und unerwartet hatte Aurelius sein Herz einen Spaltbreit aufgetan und offenbarte ihr seine Gefuhle.

»Warum hast du dich nie vorher geoffnet?« fragte sie ihn. »Warum mir nicht erlaubt, deine Empfindungen zu erkennen? Immer, wenn ich es versuchte, hast du mich abgewiesen und mir damit jeden Zugang zu deinem Herzen verwehrt. Mein Leben hat keinen Sinn, wenn ich fern von dir bin. Ich wei?, auch ich habe einen Fehler begangen, als ich mir nicht eingestand, wie sehr ich dich schon vom ersten Augenblick an geliebt habe. Ich habe mich auch gegen dieses Gefuhl gewehrt, es sogar vor mir selbst geheimgehalten. Ich befurchtete, es konnte mich schwach und verletzlich machen, wahrend ich doch in meinem Leben lernen mu?te, niemals irgendwelche Schwachen zu zeigen.«

»Ich wollte dich nicht zuruckweisen«, antwortete Aurelius. »Ich hatte auch keine Angst, dir mein Herz zu offnen. Ich furchtete lediglich das, was du darin siehst. Du wei?t nicht, was sich alles in meinem Inneren abspielt, wieviel Leid ich empfinde und wie sehr ich gegen meine eigenen Gespenster ankampfen mu?. Wie kann ich mich an einen anderen Menschen binden, da doch mein Inneres so gespalten ist? Ich lebe standig in der Furcht, da? mich die Erinnerungen uberfallen und mein Wesen verandern, mich zu einem Fremden werden lassen, vielleicht einem verabscheuenswerten, nichtswurdigen Subjekt. Verstehst du, was ich sage?«

Livia lehnte den Kopf an seine Schulter, wahrend sie nach seiner Hand suchte. »Ganz so ist es nicht. Du wirst fur mich immer so sein, wie ich dich sehe und kenne. Wenn ich in deine Augen sehe, so sehe ich einen guten, gro?mutigen Menschen. Dann brauche ich keinen Beweis mehr dafur, da? du tatsachlich der bist, fur den ich dich halte. Oder ob es dein Antlitz war, das sich in mein Gedachtnis eingepragt hat, als ich ein kleines Madchen war. Was deine Vergangenheit auch immer verbirgt, es interessiert mich nicht, gleichgultig, was immer es auch sei.«

Aurelius erhob sich und schaute ihr in die Augen, sein Blick war gramerfullt. »Was immer es auch sei? Wei?t du uberhaupt, was du da redest?«

»Es bedeutet, da? ich dich liebe, Soldat, und dich immer lieben werde, ganz gleich, welches Los uns das Schicksal auferlegt. Liebe ist furchtlos und gibt uns die Kraft, den Widrigkeiten des Lebens die Stirn zu bieten, jeden Schmerz und jede Enttauschung zu uberwinden. Hor auf, dich zu qualen! Alles, was ich von dir wissen will, ist, ob du fur mich auch so empfindest wie ich fur dich.«

Aurelius schlo? sie in seine Arme und ku?te sie. Mit verdurstenden Lippen suchte sein Mund den ihren, und er pre?te sie an sich, als wollte er mit seinem Korper zum Ausdruck bringen, was er mit Worten nicht zu sagen vermochte. »Ich liebe dich, Livia«, sagte er, »mehr als du dir vorstellen kannst. Und die Leidenschaft, die ich in diesem Moment in meinem Herzen verspure, ist so gro?, da? sie allen Schnee und alles Eis, das uns umgibt, zum Schmelzen bringt. Selbst wenn sich alles gegen uns richten sollte, selbst wenn die Zukunft ein ebenso beangstigendes Geheimnis birgt wie meine Vergangenheit, so liebe ich dich. Ich liebe dich mehr, als je einer dich auf Erden oder im Reich der Unterwelt lieben wird.«

»Warum jetzt?« fragte ihn Livia. »Warum hast du diesen Moment gewahlt?«

»Weil du bei mir bist und weil meine Einsamkeit auf diesem eiskalten Wasser und in diesem gestaltlosen Nebel unertraglich ist. Halt mich fest, Livia, gib mir die Kraft zu glauben, da? uns nie mehr etwas trennen kann.« Livia fiel ihm um den Hals, und lange hielten sie sich in dem schwachen, winterlichen Licht eng umschlungen, wahrend ihnen der Wind die Haare verwehte und zu einer einzigen braunen Wolke verschmolz.

Nun war der vorletzte Tag ihrer Schiffsreise angebrochen, und besorgt blickte der Bootsfuhrer auf die im Flu? schwimmenden Eisklumpen.

»Deine Bedenken waren nicht unbegrundet«, sagte Ambrosinus, als er zu ihm trat. »Der Flu? friert tatsachlich zu.«

»Leider«, antwortete der Bootsfuhrer. »Aber zum Gluck haben wir unser Ziel fast erreicht. Morgen werden wir gegen Abend vor Anker gehen. Ich kenne einen Bootsverleiher in dem germanischen Hafen, der am Ostufer gelegen ist, der kann euch bis zur Mundung mitnehmen. Doch wenn die Dinge so liegen, wie es scheint, wird die Schiffahrt bestimmt zum Erliegen kommen, bis das Eis wieder geschmolzen ist.«

»Wann wird das sein? Im Fruhling?«

»Nicht unbedingt. Auch im Winter schwanken gelegentlich die Temperaturen. Am besten, ihr sucht euch eine Bleibe und wartet ab. Die Kalte konnte vorubergehend sein, dann habt ihr die Moglichkeit, die Fahrt bis zum Ozean auf einem anderen Schiff fortzusetzen. Von dem Hafen dort jedenfalls konnt ihr leicht und ohne Schwierigkeiten an einem Tag, an dem die See ruhig ist, nach Britannien ubersetzen.«

Am Abend gingen sie am rechten Ufer gegenuber der Stadt Argentoratum vor Anker. Gerade noch rechtzeitig, da der Wind aus Nordwesten wieder aufzufrischen begann und stetig starker und kalter blies. Es bildeten sich immer mehr und kompaktere Eisklumpen, die mit dumpfem Gerausch gegen die Seitenwande des Bootes stie?en. Mitleidig blickte der Bootsfuhrer auf die versprengte Schar der Fluchtlinge. Welche Moglichkeiten blieben ihnen in einem Land, dessen Stra?en und sichere Wege sie nicht kannten, mitten im Winter, der immer weiter voranschritt und Schnee und Eis, Sturme und Hunger mit sich brachte? Er trat zu Ambrosinus, der zu seiner Geldborse griff, um ihn zu bezahlen, und sagte: »La? nur. Ich hatte das Gluck, meinen Transport gut zu Ende zu bringen. Der Nordwind brachte mich schneller wieder nach Hause, als ich mir erhofft habe. Behalte dein Geld, das euch nutzlich sein kann. Diese Nacht konnt ihr noch auf meinem Boot verbringen, das wahrscheinlich sicherer und bequemer ist als jede Taverne in der Stadt. Au?erdem fallt ihr so nicht weiter auf. Eure Feinde konnten bereits hier in der Gegend sein.«

»Ich danke dir«, antwortete Ambrosinus, »auch im Namen meiner Kameraden. In unserer Lage ist ein Freund das Kostbarste, was man sich wunschen kann.«

»Aber was werdet ihr morgen tun?«

»Meine Absicht war es, zum anderen Ufer uberzusetzen, wo unsere Feinde keine Unterstutzung erwarten konnen. Dort finden wir sicher die eine oder andere hilfreiche Hand. Wir machen uns also auf den Weg zur Seine, um dann auf ihr flu?abwarts mit einem Schiff bis zum britannischen Kanal zu fahren.«

»Das scheint mir eine gute Losung zu sein.«

»Konntest du uns vielleicht noch nach Argentoratum auf der anderen Flu?seite ubersetzen?«

»Das kann ich nicht, aus mehreren guten Grunden. Einerseits erwarte ich eine Fuhre Tierhaute aus dem Landesinneren, zum anderen haben wir Gegenwind. Und das Eis, das auf dem Strom schwimmt, bringt uns in Gefahr zu kentern. Besser ist, ihr geht am Ufer entlang und uberquert den Flu? weiter vorn, sofern ihr eine Furt findet. Oder wenn morgen die Temperaturen steigen, gibt es sicher ein Fahrboot, das euch auf die andere Seite bringt.«

Ambrosinus nickte, dann scharte er seine Gefahrten um sich und erklarte ihnen die Vorhaben fur den nachsten Tag. Sie beschlossen, da? auf jeden Fall einer von ihnen Wache halten sollte. Vatrenus stellte sich fur die erste Runde zur Verfugung und Demetrios fur die zweite. »Ich habe so oft bei Schnee und Eis auf der Donau Wache geschoben«, sagte Demetrios. »Daran bin ich gewohnt.«

Als sich die Dunkelheit herabsenkte, ging der Bootsfuhrer von Bord, kehrte erst spat in der Nacht wieder zuruck und meldete sich mit einem Rufzeichen bei Vatrenus, der sehr auf der Hut war. Juba, der auf dem Vorschiff an die Reling gebunden war und zudem Fu?fesseln trug, schnaubte leise. In diesem Augenblick erschien Livia mit einer Schussel dampfender Suppe fur Vatrenus und futterte auch das Pferd mit ein paar Handvoll Gerste aus einem Sack.

»Wo sind die anderen?« fragte der Bootsfuhrer.

»Unter Deck. Gibt es etwas Neues?«

»Leider ja«, sagte er. »Komm rasch nach.« Dann stieg er mit der Laterne in der Hand in das Schiffsinnere.

Livia folgt ihm kurz darauf, und der Bootsfuhrer begann: »Ich bringe keine erfreulichen Nachrichten. Es sind Fremde im Ort eingetroffen, die nach der Beschreibung und ihrem Verhalten eure Verfolger sein konnten. Sie fragen nach einer Gruppe von Fremdlingen, die sich angeblich heute abend ausgeschifft haben. Es besteht also kein Zweifel, da? nach euch gesucht wird. Wenn ihr an Land geht, wird man euch sicher bald ausmachen. Sie versprechen jedem Geld, der ihnen Informationen liefert, und an diesem Ort gibt es eine Menge Leute, die fur eine Handvoll Munzen ihre eigene Mutter verkaufen wurden, das konnt ihr mir glauben. Au?erdem horte ich, da? zwanzig Meilen weiter nach Norden der Flu? zugefroren ist. Selbst wenn ich wollte, konnte ich euch nicht dorthin bringen.«

»Ist das alles?« fragte Ambrosinus.

»Mir scheint, das reicht«, bemerkte Batiatus.

»Ja, das ist alles«, bestatigte der Bootsfuhrer. »Dabei mu? auch berucksichtigt werden, da? dieses Schiff

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