Schlacht davongetragen hatte.
Ich allein kenne noch seine letzten Worte und seine Prophezeiung. Also werde ich, sobald wir an Land sind, versuchen, die Stelle herauszufinden, an der er begraben liegt, um von ihm Schutz und Segen fur deine Zukunft zu erbitten, Casar.«
Unterdessen waren die Rufe der Matrosen zu horen, die sich zum Anlegemanover bereitmachten. Der Hafen von Parisii war bereits in der Zeit der ersten romischen Ansiedlung nach Casars Besetzung ausgebaut worden, und seither hatte sich kaum etwas verandert. Das Schiff mit Volusianus und den Gefahrten legte am ersten der drei Anlegepiers an. Von dort wurden zwei Taue herubergeworfen, das eine am Bug und das andere am Heck, die die Ruderer nach den Befehlen des Bootsmanns ins Schiffsinnere zogen. Volusianus ging mit seinen Dienern von Bord und befahl den Fremden, ihm nachzufolgen. Daraufhin wurden die Pferde entladen, darunter auch Juba, der wild um sich schlug und sich auf jede erdenkliche Art dagegen wehrte, den Stallknechten zu folgen. Verwirrt naherte sich Ambrosinus dem Kommandanten. »General«, sagte er, »bevor wir uns verabschieden, mochten wir uns noch einmal bei dir bedanken mit der Bitte, unser Pferd wiederhaben zu durfen. Schon morgen mussen wir Weiterreisen und ...«
Volusianus drehte sich um. »Ihr konnt nicht Weiterreisen. Ihr werdet so lange hierbleiben, wie es notig ist.«
»General ...«, versuchte es Ambrosinus noch einmal, doch Volusianus hatte ihm bereits den Rucken zugewandt und eilte auf das Forum zu. Plotzlich wurden Ambrosinus und seine Gefahrten von einer gro?en Zahl Wachsoldaten umringt, und ein Offizier befahl ihnen: »Folgt uns.« Aurelius bedeutete ihnen, keinen Widerstand zu leisten, wahrend Ambrosinus verzweifelt rief: »Was bedeutet das alles? Wieso haltet ihr uns fest? Wir haben nichts getan und sind nur Wanderer, die ...« Doch als er erkannte, da? ihm niemand zuhorte, ging er bedruckt hinter den Soldaten her.
Romulus trat zu Aurelius. »Warum tun sie das?« fragte er. »Sind sie denn nicht ebenso Romer wie wir?«
»Vielleicht verwechseln sie uns mit jemandem«, versuchte Aurelius ihn zu beruhigen. »Das kommt manchmal vor. Du wirst sehen, es wird sich alles aufklaren. Mach dir also keine Sorgen.«
Vor einem Gebaude aus behauenem Stein, das sehr karg wirkte, blieben die Soldaten stehen. Der Offizier befahl, die Tur zu offnen, und lie? sie in einen gro?en, kahlen Raum eintreten. Zu beiden Seiten befanden sich schmale eisenbeschlagene Turen. Ein Gefangnis.
»Eure Waffen«, ordnete der Offizier an. Es folgte ein Moment hochster Anspannung, in dem Aurelius die Anzahl der sie umringenden Soldaten kurz abschatzte und die moglichen Folgen samtlicher Handlungen erwog, die er in dieser Situation unternehmen konnte. Dann zog er das Schwert aus der Scheide und uberreichte es einem der Kerkermeister. Resigniert und verwundert uber den unerwarteten Ausgang ihrer Reise, taten es seine Gefahrten ihm nach. Die Waffen wurden in einem eisenbeschlagenen Schrank an der hinteren Wand verstaut. Der Offizier wechselte einige leise Worte mit dem Kerkermeister, dann lie? er seine Soldaten mit gezogenen Waffen Aufstellung nehmen, bis jeder Gefangene eingesperrt war. Romulus warf Aurelius einen Blick stummer Verzweiflung zu, dann folgte er Ambrosinus in die fur sie beide vorgesehene Zelle.
Der dumpfe Hall, mit dem die schwere Au?entur geschlossen wurde, drohnte donnernd in dem weitlaufigen leeren Innenraum wider, wahrend sich das Gerausch der im Gleichschritt marschierenden Soldaten kurz darauf drau?en auf der Stra?e verlor. Ubrig blieb allein die Stille.
Livia sa? auf der dreckigen Pritsche. Da sie nicht schlafen konnte, ging sie in Gedanken noch einmal die letzten Ereignisse durch. Trotz der beklemmenden Situation der Gefangenschaft konnte sie nicht umhin, Aurelius Entscheidung gutzuhei?en, der samtliche verzweifelte Befreiungsversuche ohne Aussicht auf Erfolg vermieden hatte. Es hofft der Mensch, solang er lebt ..., dachte sie. Doch sie war in Sorge um Romulus, vor allem, wenn sie sich an seinen Gesichtsausdruck im Augenblick des neuerlichen Eingesperrt werdens erinnerte, der sie au?erst betroffen gemacht hatte. Ihr war klargeworden, da? der Junge die Grenze seiner Leidensfahigkeit erreicht hatte. Dieser standige Wechsel zwischen Hoffnung und Schrecken, Illusion und Verzweiflung drohte ihn zu zerstoren. Schon die unuberlegte, gefahrliche Flucht aus Argentoratum hatte ihr damals offenbart, in welchem Gemutszustand er sich befand. In der gegenwartigen Lage aber schienen die Dinge weit schlimmer. Ihr einziger Trost war, da? Ambrosinus mit Romulus zusammen war. Die Anwesenheit seines Erziehers trug sicher zu seiner Beruhigung bei und gab ihm ein Minimum an Vertrauen zuruck.
Tief in diese Gedanken versunken, horte sie plotzlich seltsame Gerausche an ihrer Zellentur, und mit gespitzten Ohren und angehaltenem Atem pre?te sie sich an die Mauer. Ihr Kampfinstinkt, der in jahrelangen Angriffen, Fluchten und Hinterhalten geschult worden war, erwachte sofort und rief samtliche Reserven in ihrem Korper und ihrem Geist hervor. In aller Eile bereitete sie sich darauf vor, im nachsten Augenblick loszuschlagen.
Dann vernahm sie das Schnappen des Turriegels, dem ein leises Getuschel und ein gedampftes Kichern folgten. Nun begriff sie. Obwohl ihr Volusianus versprochen hatte, man werde sie gut behandeln, kam es doch sicher nicht allzuoft vor, da? sich eine junge, attraktive Frau in diesem stinkenden Gefangnis aufhielt. Und so hatte eine Zecherei ausgereicht, um die Warter so weit in Versuchung zu bringen, da? sie samtliche Risiken einer Bestrafung verga?en.
Und tatsachlich offnete sich nun die Tur. Zwei Gefangenenwarter betraten den Raum und beleuchteten ihn mit einer Ollampe. »Wo bist du, mein Taubchen?« fragte der eine. »Komm doch heraus und hab keine Angst. Wir wollen dir nur ein wenig Gesellschaft leisten.«
Livia gebardete sich, als sei sie zu Tode erschrocken, dann lie? sie die linke Hand eilig an ihrem Bein hinabgleiten, bis sie die Schnur-bander ihres Stiefels erreichte, unter denen sie ein scharfes Stilett herauszog. Es hatte die Form eines Stachels und steckte in einem kugelformigen Griff, so da? sie es leicht in der Faust verstecken konnte und nur noch die Spitze zwischen Zeige- und Mittelfinger herausragte. »Ich bitte euch, tut mir nichts!« flehte sie, doch diese Bitte erregte die beiden Warter nur noch mehr.
»Sei ganz ruhig, wir werden dir nichts tun. Hochstens etwas Gutes. Danach wirst du dem guten alten Priapos ein Trankopfer bringen, denn er hat uns mit einem so schonen, gro?en Ding ausgestattet, genau dazu gemacht, so einen Bettschatz wie dich glucklich zu machen.« Er machte sich daran, seine Hose zu offnen, wahrend sein Kamerad Livia mit einem gro?en Messer bedrohte. Livia zeigte sich noch verangstigter, legte sich auf das Feldbett und rutschte mit den Schultern soweit wie nur moglich an die hintere Wand.
»Also«, sagte der erste der beiden, »jeder kommt zum Schu?. Erst ich und dann auch mein Freund. Und anschlie?end erzahlst du uns, wer besser war und den Gro?eren hatte. Ist das nicht lustig?«
Er hatte inzwischen seinen Unterkorper entblo?t und stutzte sich mit den Knien am Rand des Feldbettes ab. Derweil machte sich Livia mit ihrem speziellen Stachel bereit, den sie fest in der Faust hielt. Und wahrend der eine Wachter sich vornuberbeugte, um sie zu packen, scho? sie mit einer raschen Beckenbewegung von der Seite zu dem anderen vor und bohrte ihm das Stilett in die Brust. Genau in diesem Augenblick verlor der andere Warter die Balance und fiel flach auf die Pritsche. Mit einer blitzartigen Bewegung lie? Livia ihr Instrument von der linken in die rechte Hand gleiten und stie? es ihm mit einem so harten Ruck in den Nacken, da? ihm die Wirbelsaule durchtrennt wurde. Und wahrend er schlaff auf dem Bett zusammenbrach, sank der andere zu Boden, beinahe gleichzeitig und ohne den geringsten Laut.
Nun blieb ihr keine Wahl mehr, also nahm Livia die Schlussel an sich und eilte zu den Zellen ihrer Gefahrten, die sie plotzlich ruhig lachelnd vor sich stehen sahen. »Aufstehen, Leute, es wird Zeit, setzt euch in Bewegung!«
»Aber, wie ...«, begann Aurelius verwundert, als sie die Tur aufsperrte und ihn umarmte.
Sie zeigte ihm das Stilett.
Rasch wechselte Livia einen Blick mit Aurelius. »Ich la? mich nicht noch einmal gefangennehmen«, sagte er schlicht, und die Art, wie sie alle nach ihren Waffen griffen, lie? sofort erkennen, da? die anderen der gleichen Meinung waren. Da hob Volusianus seine Hand. »Halt«, rief er. »Hort mich an, es bleibt nicht viel Zeit. Odoakers Barbaren sind bei Syagrius vorstellig geworden und wollen sicher uber eure Auslieferung verhandeln. Ich habe keine Zeit, um lange Erklarungen abzugeben, kommt einfach mit mir. Drau?en steht euer Pferd und noch ein paar