Nahe sind.«

»Aber in welche Richtung?«fragte Nikki.»Wir konnten auf eine ihrer Stadte zulaufen oder was sie sonst haben, ohne es zu ahnen.«

Mavra uberlegte kurz.

»Wartet mal. Wir wissen, da? nicht die ganze Welt so ist. ostlich von hier gibt es einen Ozean und Berge, ganz bestimmt nicht die richtige Gegend fur diese Giganten.«

»Aber wo ist Osten?«fragte Renard.

»Die Rotation des Planeten ging von Westen nach Osten«, erinnerte ihn Mavra.»Das hei?t, da? die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht. Ich wurde sagen, es wird bald Abend, also mu? die Sonne dort druben sein, und Osten ist hier.«Sie deutete in die Richtung.»Gehen wir.«

Sie hatten keine Wahl und folgten ihr tiefer in den Wald. Hinter sich horten sie immer noch das Brullen und Schreien.

Schweigend liefen sie eine Weile dahin. Nikki hielt sich verhaltnisma?ig gut, hatte aber eine Klage.

»Ich verhungere«, jammerte sie bei jeder kurzen Rast.

Renard begann selbst etwas hungrig zu werden.

»Vielleicht kann ich eines der kleinen Tiere betauben, die wir immer wieder sehen«, meinte er.»Ein kurzer Sto? mit der Pistole, mehr nicht.«

»Also gut, versuchen Sie es«, sagte Mavra.»Aber achten Sie darauf, da? kein Waldbrand entsteht.«

Wie auf ein Stichwort raschelte eines der Tiere, von denen sie gesprochen hatten, im Unterholz. Es war gro? — fast einen Meter lang —, aber niedrig, mit schmaler Schnauze, buschigem Schnurrhaar und kleinen Nagetieraugen.

Renard errechnete aus den Gerauschen, wo es herauskommen mu?te, und zielte mit der Pistole. Endlich tauchte das Wesen auf, und Renard druckte ab.

Nichts geschah.

Das kleine Tier drehte sich nach ihnen um, keckerte etwas, das beleidigend klang, und huschte ins Dunkel.

»Was soll das?«entfuhr es Renard. Er klopfte auf die Pistole und starrte die Ladeanzeige an.»Keine Ladung«, sagte er entgeistert.»Sie mu?te noch drei Viertel ausmachen.«

Er wollte die Waffe wegwerfen, aber Mavra hielt ihn zuruck.

»Behalten Sie sie«, sagte sie.»Unser Schiff hat hier auch nicht funktioniert, wenn Sie sich erinnern. Vielleicht ist das mit allen Maschinen so. Die Pistole kann spater, wenn wir das Meer erreichen, noch nutzlich sein. Selbst wenn das nicht so sein sollte, wei? keiner, da? sie leer ist.«

»Also mussen wir uns hungrig schlafen legen«, meinte er.»Tut mir leid, Nikki.«

Das Madchen seufzte.

»Ich besorge morgen etwas zu essen, das verspreche ich«, sagte Mavra und glaubte es selbst halb. Sie war schon oft in verzweifelter Lage gewesen und hatte alles uberstanden.»Wir ubernachten hier«, sagte sie.»Ein Feuer durfen wir nicht anzunden, aber ich ubernehme die erste Wache, dann lost mich Renard ab, und Nikki lost ihn ab.«

Sie machten es sich bequem, so gut es ging. Mavra zog ihre Geratschaften aus dem Fach in ihrem Stiefel und uberprufte sie. Ohne Batterie waren sie allerdings nicht viel wert, und wie erwartet, funktionierte sie nicht. Sie gab es auf.

Die Dunkelheit sank herab wie eine schwarze Decke, und ihre Augen schalteten auf Infrarot um.

Nikki schlief fast augenblicklich ein, aber Mavra horte, wie Renard sich immer wieder herumwarf und schlie?lich aufsetzte.

»Was ist denn?«flusterte sie.»Zuviel fur einen Tag?«

Er schlich zu ihr.

»Das ist es nicht, aber ich habe nachgedacht. Es fangt langsam an.«

»Was fangt an?«

»Der Schwamm«, sagte er tonlos.»Ich habe starke Schmerzen. Das ist wie eine sehnsuchtige Qual, die den ganzen Korper erfa?t.«

»Die ganze Zeit?«fragte sie besorgt.

»Nein, in Wellen. Jetzt ist es besonders schlimm. Ich wei? nicht, ob Nikki das schon spurt, aber wenn nicht, dann kommt es.«Er zogerte.»Mavra, wir sterben«, sagte er langsam.

»Was geschieht da, Renard?«fragte sie nach einer Pause stockend.»Und wie lange dauert es?«

»Die Gehirnzellen sind als erste betroffen«, erwiderte er seufzend.»Jedesmal wenn einer der kleinen Anfalle eintritt und sie werden zunehmend schlimmer —, verliert man Zellen in seinem Korper und Zellen im Gehirn. Es ist eher ein langsamer Stillstand als ein Tod. Ich habe es bei anderen erlebt. Man behalt sein Gedachtnis, verliert aber immer mehr die Fahigkeit, es zu gebrauchen. Gedankenablaufe und Urteile fallen immer schwerer. Das kaum ertragliche Heute wird zum unertraglichen Morgen. Die Dauer ist bei jedem unterschiedlich, aber grob gesprochen verliert man am Tag zehn Prozent seiner Fahigkeiten, und das la?t sich nicht mehr gutmachen, selbst wenn man danach mehr Schwamm bekommt — wofur nichts spricht. Ich war immer recht begabt — fruher bin ich Lehrer gewesen, wissen Sie —, aber ich merke schon, da? sich etwas verandert. Ich bin zehn Prozent dummer als gestern, doch das bedeutet nicht viel, wenn man vergleichsweise hoch anfangt. Aber wenn man einen Intelligenzquotienten von 150 hat, kann man sich die Dauer ausrechnen.«

Mavra tat es. Wenn Renard gestern einen IQ von 150 gehabt hatte, belief sich dieser heute noch auf 135. Nun gut, das fiel nicht weiter ins Gewicht. Aber morgen wurden es 122 sein, ubermorgen 110, was ungefahr dem Durchschnitt entsprach. Dann fing es aber erst an. Aus 110 wurden 99 werden, dann 89. Das ging langsamer — wieviel, vier Tage? Dann 80 in funf, 72 in sechs — ein Schwachsinniger. 65 nach einer Woche, geistig und motorisch einem Dreijahrigen entsprechend. Und dann vielleicht ein Automat oder eine Art tierisches Wesen.

»Nikki?«fragte sie ihn.

»Bei ihr wird es schneller gehen, denke ich. Vielleicht ein, zwei Tage weniger bis zum kritischen Punkt.«

Sie griff nach seinem Arm. Bevor er reagieren konnte, stach sie mit ihren Fingernageln zu, und die Hypnoseflussigkeit drang unter seine Haut. Er zuckte uberrascht zusammen, dann schien er zu erschlaffen.

»Renard, hor mir zu!«befahl sie.

»Ja, Mavra«, antwortete er mit der Stimme eines kleinen Kindes.

»Du wirst mir voll vertrauen. Du wirst ganz an mich und meine Fahigkeiten glauben und tun, was ich sage. Du wirst dich stark und gut und gesund fuhlen, keine Schmerzen, keine Sehnsucht nach dem Schwamm. Verstehst du mich?«

»Ja, Mavra«, erwiderte er dumpf.

»Au?erdem wirst du nicht an den Schwamm denken. Du wirst nicht glauben, da? du stirbst oder langsam zugrunde gehst. Wenn du morgens wach wirst, wirst du nicht das Gefuhl haben, anders zu sein als zuvor, und auch an Nikki wirst du keine Veranderung bemerken. Hast du verstanden?«

»Ja, Mavra.«

»Gut. Jetzt gehst du hinuber und legst dich hin, schlafst gut und fest und traumlos und fuhlst dich, wenn du wach wirst, sehr gut, ohne Erinnerung an dieses Gesprach. Geh jetzt!«

Er loste sich von ihr, ging zu seinem Platz, legte sich hin und schlief sofort ein.

Die Suggestion wurde naturlich nicht halten, das wu?te sie. Sie wurde sie in Abstanden erneuern und versuchen mussen, dasselbe bei Nikki zu tun. Aber das wurde nur ihr eigenes Problem mildern, nicht das der beiden anderen. Sie wurden weiterhin dem Gift erliegen, bis Mavras Einflu? nichts mehr zu bewirken vermochte.

Sechs Tage bis dahin.

Irgendwo auf dieser Welt mu?te es jemanden geben, der ihnen helfen konnte, helfen wurde. Daran mu?te sie glauben.

Sechs Tage.

Sudpolarzone, Schacht-Welt

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