»Warum sagst du mir das?«fragte Mavra dumpf.

»Wenn ich registriere, registriere ich alles«, erklarte der Computer.»Da Erinnerung von chemischer Art ist und von einer mathematischen Beziehung mit selbsterzeugter Energie abhangt, wu?te ich gestern, als ich Sie registrierte, was Sie wissen, besitze ich Ihr ganzes Wissen, Ihre ganze Erinnerung. Von allen sind — bis jetzt — allein Ihnen die einzigen Eigenschaften eigen fur eine geringe Chance davonzukommen.«

Mavras Herz zuckte.

»Das Schwamm-Lieferschiff wird Ihren Anforderungen nicht genugen«, sagte Obie.»Im Cockpit gibt es kein Lebenserhaltungssystem. Sie haben jedoch die Moglichkeit, an Bord eines der beiden Raumschiffe zu gelangen, die derzeit auf dem Raumflughafen stehen. Ich werde Sie jetzt programmieren, Ihnen alle Einzelheiten uber Neu- Pompeii geben, wie ich sie besitze, alle Informationen, die Sie brauchen. Ich werde Sie au?erdem leicht verandern, Ihnen eine Sichtweite und -scharfe geben, die mechanische Linsen und Batterien uberflussig macht. Kleine Drusen, die Sie bald besitzen werden, machen Ampullen mit Chemikalien uberflussig; die Finger Ihrer rechten Hand werden aus nahezu unsichtbaren naturlichen Injektoren das starkste hypnotische Mittel injizieren konnen. Ihre linke Hand wird ein anderes Gift erzeugen; eine Beruhrung, und sie wird fur eine Stunde lahmen; zwei Beruhrungen, und sie wird jeden bekannten Organismus toten. Ich werde au?erdem unsichtbar Ihr Gehor steigern und unsichtbar Ihre Muskelkraft neu gestalten, damit Sie viel schneller und viel kraftiger sind — so verfugen Sie uber eine beispiellose Beherrschung Ihres Korpers. Der Gebrauch aller dieser Verbesserungen wird vollig naturlich fur Sie sein.«

»Aber warum?«fragte sie.»Warum tust du das fur mich?«

»Nicht fur Sie«, sagte der Computer mit einem traurigen Unterton.»Der Preis, der Ihnen auferlegt wird, ist eine Forderung, etwas, das Sie tun mussen, oder Sie konnen nicht fort von hier. Sie mussen die erste Halfte Ihres Auftrages erfullen. Sie mussen Nikki Zinder mitnehmen, oder Sie bleiben bei uns. Und euch beide begleitet ein zusatzliches Geschenk.«

Mavra nickte betaubt.

»Au?erdem befindet sich in Ihrem Gehirn ein kostbares Geheimnis. Es gibt ein wirksames Mittel gegen den Schwamm. Es wird einen Suchtigen nicht heilen, aber den mutierten Schwamm im menschlichen Korper fur dauernd zum Stillstand bringen. Es wird Nikki retten und Tausende von anderen ebenfalls. Sie mussen es zu hoheren Stellen bringen.«

»Ich will es versuchen.«

»Vergessen Sie nicht«, sagte Obie,»die Einschaltung ist fur dreizehn Uhr Standardzeit vorgesehen. Wenn Sie aus diesem Traum erwachen, wird es vier Uhr sein. Ich kann nicht zogern, wenn ich Aussicht auf Erfolg haben will. Sie mussen bis dahin mindestens ein Lichtjahr von hier entfernt sein, zusammen mit Nikki. Alles darunter bezieht Sie noch mit ins Feld ein. Das hei?t, da? Sie nicht spater als elf Uhr drei?ig starten durfen. Wenn Sie abgehoben haben, wenn Nikki an Bord ist, erhalten Sie den Code, den Sie brauchen, um die Schutzschaltungen zu umgehen. Wenn Nikki nicht an Bord ist, bekommen Sie ihn nicht. Verstehen Sie?«

»Ich verstehe«, antwortete sie grimmig.

»Nun gut, Mavra Tschang. Ich wunsche Ihnen viel Gluck«, sagte Obie.»Sie haben Krafte und Fahigkeiten, von denen andere nicht zu traumen wagen. Lassen Sie mich oder sich selbst nicht im Stich.«

Mavra Tschang erwachte.

Sie schaute sich in der Dunkelheit um und versuchte klar zu sehen. Plotzlich war alles scharf und deutlich zu erkennen, obwohl es offenkundig noch dunkel war. Sie drehte sich ein wenig auf den Rucken und spurte immer noch den Schweif.

Das und ihre unglaubliche Nachtsicht verrieten ihr, da? alles wahr war, was sie getraumt hatte. Sie war jetzt im Besitz anderer Tatsachen — sie kannte Anlage und Aufbau von Neu-Pompeii bis in die letzte Einzelheit.

Sie konzentrierte sich. Sie wu?te nicht, wie sie tat, was sie tat, oder nach welchen Prinzipien das ablief, aber sie wu?te, wie es zu geschehen hatte. In genau drei Minuten kam sie aus der Trance und schaute zu der kleinen Kamera hinauf. Sie war auf sie gerichtet, wie sie naturlich auf dem Bett lag. Es war eine Automatik, die ihren Bewegungen folgen mu?te.

Sie rollte sich blitzschnell vom Bett und blieb einen Augenblick liegen. Auf den Stiefeln zu landen, war unbequem, aber es verging noch eine halbe Minute, bis sie wieder auf das Bett hinaufzublicken wagte.

Die Kamera war immer noch auf die Bettmitte gerichtet und warum auch nicht? Da lag die nackte Gestalt Mavra Tschangs, samt Schweif und allem, und schlief friedlich.

Mavra staunte, obwohl sie wu?te, da? sie ein Hologramm vor sich hatte. Es war von ihrem eigenen Geist hervorgebracht worden und von ihrem Korper neu hinzugefugten Kraften, die sie nicht verstand. Sie hatte aber nicht die leiseste Ahnung, wie so etwas moglich war. Es spielt keine Rolle, dachte sie praktisch. Die Tatsache, da? die Illusion bis zu sechs Stunden hielt, war das einzig Wichtige.

Der Pullover war kein Problem, aber das Trikot erwies sich als ernsthaftes Problem. Es war nicht fur einen Schweif geschaffen. Sie uberlegte kurz, was sie tun sollte, dann entdeckte sie, da? das Kleidungsstuck nicht nur gewaschen, sondern auch geandert worden war. Zur Anderung gehorte ein Loch, durch das der Schwanzknochen pa?te und durch das man daher den dicken, drahtigen Schweif leicht schieben konnte.

Der gute alte Trelig, auf alles eingestellt, dachte sie ironisch.

Nur die Stiefel blieben ein Problem. Sie wollte sie nicht zurucklassen. Sie konnte sie aber nicht anziehen, bis sie das Hauptgebaude verlassen hatte. Es blieb nichts anderes ubrig, als sie zu tragen.

Sie erschienen viel leichter, und sie uberlegte kurz, ob man sich daran auch vergriffen haben mochte, vergewisserte sich aber in kurzer Zeit, da? das nicht der Fall gewesen war. Was konnte die Veranderung dann erklaren? Plotzlich fielen ihr Obies Worte ein: Sie war um vieles kraftiger als vorher.

Sie verlie? das Zimmer auf dieselbe Weise wie in der Nacht zuvor. Gesicht und Hande waren geschwarzt.

Sie holte ihre Pistole, die sich zu ihrer Erleichterung am alten Platz befand, steckte sie in das Halfter und schlupfte hinaus. Der Sprint zum Ausgang fiel ihr leichter; sie war nicht sicher, ob sie nicht einen neuen Rekord aufgestellt hatte.

Sie benutzte das zweite Saugkugelchen, nachdem sie zuerst die Stiefel hinuntergeworfen hatte. Sie unten anzuziehen, lie? sie mehr als nur korperlich gro?er werden; sie fuhlte sich starker und unbesiegbar.

Ihre Augen pa?ten sich allen Erfordernissen an, stellte sie fest. Sie sah ohne Rucksicht auf die Helligkeit perfekt und scharf. Sie sah die Dinge auch ein wenig anders; andere Farben, weit au?erhalb des menschlichen Spektrums, verliehen allen Dingen ein neuartiges Aussehen. Auch die Scharfe und Auflosung machten sie staunen; bis Obie das Problem gelost hatte, war ihr nicht klar gewesen, da? sie kurzsichtig zu werden begann.

Auch ihr Gehor hatte sich auffallend verbessert. Sie horte Insekten im Gras und in den Baumen und konnte sie unterscheiden. Sie konnte Gesprachsfetzen horen, von Leuten, die weit entfernt waren, ihre Stimmen und Bewegungen. Der Hintergrundlarm, zu dem mehr Ultra- und Unterschall-Laute gehorten als normal, storte, aber sie stellte fest, da? sie, wenn sie sich bemuhte, einen Teil davon ausschalten konnte.

Sie huschte schnell und lautlos durch das Gelande, das ihr jetzt so vertraut war, als ware sie hier geboren und aufgewachsen.

Sie hatte keinen Chronographen, der ihr die verbleibende Zeit gesagt hatte. An ihrem Gurtel gab es einen fur sechzig Minuten, der sich einschalten lie?, aber sie verzichtete darauf. Sie war unterwegs, so schnell sie konnte; wenn sie es nicht schaffte, halfen ihr alle Chronometer der Welt nicht.

Sie erreichte das Aufseherquartier ohne Zwischenfall, aber hier wurde es brenzlig werden. Zwei Aufseher wurden Dienst haben, vier weitere einsatzbereit sein. Sie waren, ohne da? sie es ahnten, alle von Obie registriert worden, so da? Mavra sie alle erkannte, ihr Aussehen, ihre Starken und Schwachen kannte.

Sie waren alle schwammsuchtig. Es gab drei Manner — zwei mit den korperlichen Eigenschaften uberentwickelter Frauen, aber mit intakten Genitalien, und einen, den der Schwamm in einen gorillaahnlichen Muskelmann verwandelt hatte. Die anderen waren Frauen — drei mit vollkommen mannlichen Attributen, au?er an der Stelle, wo es zahlte, die ubrigen mit kra? ubertriebenen weiblichen Merkmalen. Jene, die, wie Nikki, anders auf die Uberdosis reagierten, wurden nicht fur den Wachdienst eingesetzt.

Am Gebaude verriet Mavras neue Gehorscharfe, da? niemand am Eingang war. Mavra lief hinein, hinunter zur Waschekammer und auch dort hinein. Obwohl sie den Code fur den Aufzug jetzt kannte, beschlo? sie, ihn nicht zu benutzen, wenn es nicht sein mu?te. Das Gebaude hatte drei Tiefetagen, jede zehn Meter hoch — diese Entfernung fiel also kaum ins Gewicht.

Вы читаете Exil Sechseck-Welt
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату