leicht wiederzuerkennen ist, da sie es direkt aus der Nahe gesehen haben. Mit dieser Salzladung mitten auf Deck ist es unverwechselbar. Jetzt herrscht dunkle Nacht und keiner sieht etwas, aber morgen, wenn es hell ist, werden sie nicht lange brauchen, um uns zu finden. Deshalb werde ich noch vor Sonnenaufgang die Fracht loschen und neue aufnehmen. Gleich anschlie?end lege ich wieder ab, da ich nicht mochte, da? sie mein Schiff anzunden. Nie hatte ich gedacht, da? sie zur gleichen Zeit eintrafen wie wir. Sie mussen fast standig im Sattel gesessen haben, ganz ohne Schlaf. Vielleicht aber haben sie auch ein schnelleres Schiff als diesen Lastkahn hier, zu Hilfe genommen. Falls wir uns eines Tages in irgendeinem Teil der Welt wiedersehen sollten, wurde ich mir gern von euch erklaren lassen, wozu eure zahe Hartnackigkeit diente, doch jetzt gibt es Wichtigeres zu entscheiden. Und zwar, wie ihr eure Haut retten konnt.«

»Kannst du uns ein paar Ratschlage geben?« fragte Aurelius. »Du kennst die Orte und Leute hier besser als wir.«

Der Bootsfuhrer breitete die Arme aus.

»Vielleicht habe ich eine Idee«, sagte Ambrosinus. »Aber wir brauchen einen Karren. Sofort.«

»Einen Karren? Zu dieser nachtlichen Stunde ist das gar nicht so einfach, aber ich wei?, wo sie welche vermieten. Eigentlich mu?tet ihr ihn zwanzig Meilen von hier wieder abgeben, aber das sind Verluste, die sie mit einbeziehen. Ihr Verdienst reicht hin, da? sie nach zwei oder drei Fahrten wieder auf ihre Kosten kommen, also macht euch darum keine allzu gro?en Sorgen. Ich werde nachsehen, und ihr haltet euch bereit ... Darf ich fragen, was ihr mit dem Karren vorhabt?«

Verlegen senkte Ambrosinus den Kopf. »Es ist besser, wenn du es nicht wei?t. Du verstehst doch hoffentlich, wie ich das meine, nicht wahr?« Der Bootsfuhrer nickte, dann ging er wieder hinauf auf das Deck. Kurz darauf war er schon im Labyrinth der Gassen verschwunden, die um den Hafen verliefen.

»Was hast du vor?« fragte Aurelius.

»Wir machen das, was die Franken vor drei?ig Jahren taten. Wir fahren uber das Eis auf die andere Seite.«

»In der Nacht und ohne zu wissen, ob uns das Eis auch tragt?« fragte Batiatus mit weit aufgerissenen Augen.

»Wenn einer eine bessere Idee hat, so gebe er sie kund«, antwortete Ambrosinus.

Alle schwiegen still.

»Dann ist es also abgemacht«, schlo? Ambrosinus. »Bereitet eure Sachen vor, und dann mu? einer nach oben gehen und Vatrenus benachrichtigen.« Demetrios meldete sich, um die Botschaft zu uberbringen, doch plotzlich sprang Romulus auf und kam ihm zuvor. »La?t mich gehen. Ich werde ihm noch etwas Suppe bringen.«

Romulus war erst kurze Zeit oben auf Deck verschwunden, als plotzlich wilder Tumult zu horen war und Vatrenus mit lauter Stimme rief: »Bleib stehen, bleib doch stehen! Wo willst du denn hin!«

Als Ambrosinus klar war, was da oben vor sich ging, rief er so laut er nur konnte: »Lauft, um Gottes willen, lauft alle!« Mit riesigen Schritten hastete Aurelius nach oben auf Deck, gefolgt von Livia und Demetrios. Inzwischen war Vatrenus bereits auf die Mole gesprungen und rief, wahrend er eilends weiterrannte: »Bleib stehen! Bleib stehen, habe ich gesagt!«

Die anderen liefen hinter ihm her, bis sie schlie?lich an drei Stra?en gelangten, die in drei verschiedene Richtungen fuhrten.

»Vatrenus folgte der mittleren Stra?e«, sagte Demetrios. »Derweil gehe ich nach rechts, wahrend du und Livia die linke Stra?e einschlagt. Und dann werden wir uns, so bald wie moglich, hier wieder treffen«. In einiger Entfernung war das Gerausch aufgeregter Schritte zu horen, dazu Vatrenus Stimme, der immer wieder nach Romulus rief. Alle nahmen an der Verfolgung teil. Schon bald fand sich Aurelius an einer Weggabelung wieder. »Dorthin«, sagte er zu Livia. »Ich gehe in diese Richtung.« Demetrios lief indessen eine leicht ansteigende Stra?e entlang, von der er annahm, da? sie parallel zu der Stra?e verlief, die Vatrenus entlang gerannt war. Er suchte uberall, blickte in jeden Winkel, doch in den nachtdunklen Gefilden kam es ihm vor, als suche er nach einer Nadel im Heuhaufen. Livia und Aurelius hatten auch nicht mehr Gluck. Keuchend blieben sie schlie?lich an einer Kreuzung stehen.

»Warum hat er das blo? getan?« fragte Livia.

»Verstehst du denn nicht? Er will nicht, da? wir fur ihn noch weitere Muhen und Gefahren auf uns nehmen. Er glaubt, er sei fur uns eine gefahrliche Last, und will sich deswegen selbst aus dem Weg raumen.«

»Mein Gott, nein!« rief Livia, wahrend sie nur mit Muhe die Tranen zuruckhalten konnte.

»Wir suchen weiter«, sagte Aurelius. »Weit kann er nicht gekommen sein.«

Romulus hatte unterdessen einen kleinen Platz erreicht, an dem sich eine Taverne befand, und blieb stehen. Fur einen Augenblick uberlegte er, ob er dort eintreten und sich gegen Kost und Logis als Bursche zum Saubermachen und als Tellerwascher verdingen sollte. Er fuhlte sich sehr allein, und die Entscheidung, die er uber seine Zukunft getroffen hatte, machte ihn verzweifelt und angstlich. Dennoch war er sicher, das Beste getan zu haben. Er stie? einen tiefen Seufzer aus und schickte sich an, durch die Tur zur Taverne zu treten, als diese sich weit offnete und im Licht der Laterne den Blick auf einen von Wulfilas Barbaren freigab. Ihm folgten noch drei weitere, und es sah ganz so aus, als wollten sie auf seine Seite heruberkommen. Zu Tode erschrocken, machte Romulus kehrt, um davonzulaufen, stie? aber gegen jemanden, der ihm in den Weg getreten war. Er fuhlte nur noch, wie ihn eine Hand an der Schulter packte und eine andere ihm den Mund verschlo?. Noch verangstigter tat er alles, um sich diesem Griff zu entwinden, als eine vertraute Stimme zu ihm sagte: »Pscht! Ich bin's, Demetrios. Halt doch still. Wenn die uns sehen, ist alles aus.«

Und so wichen sie, ohne das kleinste Gerausch zu machen, langsam zuruck, dann zog ihn Demetrios im Laufschritt hinter sich her in Richtung Hafen. Ambrosinus wartete bereits dort auf sie und hielt sich, das Gesicht vor Angst ganz verzerrt, an der Reling fest, wahrend die Gefahrten hilflos um ihn herumstanden.

»Was hast du nur angestellt!« rief er aus, sobald er ihn sah, und hob die Hand, um ihm eine Ohrfeige zu geben. Doch Romulus blickt ihm fest und ohne mit der Wimper zu zucken in die Augen. Als Ambrosinus den wurdevollen Blick und die Erhabenheit seines Herrschers wahrnahm, hielt er sogleich inne und beugte sein Haupt. »Du hast unser aller Leben in Gefahr gebracht. Livia, Vatrenus und Aurelius suchen noch immer nach dir, und jeder Augenblick erhoht die Gefahr, in der sie sich befinden.«

»Das ist wahr«, bestatigte Demetrios. »Es hatte nicht viel gefehlt, und ich ware mit Wulfilas Mannern zusammengesto?en. Sie sind in der Stadt unterwegs, offensichtlich suchen sie uns.«

Romulus brach in Tranen aus und rannte unter Deck, um sich irgendwo zu verstecken.

»Sei nicht zu streng mit ihm«, sagte Demetrios. »Er ist doch noch ein Junge und fuhlt sich sicher ganz schrecklich. Dabei mu? er sich mit Entscheidungen herumschlagen, die weit gro?er sind als er.«

Ambrosinus seufzte und ging wieder zur Reling, um nach den anderen zu schauen, als die Stimme des Bootsfuhrers an sein Ohr drang. »Ich habe einen Wagen gefunden«, sagte er, wahrend er uber den Steg auf das Schiff stieg. »Ihr habt Gluck. Aber ihr solltet euch beeilen, der Verleiher will seinen Laden schlie?en und zu Bett gehen.«

»Es gab leider einige Schwierigkeiten«, antwortete Demetrios. »Ein paar von uns sind unterwegs in der Stadt.«

»Schwierigkeiten? Was denn fur Schwierigkeiten?«

»Ich werde mit dir gehen«, sagte Ambrosinus. »Ihr anderen wartet hier, aber da? sich um Himmels willen niemand wegruhrt, bis ich wieder da bin.«

Demetrios nickte und blieb als Wachtposten zuruck, um zusammen mit Orosius und Batiatus auf die Freunde zu warten. Als erster traf Vatrenus ein und dann, einige Zeit spater, Livia, gefolgt von Aurelius. Sie fuhlten sich erschopft und niedergeschlagen.

»Beruhigt euch«, sagte Demetrios. »Ich habe ihn wie durch ein Wunder gefunden. Er wollte in eine Taverne hineingehen, glaube ich. Es hatte nicht viel gefehlt, und wir waren Wulfilas Halsabschneidern in die Hande gefallen.«

»In eine Taverne?« fragte Aurelius. »Und wo ist er jetzt?«

»Unter Deck. Ambrosinus hat ihn gescholten.«

»Ich gehe zu ihm«, meinte Livia und verschwand unter Deck.

Romulus sa? zusammengekauert in einer Ecke und hatte den Kopf auf die Knie gestutzt; er weinte leise vor sich hin. Livia trat zu ihm und beruhrte ihn leicht. »Vor lauter Angst um dich sind wir fast gestorben«, sagte sie. »Tu das nie wieder, ich bitte dich. Nicht du brauchst uns. Wir brauchen dich, verstehst du denn nicht?«

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