hoffe, auch du.«

»Ich habe dich sehr gern, Casar«, antwortete Aurelius, ohne sich umzudrehen.

»Nenn mich nicht Casar.«

»Ich habe dich sehr gern, mein Junge«, antwortete Aurelius. Dann endlich drehte er sich zu ihm um und umarmte ihn, wahrend sich seine Augen mit hei?en Tranen fullten.

In diesem Moment offneten sich die Wolken, und der Nebel, der uber dem Wasser lag, lichtete sich. Die Sonne entflammte die Oberflache des gro?en Flusses und lie? die Schneeflachen an beiden Ufern im Licht erstrahlen, die nun wie ein silberner Umhang glanzten. Alle waren von diesem Anblick bezaubert, den sie wie eine Vision der Hoffnung empfanden. Aus der kleinen Gruppe der Veteranen vorne am Bug ertonte die heisere Stimme von Elius Vatrenus, der langsam und feierlich die Hymne an die Sonne rezitierte, das alte Carmen saecularc des Horaz:

Alme Sol curru nitido diem qui Promis et celas...

Bald gesellte sich seiner Stimme eine zweite zu, dann eine dritte und vierte, bis schlie?lich auch die von Livia und Aurelius einfielen:

Aliusque et idem Nascens, possis nihil Roma Visere maius...

Romulus zogerte und sah Ambrosinus an. »Das ist doch ein heidnisches Lied ...«, sagte er.

»Das ist der Gesang von der Gro?e Roms, mein Sohn, das niemals soviel Glanz erlangt hatte, ware es nicht nach Gottes Willen erfolgt. Und jetzt, da Rom seinem Untergang zugeht, ist es nur richtig, noch einmal seinen Lobgesang ertonen zu lassen.« Und dann fiel er selbst in den Chor ein.

Nun sang auch Romulus. Seine klare Knabenstimme erhob sich wie noch nie zuvor, ubertonte die kraftvollen, tiefen Stimmen seiner Gefahrten und vereinte sie mit Livias aufgewuhltem, bebendem Timbre. Selbst der Bootsfuhrer, den die anfeuernde Stimmung stark beruhrte, sang nun mit ihnen und folgte der Melodie, obwohl er die Worte nicht kannte.

Schlie?lich verklang der Gesang, wahrend die Sonne, die nun die Wolken besiegt und den Nebel endgultig aufgelost hatte, strahlend am Winterhimmel triumphierte.

Romulus trat zum Bootsfuhrer, der jetzt still war und ein seltsames Licht der Ruhrung in seinen Augen hatte. »Bist du auch ein Romer?« fragte er ihn.

»Nein«, antwortete dieser. »Aber ich ware es gern.«

XXIX

Der See von Brigantium tat sich wie ein glanzender riesiger Spiegel vor ihren Augen auf, dessen Ufer Walder und Weiden saumten, in denen Dorfer und hie und da ein verstreutes Bauernhaus angesiedelt waren. Eine ganze Tagesreise per Schiff war notig, um von einem Ende des Sees bis zum anderen zu gelangen, dann erreichte man das Kap, das zwei lange schmale Buchten gabelformig voneinander trennte. Das Schiff steuerte die linke an, und sie gingen fur die Nacht nahe einer kleinen Stadt namens Tasgaetium vor Anker. Tags darauf setzten sie ihre Reise von der Stelle aus fort, an welcher der Flu? seinen Lauf nach Norden weiterfuhrte.

»Nun befinden wir uns wieder auf dem Rhein«, verkundete der Bootsfuhrer, als das Schiff in den Nebenarm einbog. »Wir werden ihn ungefahr eine Woche lang flu?abwarts befahren, bis wir Argentoratum erreichen. Doch zunachst erwartet uns ein Schauspiel, wie ihr es vorher noch niemals saht und auch fur den Rest eures Lebens nie wiedersehen werdet: die gro?en Stromschnellen.«

»Stromschnellen?« fragte Orosius, von seinem letzten Abenteuer auf dem Flu? noch immer zu Tode erschrocken. »Dann besteht ja allergro?te Gefahr.«

»Und ob«, antwortete der Bootsfuhrer, »die Stromschnellen sind auf einer Breite von funfhundert Fu? mehr als funfzig Fu? hoch, bevor sie sich unter Donnergrollen wild schaumend in die Tiefe sturzen. Wenn ihr ganz still seid und die Ohren spitzt, konnt ihr sie, da wir gunstigen Wind haben, schon von hier aus horen.«

Alle schwiegen und blickten einander voll Sorge an, da sie nicht begriffen, wohin diese Vorankundigung fuhrte. Tatsachlich war in der Ferne, so schien es ihnen zumindest, ein gedampftes Grollen zu vernehmen, das sich mit anderen Gerauschen mischte, die vielleicht ebenfalls von den Stromschnellen herruhrten.

Ambrosinus trat zum Bootsfuhrer: »Ich nehme an, du kennst noch einen anderen Reiseweg. Ein Fall uber funfzig Fu? erscheint mir doch selbst bei einem soliden Schiff wie dem deinen ziemlich gewagt.«

»Deine Annahme ist richtig«, antwortete der Bootsfuhrer, wahrend er das Steuer herumri?. »Wir legen an und fuhren das Schiff auf dem Landweg weiter. Dafur gibt es einen besonderen Dienst auf Schlitten, die von Ochsen gezogen werden. Sie bringen uns auf dem Landweg bis hinunter ins Tal, in dem die Wasserfalle auftreffen.«

»Bei allen Gottern!« rief Ambrosinus aus. »Ein diolkos! Wer hatte geglaubt, da? sogar diese Barbarenlander uber so etwas verfugen?«

»Was hast du gesagt?« fragte Vatrenus.

»Ein diolkos oder eine Schiffspassage uber Land, mit der ein naturliches Hindernis uberwunden werden kann. So etwas gab es in der Antike am Isthmus von Korinth. Das war nun wirklich sehr spektakular.«

Unterdessen hatte das Schiff festgemacht. Einige Manner zogen es heran und vertauten es auf einem Schlitten mit Rollen, wahrend der Bootsfuhrer den Preis fur die Uberfahrt absprach. Dann riefen die Treiber den Ochsen einen Befehl zu, und der stattliche Zug setzte sich in Bewegung. Juba hieb man, vom Schiff herunterzusteigen, so da? er sich auf einem langen, ruhigen Spaziergang die Beine vertreten konnte. Es dauerte fast zwei Tagesmarsche, wobei die Zugtiere haufiger ausgewechselt wurden, dann hatte das Boot wieder flaches Gelande erreicht. Als es unter den Stromschnellen vorbeigezogen wurde, blieben alle stehen und betrachteten staunend die riesige Mauer aus schaumendem Wasser und den Regenbogen, der sich gleich einer Brucke von einem Ufer zum anderen spannte, die Strudel, die Wirbel und die aufwallende Gischt, die das Wasser an der Stelle bildete, an welcher der Flu? wieder nach Westen stromte.

»Wie herrlich!« rief Romulus aus. »Das erinnert mich an den Wasserfall der Nera in Umbrien, nur ist der hier tausendmal gro?er!«

»Bedank dich bei Wulfila!« lachte Demetrios. »Ware er nicht gewesen, hattest du diese Pracht niemals zu Gesicht bekommen.«

Auch die anderen fingen an zu lachen, wahrend das Boot wieder ins Flu?wasser gelassen wurde. Ihr Gelachter lie? sie gleichsam als Teilnehmer in einem Spiel erscheinen, in dem alle mitspielten, mit Ausnahme von Ambrosinus.

»Was ist denn, Ambrosinus?« fragte Livia.

Der alte Mann runzelte die Stirn: »Wulfila. Diese Reise uber Land kostete uns fast den gesamten Vorsprung. Er konnte sich jetzt dort uberall auf den Hugeln verbergen.« Da verklang das Gelachter und verwandelte sich in ein gedampftes Stimmengewirr. Die einen lie?en ihren Blick uber die Anhohen schweifen, wahrend die anderen an der Reling lehnten und das friedliche Stromen des Wassers betrachteten.

»Der Flu? ist langsamer geworden«, fuhr Ambrosinus fort, »und sobald wir nach Norden abbiegen, haben wir es mit Gegenwind zu tun. Au?erdem ist dieses Schiff mit all dem Salz und dem Pferd an Bord sehr leicht wiederzuerkennen.« Nun verging auch dem letzten die Lust zu lachen, selbst plaudern wollte keiner mehr.

»Was werden wir tun, wenn wir in Argentoratum sind?« fragte Livia, um das Gesprach von Wulfila abzulenken.

»Ich denke, wir sollten auf jeden Fall sofort weiter nach Gallien reisen, dort fallen wir weniger auf«, antwortete Ambrosinus. Er nahm die Karte zur Hand, die er in der mansio von Fano gezeichnet hatte und die ihm Livia nach ihrem Treffen auf dem Pa? wiedergegeben hatte. Er breitete sie auf einer Bank aus und bat seine Gefahrten mit einem Zeichen, zu ihm heruberzukommen. »Schaut«, sagte er. »Das ist in etwa die Lage. Hier, im mittleren Suden des Landes, sind die Westgoten ansassig, die seit vielen Jahren Freunde und Verbundete des romischen Volkes sind. Sie kampften auf den Kata-launischen Feldern unter Aetius, mit dem der westgotische Konig befreundet war, gegen den Hunnenkonig Attila. Fur diese treue Freundschaft bezahlte Aetius sogar mit seinem Leben. Er fiel auf dem Schlachtfeld, wahrend er tapfer versuchte, den rechten Flugel, in dem die Verbundeten Aufstellung genommen hatten, zu halten.«

»Also sind nicht alle Barbaren grausam und wild«, kommentierte Romulus.

»Das habe ich niemals behauptet«, antwortete Ambrosinus. »Ganz im Gegenteil. Viele von ihnen verfugen uber so au?erordentliche Gaben wie Tapferkeit, Loyalitat und Aufrichtigkeit - Gaben, die wir fur unsere Sitten und Gebrauche, die wir stets als zivilisiert betrachteten, leider nicht mehr in Anspruch nehmen konnen.«

»Nichtsdestotrotz haben sie unser Reich und unsere Welt zerstort.«

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