wahr?«
Der Bootsfuhrer sah sich bereits verloren, da er keine dieser Behauptungen abstreiten konnte. »Seine Freunde hatten ihn hier erwartet«, antwortete er. »Sie haben mich fur die Fahrt bezahlt und sich immer gut benommen. Ich konnte nicht ...«
»Schweig! Diese Manner werden wegen ubelster Delikte gesucht, die sie im Staatsgebiet des Imperiums begangen haben. Sie haben den Jungen geraubt, den wir jetzt zu befreien suchen, um ihn seinen Eltern zuruckzubringen. Hast du verstanden?«
Einen Augenblick lang war sich der Bootsfuhrer im Zweifel, ob dieser Narbengesichtige die Wahrheit sagte, vor allem, wenn er an Romulus plotzliche Flucht und die hektische Suche nach ihm in der vorangegangenen Nacht dachte. Doch dann erinnerte er sich, wie freundlich und liebevoll sich seine Reisegefahrten ihm gegenuber verhalten hatten und der Knabe diese Zuneigung auch erwiderte. Also quetschte er nur zwischen den Zahnen hervor: »Warum sollte ich mich um den Lebenslauf all der Leute kummern, die mein Schiff betreten? Mir reicht es, wenn sie mich bezahlen und mir keinen Arger machen. Und genau das haben die getan. Alles andere geht mich nichts an, und ich will es auch nicht wissen. Ich mu? jetzt heimfahren, und darum ...«
»Du gehst erst, wenn ich es dir erlaube!« schrie Wulfila und versetzte ihm mit dem Handrucken einen Schlag. »Erst wirst du mir sagen, wohin sie gegangen sind, oder du wirst es bereuen, da? du je geboren wurdest!«
Zu Tode erschrocken und mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte der Mann, seine Schinder davon zu uberzeugen, nichts zu wissen, aber er war auch nicht bereit, sich ihrer Folter auszusetzen. Zunachst tat er alles, um den Faustschlagen und Fu?tritten zu widerstehen, und er bi?, als sie ihm die Arme auf den Rucken drehten, bis sie beinahe brachen, fest die Zahne aufeinander, um jeden Schmerzensschrei zu ersticken. Das tat er auch noch, als ihm das Blut aus seinen geplatzten Lippen stromte und von der gequetschten Nase herunterrann, doch als er erkannte, da? Wulfila nach seinem Dolch griff, gab er in panischer Angst schlagartig jeden Widerstand auf. Er sagte: »Heute nacht sind sie mit einem Karren nach Norden gefahren ...«
Mit einem Fu?tritt streckte ihn Wulfila zu Boden, dann steckte er seinen Dolch wieder weg. »Bitte deinen Gott, da? wir sie finden, andernfalls werde ich wiederkommen und dich bei lebendigem Leib mitsamt deinem Kahn verbrennen.«
Er beauftragte zwei Manner, ihn zu bewachen, dann sprang er auf die Mole hinab, bestieg sein Pferd und galoppierte nach Norden. Seine Manner folgten ihm.
»Da sind Spuren von Wagen und Pferd zu erkennen«, rief einer der Krieger, nachdem sie die Stadt verlassen hatten. »Gleich wird sich herausstellen, ob es ihre sind.« Er lie? sich zu Boden gleiten und untersuchte, wie tief sich die Spuren von Jubas Hufen im Schnee abgedruckt hatten. Sofort erkannte er sie wieder. Mit einem zufriedenen Grinsen drehte er sich zu seinem Anfuhrer um. »Sie sind es, das Schwein hat die Wahrheit gesagt.«
»Endlich!« rief Wulfila aus. Er zog sein Schwert aus der Scheide und lie? es, die Faust hoch emporgereckt, unter den Jubelrufen seiner Manner in der Luft erglanzen. Dann gab er seinem Pferd die Sporen und sprengte im Galopp auf der verschneiten Stra?e davon.
Unterdessen war es Aurelius gelungen, seine Kameraden sicher ans andere Ufer zu bringen, nur er blieb zuruck, um Juba mitsamt dem Wagen hinuberzugeleiten. Zu Fu? ging er vor Juba her, wobei er ihn am Zugel hielt und standig beruhigend auf ihn einredete, um ihm bei dem sonderbaren Marsch uber diesen glasernen Boden, der seinen Hufen keinen Halt bot, Mut zuzusprechen. »Langsam, Juba, langsam, siehst du? Alles in Ordnung, jetzt gehen wir zu Romulus, der wartet da druben schon auf uns, da, siehst du ihn? Siehst du, wie er uns Zeichen gibt?«
Sie befanden sich in der Mitte des Flusses. Aurelius war wegen Jubas kraftiger Statur und dem Gewicht des Wagens, das hauptsachlich auf den schmalen Eisenbandern um die Rader lastete, stark beunruhigt. Mit gespitzten Ohren versuchte er noch das leiseste Knirschen im Eis wahrzunehmen, das ihm ankundigte, wann sich ein Spalt auftat, der ihn und sein Pferd verschlingen und sie dem eiskalten Wasser uberantworten wurde. Ein Tod, der ihm panischen Schrecken einjagte. Ab und zu warf er einen Blick auf seine Kameraden auf der anderen Flu?seite. Er konnte die Anspannung spuren, die sie peinigte, wahrend sie auf ihn warteten.
»Jetzt, komm!« rief plotzlich Batiatus. »Du bist uber den schwachsten Punkt hinweg. Nun mach schon, beeil dich!«
Aurelius beschleunigte seinen Schritt, doch wunderte es ihn, da? seine Kameraden nicht aufhorten, ihm mit immer schrillerer Stimme aufgeregt zuzurufen. Da erfa?te ihn ein furchtbarer Gedanke, also drehte er sich um und entdeckte in einer Entfernung von kaum einer Meile eine geschlossene Gruppe von Reitern, die den Flu?damm entlang galoppierten. Wulfila! Schon wieder er! Wie konnte das sein? Wie nur gelang es diesen Bestien, wie die Gespenster der Holle standig aus dem Nichts wieder aufzutauchen? Im Laufschritt zerrte er sein Pferd dem gegenuberliegenden Ufer entgegen, das bereits ganz nahe vor ihnen lag, dann zog er das Schwert und bereitete sich auf den todlichen Zusammensto? vor.
Auch die Gefahrten stellten sich mit ihren Waffen in der Faust darauf ein, Romulus Flucht zu beschutzen.
»Aurelius«, schrie Vatrenus, »mach das Pferd los und flieh mit dem Jungen. Wir werden versuchen, so lange wie moglich Widerstand zu leisten. Geh, geh, bei allen Teufeln!«
Doch Romulus hielt sich an den Speichen der Wagenrader fest und rief: »Nein, ich gehe nicht. Ich will nicht ohne euch gehen! Ich will nicht mehr fliehen!«
»Nimm ihn und geh! Weg! Weg!« rief Vatrenus unaufhorlich und fluchte auf alle Damonen und Gotter, die er nur kannte. Mittlerweile hatten die feindlichen Reiter das gegenuberliegende Ufer erreicht und machten sich bereit, den vereisten Flu? zu uberqueren. Wulfila versuchte, sie zuruckzuhalten, da er die drohende Gefahr vorhersah, doch drangte der brennende Wunsch, der aufreibenden Verfolgungsjagd ein fur allemal ein Ende zu setzen, die Manner dazu, sich wie besessen auf die Eisflache des Flusses zu sturzen. In diesem Augenblick wandte sich Demetrios an seine Gefahrten: »Seht nur, wie sie in geschlossener Gruppe vorrucken. Das Eis wird niemals halten. Wenn wir sofort losmarschieren, sind wir gerettet. Also, hinauf auf den Karren!« Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als sich auch schon unter dem Gewicht der Reiter ein Spalt auftat, der sich durch die hammernden Hufe der heranpreschenden zweiten Welle von Angreifern in schlangelnden Linien verbreiterte, bis das Eis brach und das Wasser daraus hervorquoll. Immer mehr Reiter rutschten auf dem bruchigen Eis aus und sturzten schwer hernieder, wodurch eine gro?e Platte abplatzte. Wulfila schrie: »Halt! Zuruck! Das Eis tragt nicht, zuruck!«
»Gehen wir!« rief Aurelius bei diesem Anblick. »Weg! Vielleicht schaffen wir es noch!« In hochster Eile sprangen alle auf den Wagen, wahrend Ambrosinus mit den Zugeln auf Jubas Rucken eindrosch. Wie von Furien gehetzt, fuhren sie davon, doch war ihnen nur ein sehr kurzes Aufatmen vergonnt. Nachdem er seine Manner wieder zuruckgetrommelt hatte, lie? Wulfila sie ein Stuck weit entfernt nacheinander das Eis uberqueren, so da? er die Verfolgung erneut aufnehmen konnte. Gegenuber dem vollbeladenen Karren gewann er schnell an Boden. Rasch verteilte Aurelius beim Erscheinen der Manner die Waffen an seine Kameraden, wahrend Livia sofort einen Pfeil an ihrem Bogen ansetzte und zielte. Gerade, als die Barbaren in Schu?weite waren, bemerkte sie, wie diese zusehends langsamer wurden und schlie?lich ganz stehenblieben. »Was ist denn da los?« sagte Vatrenus.
»Ich wei? es nicht«, antwortete Aurelius, der erkannte, da? auch der Wagen an Geschwindigkeit verlor, »aber bleibt nicht stehen. Bleibt blo? nicht stehen!« »Ganz einfach ausgedruckt, wir sind gerettet!« rief Ambrosinus. »Seht nur!«
Vor ihnen erhob sich eine Gruppe von Bewaffneten zu Pferde und eine Vielzahl von Infanteristen, die urplotzlich aus dem Nebel aufgetaucht waren. Sie ruckten, auf breiter Front verteilt, im Schrittem-po vor und hielten die Waffen in der Faust. Wie vom Donner geruhrt, befahl Wulfila seinen Mannern anzuhalten und blieb dann in respektvoller Entfernung stehen.
Auch die Truppen, die aus dem Nebel erschienen waren, blieben nun stehen. Ihre Ausrustung und Feldzeichen lie?en keine Zweifel -es waren romische Truppen!
Ein Offizier trat vor. »Wer seid ihr?« fragte er. »Und wer sind die, die euch verfolgt haben?«
»Gott segne euch!« rief Ambrosinus aus. »Wir verdanken euch unser Leben.«
Aurelius salutierte mit militarischem Gru?. »Aurelianus Ambrosius Ventidius«, stellte er sich vor. »Erste Kohorte, Legio Nova Invic-ta.«
»Rufius Elius Vatrenus«, vermeldete wie ein Echo der nachste. »Legio Nova Invicta.«
»Cornelius Batiatus ...«, setzte der athiopische Riese an.
»Legion?« fragte der Offizier entgeistert. »Legionen gibt es seit einem halben Jahrhundert nicht mehr.