungefahr einer halben Meile tauchte mitten im Flu? ein Felsen auf, der die zerbrechliche Kette der flachen Boote mit Sicherheit auseinanderrei?en wurde. Als Ambrosinus die Gefahr erkannte, rief er mit lauter Stimme: »Los, alle auf den au?eren Kahn, und zwar sofort!« Und schon kroch er auf allen vieren auf das Boot und klammerte sich, um nicht ins Wasser zu fallen, so gut an ihm fest, wie er nur konnte. Seine Kameraden folgten ihm rasch. Doch je mehr sie das Gewicht auf den au?eren Kahn verlagerten, desto schneller wurde er, dabei schob er sich standig weiter nach vorn und zog die ubrigen Boote nach sich. Auf diese Weise stabilisiert, scho? der Konvoi an dem Felsen vorbei, ohne ihn zu beruhren, und alle atmeten erleichtert auf.
»Wir brauchen Latten, damit wir rudern konnen«, sagte Ambrosinus. »Versucht ein paar Zweige aus der Stromung zu fischen.«
»Vielleicht sollten wir einen Teil der Kahne abkoppeln!« schlug Vatrenus vor.
»Nein, das wurde die Geschwindigkeit nur noch weiter erhohen und die Stabilitat stark erschuttern. Der lange Schwanz der Boote hilft uns, den Kurs zu halten. Alles, was wir benotigen, sind ein paar Latten oder Stecken, die wir als Ruder benutzen konnen.«
Aber es schwammen keine Latten oder Stecken in der Stromung umher, sondern nur ein paar Zweige, die nicht stabil genug waren, um sie als Ruder nutzen zu konnen. Da beugte sich Batiatus uber die Reling. »Konnte das vielleicht helfen?« brullte er gegen den larmenden Strom. Ambrosinus nickte. Muhelos ri? der Athiopier die linke Seite der Reling ab, die aus einem langen, grobbehauenen Brett bestand, und setzte sich damit neben Ambrosinus, der als Steuermann dieses seltsamen Gefahrts fungierte. Noch immer war die Geschwindigkeit sehr hoch, wahrend nicht allzuweit entfernt bereits einige Stromschnellen sichtbar wurden. Das Wasser spritzte und schaumte nach rechts fast bis ans Ufer, und Ambrosinus schrie Batiatus zu, das Brett mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, auf der gegenuberliegenden linken Seite anzusetzen. Unerwartet geschickt befolgte Batiatus diese Anweisung, der Kahn drehte nach links ab und glitt haarscharf an den Stromschnellen vorbei. Das Heck dieser Richtungsanderung anzupassen schaffte er allerdings nicht mehr, so da? das letzte Boot heftig gegen die Steine stie?, die aus dem Wasser auftauchten, und zerschellte.
Die Manner drehten sich um und schauten zu, wie die einzelnen Teile, in die es zersprungen war, in der Gischt zwischen den Strudeln und Stromschnellen verschwanden, konzentrierten sich aber sogleich wieder darauf, das Gleichgewicht zu halten. Standig drohten die Kahne unter den starken Sto?en und heftigen Schwankungen zu kentern, so da? sie das Gefuhl hatten, auf dem Rucken eines Wildpferdes zu sitzen und gegen die heftig rollenden Wellenbewegungen ankampfen zu mussen, die der rauhe Untergrund und die unebenen Ufer des Flusses verursachten. Felsspitzen, die sich aus der Mitte des Stroms emporreckten, lie?en plotzliche Strudel und Wirbel entstehen, wahrend breitere Stellen im Flu?bett die Stromung ebenso plotzlich verlangsamten, um sie aber bei dem nachsten Gefalle schon wieder zu beschleunigen. Kurz, den Insassen dieses sonderbaren Gefahrts wurde permanent eine enorme Kraftanstrengung abverlangt, um wenigstens einigerma?en das Gleichgewicht zu halten. Auf einmal wurde die Stromung des rei?enden Flusses zusehends langsamer, und auch die Unebenheiten im Boden erschienen weniger gefahrlich. Dafur tauchten nun aus dem Wasser immer gro?ere Kiesbanke auf, in denen man sich ebenso leicht und mit denselben verheerenden Auswirkungen hatte verfangen konnen. Da verlor plotzlich Orosius bei einer der vielen abrupten Kursanderungen das Gleichgewicht, rollte uber die Bohlen und versank in den Fluten.
»Orosius ist ins Wasser gefallen!« schrie Demetrios voller Angst. »Schnell, wir mussen ihm helfen, sonst zieht ihn die Stromung in die Tiefe!« Mit einem Schwerthieb durchtrennte Vatrenus eines der Taue, das als Zugseil gedient hatte, und warf es dem Schiffbruchigen zu. Immer wieder versuchte er es, aber Orosius schaffte es nicht, es zu ergreifen.
»Wenn wir ihn nicht bald erwischen, wird ihn die Kalte umbringen«, rief Ambrosinus. Da band sich Livia wortlos das Tau um die Taille und gab Vatrenus das andere Ende in die Hand. »Halt es gut fest«, sagte sie, dann sprang sie ins Wasser und schwamm kraftvoll auf den mit der Stromung kampfenden Orosius zu, der bereits zu schwach war, um auf ihren Rettungsversuch zu reagieren. Rasch holte sie ihn ein und packte ihn an seinem Gurtel. Dann rief sie: »Ich habe ihn! Zieht schon! Schnell!« Gemeinsam zogen Vatrenus und seine Kameraden an dem Tau, wahrend Batiatus versuchte, den Bug so gerade auszurichten, da? zuerst Livia und dann auch der halb ohnmachtige Orosius an Bord gehievt werden konnten. Vollig durchna?t von dem eiskalten Wasser, wickelten sie die Gefahrten in ihre Umhange, so da? sie die nassen Kleider ausziehen und sich, so gut es ging, abtrocknen konnten. Beide klapperten mit den Zahnen und waren vor Kalte und ubergro?er Anstrengung leichenbla?. O-rosius konnte kaum noch ein »Danke« murmeln, dann verlor er das Bewu?tsein. Vatrenus trat auf Livia zu und legte ihr seine Hand auf die Schulter. »Und dich wollte ich nicht bei uns haben. Dabei bist du stark und gro?mutig, Madchen. Glucklich der Mann, mit dem du eines Tages dein Leben vereinigen wirst.« Livia antwortete mit einem erschopften Lacheln und kauerte sich dann neben Ambrosinus auf den Boden nieder.
Gegen Abend wurde die Stromung langsamer, da der Flu? immer breiter wurde, je weiter er durch die hugelige Landschaft der Hochebene flo?. Doch fanden sie keinen passenden Platz, um ihren Anker auswerfen zu konnen und auf Aurelius zu warten, der ihnen, wie sie vermuteten, in aller Eile folgte. Am nachsten Morgen fanden sie sich am Zusammenflu? mit einem anderen Wasserlauf wieder, der von der linken Seite her nahte, und tags darauf, gegen Abend, stromte der Flu? uber mittlerweile ebenes Gebiet, so da? sie ihr Gefahrt zum Ufer lenken und es dort mit Seilen an einem Pflock festbinden konnten. Das gro?e Flu?abenteuer hatte fur einen Moment seinen Abschlu? gefunden. Nun mu?ten sie nur noch geduldig warten, bis die Gruppe wieder vereint werden