»Bringen Sie sie her«, sagte Mavra.»Wenn etwas schiefgeht, dichtet sich die Brucke ab.«
Als Renard nach hinten eilte, schwebte das kleine Schiff auf Neu-Pompeii zu, und Mavra konnte keine Gefahr erkennen.
»Verdammt, mir fehlt nichts!«horte sie Nikki schreien. Sie drehte sich um, als das Madchen zornig hereinkam, gefolgt von Renard.
»Ihr Vater ist am Leben, Nikki«, sagte Mavra.»Ich stehe in Verbindung mit Obie. Vielleicht —«
In diesem Augenblick erzitterte das Schiff, und die ganze Elektronik, einschlie?lich der Beleuchtung, flackerte und erlosch.
»Was ist denn?«Mavra betatigte verzweifelt Schalter und Tastaturen. Die Brucke war stockdunkel, man horte kein Motorengerausch, kein Summen. Selbst Notbeleuchtung und Sicherheitssteuerung waren ausgefallen, obwohl das gar nicht sein konnte.
»Renard!«rief sie.»Setzen Sie Nikki in Ihren Sessel, und Sie kommen mit in meinen! Ich glaube, wir passen zu zweit hinein. Nikki! Anschnallen, so fest es geht!«
»Wa — was ist denn?«rief das Madchen.
»Tun Sie, was ich sage! Schnell! Aus irgendeinem Grund ist alles ausgefallen, sogar die Notsteuerung! Wir sind zu nah am Planeten! Wenn wir keinen Strom bekommen —«
Sie horte, wie Nikki in den Sessel stolperte. Sie spurte Renards Hand an ihrem Gesicht. Ihre eigenen Augen, von Obie verandert, nahmen im Infrarotbereich die beiden wahr. Sonst gab es auf der Brucke keine Warmequelle.
Sie ri? Renard zu sich in den Sessel. Es war sehr eng und funktionierte nicht ganz. Der verdammte Schweif! dachte sie wutend.
»Ich mu? auf Ihrem Scho? sitzen«, sagte sie.
»Au!«schrie er.»Ein bi?chen weiter herunter! Der Schwanzknochen druckt auf meine empfindliche Stelle!«
Sie schob sich ein wenig hinunter, er zog mit Muhe die Gurte uber sie, dann legte er die Arme um ihren Korper.
Plotzlich schaltete sich alles wieder ein.
Der Bildschirm zeigte, da? sie wahrend des Ausfalls enorm an Hohe verloren hatten. Sie konnten vor sich ein Meer sehen, dahinter Berge.
»Wir sind jedenfalls uber den Aquator in den Suden gekommen«, stie? Mavra hervor.»Ich will sehen, ob ich uns von hier fortbekommen kann.«
Sie wollte die Gurte offnen, als plotzlich der Schirm zeigte, da? sie das Meer uberflogen hatten, und bevor sie sich umsah, war alles wieder dunkel.
»Verdammt!«fluchte sie.»Wenn ich nur wu?te, was, zum Teufel, hier vorgeht!«
»Wir sturzen ab, nicht wahr?«fragte Nikki resigniert.
»Sieht so aus«, antwortete Mavra.»Wir beginnen gleich mit der Auflosung, wenn nicht wieder alles funktioniert.«
»Auflosung?«fragte Renard.
»Es gibt drei Systeme in diesen Schiffen«, erklarte Mavra.»Zwei elektrische, ein mechanisches. Ich hoffe, das mechanische funktioniert, weil wir keinen Strom haben. Bei zwei von den Systemen, das mechanische eingeschlossen, lost das Schiff sich in Kapseln auf. Durch die Mechanik werden drei?ig Sekunden nach der Trennung Fallschirme ausgelost, und durch den Luftwiderstand wird der Hauptschirm herausgerissen. Es wird ungemutlich werden.«
»Mussen wir sterben?«horte sie Nikki fragen.
»Ist vielleicht besser so«, murmelte Renard vor sich hin.
Mavra begriff, was er meinte. Es wurde gewi? schneller gehen als mit Schwamm.
»Hoffentlich nicht«, sagte sie.»Wenn es im Weltraum einen volligen Ausfall gabe, wurden wir die Luft verbrauchen. Aber hier unten — ich wei? nicht. Wenn wir die Luft atmen konnen und die Landung uberleben und die Fallschirme aufgehen, sollten wir es schaffen.«
Sehr viele Wenns, dachte sie. Vermutlich zu viele.
Das Schiff schwankte, und uberall krachte und ratterte es. Die Trennung hatte stattgefunden.
»Tja«, sagte sie seufzend.»Wir konnen jetzt ohnehin nichts mehr tun. Selbst wenn der Strom wiederkame — wir haben keinen Antrieb mehr.«
Schnell hintereinander gab es scharfe, unregelma?ige Rucke. Renard stohnte. Dann ruckte die Brucke so heftig, da? ihnen schwindlig wurde.
»Die Fallschirme«, sagte Mavra.»Sie sind aufgegangen. Wir haben drau?en Luft.«
Nun kam eine schwindelnde, schwankende, polternde Fahrt durch vollige Dunkelheit. Nach einigen Minuten wurde ihnen ubel. Nikki begann sich gerade zu beklagen, als ein gewaltiger Ruck die Brucke erschutterte.
»Hauptschirm«, sagte Mavra seufzend.»Festhalten. Jetzt geht es erst richtig los.«
Und so war es. Es kam ihnen vor, als waren sie an eine Ziegelwand geschleudert worden, sie schienen sich zu uberschlagen und mit dem Kopf nach unten zu hangen.
»Ganz vorsichtig!«warnte Mavra.»Wir liegen auf der Decke. Die Schwerkraft fuhlt sich an, als ware es 1g — ungefahr richtig fur einen Planeten dieser Gro?e. Nikki, alles in Ordnung?«
»Ich fuhle mich scheu?lich«, klagte das Madchen.»Mein Gott! Ich glaube, ich blute. Es kommt mir vor, als waren samtliche Knochen gebrochen.«
»Bei mir doppelt«, achzte Renard.»Und Sie?«
»Ich habe Brandwunden von den Gurten«, sagte Mavra.»So kommt es mir jedenfalls vor. Noch zu fruh, um genau zu beurteilen, was alles passiert ist. Im Augenblick ist es der Schock. Zuerst wollen wir einmal herunter, dann konnen wir uns um die Verletzungen kummern. Nikki, Sie bleiben, wo Sie sind! Wir holen Sie gleich herunter.«
Sie spurte, wie die Gurte sie festhielten. An der Schnalle waren nur noch einige Zentimeter zu fuhlen. Noch ein Ruck, und wir fallen hinaus, dachte sie.
»Renard!«sagte sie.»Horen Sie, ich kann in dieser Dunkelheit sehen, aber Sie nicht, und ich kann nicht hinunter, ohne da? Sie absturzen. Trachten Sie, da? Sie sich am Stuhl festhalten konnen, wenn ich die Gurte offne. Es sind ungefahr vier Meter, aber er ist glatt und rund. Dann hole ich Sie auf den Boden herunter.«
Sie fuhrte seine Arme, und er hielt sich fest, aber er sa? verkehrt, um richtig zupacken zu konnen.
»Vielleicht hatte ich es vor Jahren gekonnt«, sagte er zweifelnd.»Ich habe nicht mehr genug Kraft.«
»Versuchen Sie sich hinauszuschwingen, und springen Sie, wenn Sie mussen«, sagte sie.»Also… los!«
Sie druckte auf den Knopf, und das Gurtnetz fiel herunter. Sie lie? sich sofort auf den Boden fallen und uberschlug sich. Renard schrie auf, dann lie? er los und sturzte Hals uber Kopf herab. Sie ging zu ihm, untersuchte ihn, betastete seine Gliedma?en.
»Ich glaube nicht, da? etwas gebrochen ist«, sagte sie.»Kommen Sie! Ich wei?, alles tut Ihnen weh, aber ich brauche Sie, um Nikki herunterzuholen.«
Er hatte sich den Knochel verrenkt und konnte kaum stehen, bi? aber die Zahne zusammen. Vorsichtig schob er sich unter Nikki und konnte sie beruhren.
Er war nicht stark genug, sie aufzufangen, aber er milderte ihren Sturz ein wenig, und sie landete auf ihrem Hinterteil. Es war schmerzhaft, und sie stohnte, aber auch sie hatte sich nichts gebrochen.
Renard atmete tief ein und rieb sich mit schmerzenden Armen die schmerzenden Beine.
»Nur aus Neugier, Mavra, wie oft haben Sie schon eine solche Landung gemacht?«stie? er hervor.
»Noch nie«, erwiderte sie leise lachend.»Es hei?t, diese Systeme seien zu unpraktisch. Viele Raumschiffe haben sie gar nicht mehr. Man kann sie nur ganz selten brauchen.«
»Und wie kommen wir hier heraus?«
»Es gibt oben und unten Ausstiegsluken. Das ganze Ding ist eine Luftschleuse, aber naturlich ohne Pumpe. Ihr mu?t mich hochheben, damit ich die Schalter bedienen kann.«
Er stohnte, brachte es aber zustande. Nach einigen Versuchen zischte es, und die Luke klappte herunter. Wieder vergingen lange Minuten, wahrend Mavra versuchte, von seinen Schultern hinaufzuspringen und sich am Lukenrand festzuhalten. Endlich, als sie schon aufgeben wollte, konnte Mavra sich hochziehen und die Au?enluke offnen.
»Und wenn wir drau?en nicht atmen konnen?«schrie Nikki hinauf.