konnte und die kleine Armee ihren Heerfuhrer und Kaiser wiederfand. Obwohl Ambrosinus in Sorge war, tat er doch alles, um seinen Gefahrten ein Gefuhl von Ruhe und Sicherheit zu vermitteln. Auch der Frieden, der an ihrem Zufluchtsort herrschte, lie? den Gedanken an zunehmend mehr Sicherheit aufkommen - so der Anblick der Hirten, die am Abend mit ihren Herden in die Stalle zuruckkehrten, oder des Purpurstreifens, den die Sonne auf den Wolken hinterlie?, wenn sie fern am Horizont in der Ebene verschwand, ebenso der in harmonischen Biegungen verlaufende Flu? oder die langsam heimrudernden Schiffer und Fahrleute, die in der Abendsonne an Land gingen, um sich einen Schlafplatz fur die Nacht zu suchen.
»Gott kam uns zu Hilfe«, sagte Ambrosinus. »Und er wird es immer wieder tun, da wir zu Unrecht verfolgt werden. Ich bin fest davon uberzeugt, da? wir schon bald wieder mit unseren Kameraden vereint sein werden.«
»Das verdanken wir vor allem dir«, erwiderte Vatrenus. »Ich wei? nicht, wie du es fertiggebracht hast, dieses Wrack durch die Stromschnellen, Sandbanke und Strudel zu manovrieren. Ich glaube, du bist ein wirklicher Magier, Meister.«
»Wir haben es hier nur mit dem Archimedischen Prinzip zu tun, mein guter Freund«, antwortete Ambrosinus. »Je tiefer ein Boot ins Wasser eintaucht, desto schneller wird es, so da? es bei starker Stromung die leichteren Boote mit sich zieht. Bei langsamerer Stromung setzt dasselbe Fahrzeug dem Wasser mehr Widerstand entgegen und wird dadurch immer langsamer. Deshalb habe ich, kaum da? wir ruhigeres Wasser erreichten, die Gewichte in eine neue Balance gebracht, wofur es genugte, Batiatus auf den hintersten Kahn zu setzen. Jetzt aber mochte ich mit Livia, die, wenn ich nicht irre, noch etwas Geld hat, an Land gehen, um dort ein paar Lebensmittel zu kaufen. In dieser Gegend gibt es sicher reichlich Milch und Kase, vielleicht sogar Brot.«
Bald fand er heraus, da? es unweit vom Flu? ein Dorf namens Magia gab, in dem die Leute noch einen keltischen Dialekt sprachen, der sich nicht allzusehr von seiner Muttersprache unterschied. Doch sprachen die Altesten der Stadt ebenso wie der Priester, der in der kleinen Kirche des Ortes die christlichen Riten zelebrierte, uberraschend gut Latein. Von innen erfuhr er, da? der Flu?, auf dem sie sich befanden, der Rhein war. Schon bald aber trafen sie auf einen gro?en See und spater hatten sie es mit Stromschnellen zu tun, die unuberwindbar seien. Lediglich auf dem Landweg erreichten sie wieder den Flu?, der als der gro?te Strom Europas und einer der gro?ten der Welt bekannt war und sogar Euphrat und Tigris in nichts nachstand, die doch das irdische Paradies durchflossen. Ambrosinus pflichtete ihnen bei. »Damit ist uns der Weg vorgegeben. Wir werden also weiter flu?abwarts fahren und einer Vielzahl von Gefahren aus dem Weg gehen. Vielleicht erreichen wir sogar das Meer. Doch zuerst mussen wir ein Schiff finden, das diesen Namen auch verdient. Es ist ein Wunder, da? wir uberhaupt wohlbehalten bis hierher gekommen sind, auf dieser ehemaligen Bootsbrucke den Gewalten der Stromung ausgeliefert.«
Er machte sich auch Gedanken uber die Situation weiter oben im Norden, in jenen Gebieten des einstigen Gallien, die einst die reichste und treueste Provinz des Kaiserreichs ausmachten und nun von den Franken besetzt waren. Ihr Zentrum bildete allerdings noch immer eine Art Insel der romischen Welt und wurde von einem General namens Syagrius regiert, der sich zum Konig der Romer ausgerufen hatte.
»Ich denke, wir sollten an einer Stelle am Westufer an Land gehen, die recht gunstig gelegen ist«, bemerkte er. »Dann auf dem Landweg weiter bis ans Ufer des britannischen Kanals. Dort sind wir mit dem Schiff nur noch eine Tagesreise von meinem Land entfernt. Grundgutiger Gott! Wieviel Zeit ist inzwischen vergangen, was wird sich wohl alles verandert haben! Wie viele Menschen sind gestorben, die ich einst kannte, und wie viele Freunde haben mich wohl in der Zwischenzeit vergessen!«
»Du redest, als waren wir schon in Sichtweite der Kuste«, erwiderte Livia. »Dabei liegt noch ein weiter Weg vor uns, und der ist mit nicht weniger Schwierigkeiten gespickt als der, der gerade hinter uns hegt.«
»Du hast recht«, antwortete Ambrosinus, »doch das Herz ist um so vieles schneller als unsere Fu?e, ]a selbst als das schnellste Schlachtro?. Und es furchtet sich vor rein gar nichts. Ist es nicht so?«
»Doch, so ist es«, gab Livia zu.
»Und du, denkst du vielleicht nicht an deine Stadt am Meer? Fehlt sie dir etwa nicht?«
»Sehr. Und dennoch hatte ich mich niemals von Romulus getrennt ...«
»Und von Aurelius ... wenn ich recht verstanden habe.«
»Ja, auch nicht von Aurelius. Aber in der ganzen Zeit, die wir miteinander verbracht haben, lie? er mich nur ein einziges Mal erkennen, da? er auch fur mich mehr empfindet. Das war in der Nacht in Fano. Vielleicht weil er als sicher annehmen mu?te, da? sich unsere Wege am nachsten Tag trennten und wir uns niemals mehr wiedersahen. Doch ich hatte nicht den Mut, ihm in dieser Nacht die Worte zu sagen, die er von mir erwartet hat.«
Ambrosinus betrachtete sie mit ernstem Gesicht. »Aurelius wird von beklemmenden Zweifeln gequalt, die ihn fast zerrei?en. Solange er das Ratsel, das ihn peinigt, nicht gelost hat, werden andere Empfindungen kaum einen Platz in seinem Herzen finden. Dessen kannst du dir gewi? sein.«
Inzwischen kamen sie in Sichtweite des Flusses, und Ambrosinus wechselte plotzlich das Thema. »Wir mussen ein Schiff finden«, sagte er. »Das ist unvermeidlich. Wenn Aurelius es schafft, Wulfila zu entkommen, wird er in ein paar Tagen hier eintreffen, und wir sollten dann fertig zum Auslaufen sein. Bereite du nun das Abendessen zu. Ich hoffe, bald mit guten Nachrichten zuruck zu sein.«
Er wandte sich ab und ging auf den Ankerplatz zu, an dem inzwischen eine Anzahl von Kahnen fur die Nacht vertaut worden waren. Einige Fischer hatten auf holzernen Tischen ihre gefangenen Fische ausgelegt, wahrend die Kunden mit ihnen uber den Kauf verhandelten. Auf den Booten wurden die Ollampen entzundet, und ihr zitterndes Licht spiegelte sich auf der Oberflache des gro?en Flusses wider.
XXVIII
Nach Einbruch der Dunkelheit kehrte Ambrosinus mit einigen Tragern zuruck, die mit Schaffellen, Decken und Umhangen fur die Nacht bepackt waren. Er berichtete, da? er sich mit einem Schiffer abgesprochen habe, der auf dem Rhein eine Ladung Steinsalz nach Norden transportierte. Fur einen geringen Aufpreis sei dieser Mann bereit, sie an ihr Ziel in der Nahe von Argentoratum zu bringen, was sie, falls alles gut ginge, in etwa einer einwochigen Schiffsreise erreichen konnten. Daruber hinaus hatte er ihm zu einem ebenfalls sehr gunstigen Preis all diese gro?artigen Dinge verkauft, mit denen sie unter dem kalten Himmel und in der feuchten Umgebung die Nacht auf passable Weise verbringen konnten. Sein Optimismus stand jedoch im krassen Gegensatz zu der Unruhe, von der alle wegen des unsicheren Schicksals von Aurelius und Romulus ergriffen waren. Naturlich waren sie sich daruber bewu?t, da? samtliche Muhen und Gefahren, denen sie bis zu diesem Moment die Stirn geboten hatten, ohne den Knaben von keinerlei Wert waren. Sie hatten ihr Schicksal voll und ganz mit seinem Geschick verbunden, und sein Schicksal war wiederum ganz und gar von ihrer Unterstutzung und Hilfe abhangig. Und nun, da ihnen ihr Bezugspunkt fehlte, schien auch ihre eigene Existenz jede Bedeutung verloren zu haben.
Ambrosinus lie? sich mit uberkreuzten Beinen auf dem Kahn nieder, bevor er sich ein wenig Brot und Kase von dem Tisch nahm, zu dem einer der Schilde umgestaltet worden war. Er begann mit nur wenig Appetit zu essen.
»Ich habe wieder und wieder alles durchkalkuliert«, meinte Vatrenus. »Unter Berucksichtigung, wie das Gelande beschaffen ist, durch das der Rhein flie?t, komme ich zu dem Schlu?, da? wir ihnen gegenuber etwa einen Vorsprung von zwei Tagesmarschen haben.«
»Bedeutet das, da? wir die ganze Nacht, den morgigen Tag und vielleicht auch noch ubermorgen auf sie warten mussen?« fragte Orosius.
»Kann sein, auch wenn das nicht so leicht zu sagen ist. Nach meiner Uberzeugung wird Aurelius alles versuchen, um eine moglichst gro?e Distanz zwischen sich und seine Verfolger zu legen. Und Juba ist ein sehr schnelles, ausdauerndes Pferd. Au?erdem werden sie sicher die Ruhezeit auf ein Minimum reduzieren und alles daran setzen, so schnell wie moglich voranzukommen«, bemerkte Demetrios.
»Ja«, wandte Batiatus ein, »doch sind die Tage bereits sehr kurz, und es ist mehr als gefahrlich, bei Dunkelheit durch das Gebirge zu wandern. Ich bezweifle, da? Aurelius das Risiko eingehen wird, in den Abgrund zu sturzen oder sein Pferd lahm zu reiten. Ich schatze vielmehr, er wird nur begrenzte Wegstrecken zurucklegen.«
Jeder gab seine Meinung zum besten, und bald war es offenkundig, da? niemand in seinen Uberlegungen mit denen der ubrigen Gefahrten ubereinstimmte.
»Sie konnten doch auch dort auf den Anhohen sein«, sagte Livia und warf einen Blick in Richtung der Berge. »Sicher frieren sie, sind hungrig und vor lauter Anstrengung vollig erschopft. Im Grunde war uns das Gluck mehr als gewogen, auch wenn wir auf unserer Reise so viel Aufregendes erlebten.«