Woher kommst du, Soldat?«
»Du kannst ihm glauben, Kommandant«, sagte Demetrios. »Und wenn du uns etwas warme Suppe und einen Becher Wein anbietest, werden wir dir ein paar Geschichten erzahlen.«
»In Ordnung«, antwortete der Offizier. »Kommt mit uns.«
Nach ungefahr einer Meile rund um den Hugel standen sie vor einem Lager, das etwa tausend Manner beherbergte. Der Kommandant hie? sie vom Wagen absteigen und brachte sie in sein Zelt. Rasch eilten seine Diener herbei, um ihm das Koppel mit dem Schwert zu offnen, seinen Helm abzunehmen und einen Feldstuhl hinzustellen. Ein weiterer Untergebener brachte ihnen die gleiche Ration, die auch an die Truppe verteilt wurde, und alle begannen zu essen. Romulus, der sich langsam von der Angst und der Kalte erholte, die seine Glieder hatten erstarren lassen, wollte sich zunachst voller Freude auf das Essen sturzen, pa?te sich dann aber dem Verhalten seines Lehrers an und loffelte gleich ihm mit durchgedrucktem Rucken wurdevoll seine Suppe.
»Eine buntgemischte Gesellschaft seid ihr da«, hub der Offizier an. »Drei Legionare, wenn ich euren Worten Glauben schenken darf und, nach dem Barte zu schlie?en, ein Philosoph. Dazu ein paar Deserteure, so mich meine Ohren nicht trugen, und eine junge Frau mit allzu hochmutigem Benehmen und zu dunnen Beinen, als da? sie zur Bettgefahrtin taugte. Zu guter Letzt noch ein Jungelchen, das kaum einen Hauch von Haarwuchs unter der Nase hat, sich aber so dunkelhaft auffuhrt wie ein Staatsmann der alten Republik. Ganz zu schweigen von der Schar Halsabschneider, die sich euch an die Fersen hefteten. Was soll ich nur von euch halten?«
Ambrosinus, der diese Fragen bereits vorausgesehen hatte, hatte sofort eine Antwort parat. »Du hast eine scharfe Beobachtungsgabe, Kommandant. Es ist mir klar, da? unser Au?eres Argwohn in dir erweckt, doch wir haben nichts zu verbergen und konnen alles erklaren. Dieser Junge ist das Opfer einer schrecklichen Verfolgung. Als letzter Erbe einer hohen Adelsfamilie wurde er durch die Unverschamtheit eines Barbaren in Diensten der kaiserlichen Armee der Guter seiner Ahnen beraubt. Nicht genug damit, da? dieser Unmensch ihm alles genommen hat - er hat auch auf jede erdenkliche Weise versucht, den Knaben zu toten, damit dieser auch in Zukunft niemals sein Recht auf das vaterliche Erbe geltend machen kann. Und so schickte er uns eine Schar gedungener Morder auf den Hals, die uns seit Wochen nicht in Ruhe lassen und heute sicher ihr Ziel erreicht hatten, wenn du nicht aufgetaucht warest. Die junge Frau ist die altere Schwester des Knaben, sie wuchs auf wie eine Amazone, die Camilla und Penthesilea nacheifert. Sie hat es im Umgang mit Bogen und Speer zu unvergleichlicher Meisterschaft gebracht und sich als wackere Verteidigerin ihres jungeren Bruders erwiesen. Was mich betrifft, so bin ich sein Erzieher. Mit dem Geld, das ich versteckt hatte, habe ich diese tapferen Kampfer rekrutiert, die ein Gemetzel der Barbaren uberlebten, und unser aller Geschick miteinander vereint. Euch im Glanz eurer Waffen, dazu die romischen Feldzeichen im Wind flattern zu sehen und eure Lippen die lateinische Sprache sprechen zu horen, ist ein unsagbarer Trost fur uns alle. Wir danken dir aus tiefstem Herzen fur unsere Errettung.«
Unter dem Eindruck dieser hervorragend vorgetragenen Rede verstummten sie alle, doch erschien der Kommandant, ein Veteran so zah wie Leder, dadurch nicht sonderlich beruhrt zu sein.
So antwortete er blo?: »Mein Name ist Sergius Volusianus,
»Was haltet ihr davon?« fragte Ambrosinus.
»Ich wei? es nicht«, antwortete Aurelius. »Mir scheint, er glaubt die Geschichte, die du ihm erzahlt hast, nicht ganz.«
»Die allerdings beinahe der Wahrheit entspricht.«
»Dieses >beinahe< ist auch ein Problem. Hoffen wir das Beste. Doch wie immer dem auch sei, wir sind jetzt in einer weit besseren Lage und konnen uns, zumindest vorlaufig, in Sicherheit wiegen. Dieser Kommandant ist bestimmt ein hervorragender Soldat und wahrscheinlich auch ein Ehrenmann.«
»Und Wulfila?« fragte Orosius. »Glaubt ihr, da? er jemals aufgeben wird? Zwar stehen seine Aussichten zum jetzigen Zeitpunkt recht schlecht, da uns eine kampferprobte und zahlenma?ig uberlegene Truppe schutzt. Und auf dieser Seite des Rheins ist er es, der sich in Gefahr befindet.«
»Ich wurde mir daruber keine allzu gro?en Illusionen machen«, antwortete Aurelius. »Vielleicht bekommt er die Franken dazu, ihm zu helfen. Seine Entschlossenheit kennt keine Grenzen, das haben wir ja schon gesehen, als er uns zwang, bis an die au?ersten Grenzen des Reiches zu fliehen. Jeder andere an seiner Stelle hatte langst aufgegeben, aber nicht er. Und jedesmal, wenn wir ihm wieder be-gegneten, gebardete er sich noch wilder und aggressiver als zuvor -ganz so, als sei er direkt der Unterwelt entstiegen. Au?erdem hat er Casars Schwert in seiner Gewalt.«
»Manchmal denke ich wirklich, da? er ein Damon ist«, sagte Orosius, wobei der Ausdruck seiner Augen mehr als seine Worte sagte.
»Es war Aurelius, der ihm das Gesicht zerfetzte, du kannst also sicher sein, da? er, wie wir alle, aus Fleisch und Blut besteht«, erwiderte Demetrios. »Doch wie dem auch sei, ich kann es mir einfach nicht erklaren, warum er sich gar so unversohnlich zeigt und uns mit dieser besessenen Unerbittlichkeit verfolgt.«
»Ich schon«, wand Ambrosinus ein. »Aurelius hat ihn mit dieser Wunde verunstaltet, kaum einer hat ihn anschlie?end mehr wiedererkannt. Mit dieser Entstellung bleibt ihm fur immer die Hoffnung auf das Paradies eines Kriegers versagt, was eine unertragliche Strafe fur einen Mann seines Geschlechts bedeutet. Wulfila entstammt einem ostgotischen Volk, das fanatisch an militarische Tapferkeit und das Schicksal eines Kampfers im Jenseits glaubt. Um sich zu rehabilitieren, Aurelius, mu? Wulfila dir genau das antun, was du ihm angetan hast. Er mu? auch dir das Gesicht bis auf die Knochen zerschneiden und dann seinem Kriegsgott in deinem zum Becher umgewandelten Schadel ein Trankopfer darbieten. Wir mussen damit rechnen, da? wir ihn erst nach dem Tag seines Todes nicht mehr wiedersehen werden.«
»Eine Aussicht, um die ich dich nicht beneide«, kommentierte Vatrenus. Doch Aurelius schien diese Worte nicht sonderlich ernst zu nehmen. »Dann ist er also hinter mir her. Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«
»Weil du wahrscheinlich irgendeine Dummheit begangen hattest, wie etwa, ihn zum Zweikampf herauszufordern.«
»Ja, das ware eine Moglichkeit«, entgegnete Aurelius.
»Keineswegs. Mit Casars Schwert in seinen Handen besteht nicht die geringste Hoffnung fur dich. Im ubrigen will er ohne Zweifel auch Romulus haben, sonst hatten wir ihn nicht in der
Alle blickten einander an, denn eigentlich verstanden sie gar nichts. Noch nicht. Doch spurten sie auf irgendeine Weise, da? dieser Mann recht hatte und der beseelte Ausdruck in seinen Augen nicht trog. Jedesmal, wenn er ihr zukunftiges Schicksal andeutete, das ihm so klar schien, wahrend es fur sie nur schemenhaft blieb, sprach er wie ein Mann, der bei Tagesanbruch auf einem Turm Wache halt und als erster die Sonne aufgehen sieht.
XXXI
Spater am Tag setzte sich die Kolonne von Sergius Volusianus in Richtung Nordwesten in Bewegung und marschierte sechs volle Tage, bis sie im Reich des Syagrius eintraf, wobei sie pro Tag fast zwanzig Meilen zurucklegte. Markiert wurde das Staatsgebiet des
Sie betraten die Garnison durch ein befestigtes Tor, begru?t von den langgezogenen Tonen einiger