wieder loszusturmen. Vielleicht spurte auch das Pferd die drohende Gefahr.

Wulfila und seine Manner traten am Rande des Tannenwaldes ins freie Gelande und bemerkten sofort die Spuren, die sich auf der Schneedecke abzeichneten - zunachst die eines Pferdes, die sich wenig spater mit den Abdrucken eines Wagens vermischten, der den Abhang hinab gefahren war.

Einer seiner Manner lie? sich auf den Boden fallen und untersuchte die Spuren mit seinen Fingerspitzen. »Das linke hintere Eisen hat nur drei Nagel, au?erdem sind die vorderen Spuren tiefer als die hinteren, was auf ein Gewicht zwischen dem Sattel und dem Hals des Pferdes schlie?en la?t. Sie sind es.«

»Endlich!« rief Wulfila aus. »Jetzt werden wir sie uns holen, sie entkommen uns nicht mehr.« Mit der Hand gab er seinen Mannern das Zeichen, ihm im Galopp den Berg hinunterzufolgen. Sie waren ungefahr siebzig und wirbelten mit ihren Pferden wei?e Wolken auf, einen Hauch silbrigen Pulverschnees, der im Mond wie ein zauberischer nachtlicher Regenbogen glitzerte. Vom immer lauteren Bellen der Hunde geweckt, erhoben sich einige Manner aus dem Dorf von ihrem Lager und beobachteten, wie der bizarre Reiterzug die gro?e Lichtung oberhalb ihrer Hauser uberquerte. Sie bekreuzigten sich und dachten dabei an die verfluchten Seelen, von denen man sagt, sie verlie?en des Nachts die Holle, um nach Opfern zu suchen, die sie in die Qualen des Jenseits mitnahmen. Dann schlossen die Manner wieder die Fenster und horchten, zitternd vor Angst, mit dem Ohr an den Laden, bis der Larm des Galopps sich in der Ferne verlor und das letzte Geklaffe der Wachhunde in einem gedampften Winseln verklang.

Das kalte Morgenlicht drang langsam durch die dunne Wolkenschicht, die den Himmel bedeckte. Nach und nach erwachten die Manner, die unter ihren Umhangen eingeschlummert waren. Auch Livia stand auf und strich sich mit der Hand uber Stirn und Wangen. Es kam ihr so vor, als hatte Ambrosinus niemals mit ihr gesprochen und alles sei nur ein Traum gewesen. Und richtig, auch er hatte sich, zusammen mit den anderen, auf den Schaffellen ausgestreckt. Demetrios hielt Wache und musterte prufend die schneebedeckten Hugel. Nun machte Ambrosinus den Vorschlag, da? sie sich bereits auf das Schiff begeben sollten, das sie nach Norden brachte, um moglichst bald abreisen zu konnen. Er hatte dem Bootsfuhrer die Kahne zum Tausch uberlassen, der sie fur seine Transporte auf dem Flu? als Frachtkahne nutzen wollte.

Er war ein Mann um die Funfzig, von untersetzter, kraftiger Statur und schroffer, entschiedener Art. Er hatte einen dichten grauen Haarschopf und war mit einer Jacke aus Filz und einem Lederschurz bekleidet.

»Ich kann nicht mehr lange warten«, sagte er, kaum da? er sie sah. »Die Leute fangen mit dem Schweineschlachten an und brauchen das Salz, um ihre Wurste zu konservieren. Aber es gibt noch einen anderen, viel wichtigeren Grund. Der Winter kommt ins Land, und je weiter wir in den Norden vordringen, desto mehr laufen wir Gefahr steckenzubleiben. Ich meine, der Flu? wird sicher zufrieren, und dann wird mein Schiff vom Eis umschlossen und zermalmt.«

»Aber wir haben doch abgemacht, bis heute abend zu warten. Diese paar Stunden werden die Lage kaum gro? verandern«, wand Ambrosinus ein, dessen Stimme, wie Livia bemerkte, sehr schwach war und von Heiserkeit verschleiert klang. Seine Hautfarbe wirkte erdig, und sein Gesicht war von tiefen Falten gezeichnet, als hatte er in die ganze Nacht kein Auge zugetan.

»Es tut mir leid«, erwiderte der Bootsfuhrer, »aber wie ihr seht, wird das Wetter umschlagen. Schon steigt Nebel auf, und damit wird das Navigieren sehr riskant. Ich kann nichts dafur, wenn das Wetter umschlagt.«

Ambrosinus lie? nicht locker. »Wir haben dir die Kahne uberlassen, die unser Eigentum waren. Damit hast du bereits deinen Gewinn gemacht und wirst auch noch mehr Geld fur die Uberfahrt erhalten. Bitte, geh auf unser Anliegen ein. Wir warten noch auf ein paar Freunde, die bald eintreffen werden. Das versichere ich dir.«

Aber der Bootsfuhrer lie? sich nicht uberzeugen. »Ich mu? ablegen«, antwortete er. »Anders geht es nicht.«

Vatrenus trat hinzu. »Ich wei?, wie es anders ginge. Hore gut zu: Entweder du tust im guten, was wir dir sagen, oder im bosen. Wir sind alle bewaffnet, deshalb wirst du erst auslaufen, wenn wir es dir sagen.«

Wutend zog sich der Bootsfuhrer ins Hinterschiff zuruck und begann mit seiner Mannschaft zu tuscheln.

»Das hattest du nicht tun sollen«, sagte Ambrosinus. »Es ist immer besser zu verhandeln und zu uberzeugen, als Druck auszuuben.«

»Da magst du recht haben«, antwortete Vatrenus, »aber furs erste liegen wir ja deshalb noch vor Anker, weil meine Argumente uberzeugender waren als deine.«

Er hatte den Satz noch nicht beendet, da rief Livia: »Da sind sie!«

Und tatsachlich: In vollem Tempo stoben Aurelius und Romulus den Abhang herab, dicht gefolgt von Wulfilas Schwadron, die sie unter gellendem Geschrei mit gezuckten Schwertern angriff. Entsetzt verfolgte der Bootsfuhrer die Szene, da er sein kostbares Gefahrt bereits in ein Schlachtfeld verwandelt oder, noch schlimmer, von diesen brullenden Damonen in Brand gesteckt sah, aus Rache, weil er diesen Verfolgten Unterschlupf gewahrt hatte, die vielleicht wegen irgendwelcher Verbrechen gesucht wurden. Und so schrie er aus vollem Halse: »Legt ab, sofort!« Blitzartig losten zwei Manner seiner Besatzung die Haltetaue, wahrend ein anderer mit dem Ruder gegen die Kaimauer stie?, um den Bug auf die Stromung auszurichten.

Vatrenus schrie: »Nein! Ihr verdammten Hurensohne!«

Doch es war zu spat. Das Boot hatte sich bereits gelost und entfernte sich langsam von dem holzernen Landungssteg, an dem es vertaut gewesen war. Livia sah, wie Aurelius einen Augenblick unsicher wurde, dann lenkte er seinen Blick auf die Kahne, mu?te jedoch erkennen, da? sie leer waren. So laut sie konnte rief sie: »Hier sind wir! Hier! Lauf, Aurelius, lauf schnell!« Dabei schwenkte sie ihren Umhang. Und auch die anderen begannen auf jede erdenkliche Art zu gestikulieren und dabei zu rufen: »Hierher! Wir sind hier! Lauft schnell!«

Nun endlich hatte Aurelius sie entdeckt. Mit seinen Knien pre?te er Jubas Flanken zusammen und ri? dabei heftig an der Kandare, um das Pferd in eine andere Richtung zu lenken. Er gab ihm die Sporen, so da? es wieder nach vorne schnellte. Wahrend er die Zugel auf die Kandare niederschlug, rief er laut: »Los, Juba, los, spring!« Das Schiff, das sich in Parallellinie zum Ufer befand, fuhr gerade an der au?ersten Spitze des Landungsstegs vorbei. In vollem Tempo bog Aurelius auf den Steg ein und raste bis ganz nach vorne. Dann setzte er zu einem halsbrecherischen Sprung an, der das Pferd auf dem Haufen Steinsalz landen lie?, in dem es fast bis zu den Knien versank und dadurch gestoppt wurde. Rasch lie?en sich Aurelius und Romulus zur Seite fallen, so da? sie ebenfalls auf der wei?en Salzschicht landeten, die ihren Fall abfederte. Angesichts dieser vollig veranderten Situation loste Batiatus die beiden Steuerruder am Heck und befestigte sie an den Auslegern, so konnte er sie als Ruder verwenden, was dem Schiff noch mehr Schnelligkeit verlieh. Nun preschte auch Wulfila in vollem Galopp und von der hei?en Verfolgungsjagd mitgerissen, uber den Landungssteg. Doch im letzten Moment mu?te er seinen Hengst abbremsen, um nicht kopfuber ins Wasser zu sturzen. Als ihn seine Manner einholten, blieb ihm wieder einmal nichts anderes ubrig, als wutschaumend und ohnmachtig mit anzusehen, wie ihm seine Beute entkam.

Vatrenus machte eine unflatige Geste und rief ihm dabei ein Wort aus der Soldatensprache zu, das Romulus nicht kannte. Er trat auf ihn zu, wahrend er sich das Salz abschuttelte, mit dem er uber und uber bedeckt war. »Was bedeutet das Wort temetfutue?« fragte er naiv.

»Casar!« wies ihn Ambrosinus zurecht. »Solche Dinge wiederholt man nicht.«

»Das bedeutet >Leck mich!<« antwortete Vatrenus ruhig. Und dann hob er den Knaben in seinen Armen hoch uber die Kopfe aller und rief: »Willkommen, Casar!« Sie brachen in ein unbandiges Freudengeschrei aus, das noch wenige Augenblicke zuvor von der Anspannung unterdruckt worden war. Alle umarmten sich, und auch Juba wurde die herzlichste Zuwendung zuteil, wie es fur ein so heldenhaftes Ro? nur recht und billig war, dessen unerschutterliche Tapferkeit Romulus und Aurelius gerettet hatte. Batiatus gab das Ruder wieder an die Besatzung zuruck und stimmte in den Jubel seiner Gefahrten mit ein.

Unterdessen dachte Wulfila gar nicht daran, die Verfolgung aufzugeben. Wie besessen ritt er am Ufer entlang und schwang wie eine ewige, rachsuchtige Bedrohung Casars Schwert in seiner Faust. Aurelius stand auf der Steuerbordseite an die Reling gepre?t, Aug in Aug mit seinem Widersacher, dessen Ha? ihm wie ein eiskalter Wind auf der Haut brannte. Und dennoch konnte er nicht aufhoren, auf das glanzende Schwert in der Hand des Barbaren zu starren. Derweil schossen die Reiter Schwarme von Pfeilen zu ihnen heruber, die mit leisen, dumpfen Schlagen ins Wasser fielen. Einer der Pfeile, der in einem weiten Bogen abgeschossen worden war, fiel auf das Deck, aber Demetrios ri? seinen Schild noch rechtzeitig in die Hohe, so da? er ihn sicher abfangen konnte, ehe er Livia getroffen hatte. Unterdessen vergro?erte sich die Entfernung zum Festland immer mehr, bis sie bald darauf unuberwindlich wurde.

Da trat Romulus zu Aurelius und beruhrte seinen Arm. »Denk nicht mehr an dieses Schwert«, sagte er. »Es macht nichts, da? du es verloren hast. Es gibt Wichtigeres.« »Was denn?« fragte Aurelius in bitterem Ton. »Da? wir wieder alle vereint und beisammen sind. Und mir kommt es nur darauf an, da? mich alle gern haben. Ich

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