konnte.«
»Ich wei? nicht, vielleicht haben Sie recht. Aber an dem Mann war wirklich etwas Besonderes, das ich nicht erklaren kann.«
»Sie waren funf Jahre alt«, sagte er.»Da hat man oft merkwurdige Eindrucke.«
Mavra wollte das Gesprach abbrechen, weil es sie bedruckte, aber auch weil Renard Schwierigkeiten zu haben schien, bestimmte Worte zu finden. Er sprach auch langsamer und bedachtiger als fruher.
Er schien jedoch auf die Unterhaltung Wert zu legen, also war es wohl das Beste, wenn sie einen Gro?teil des Gespraches bestritt.
»War das nicht sehr schwer, mit dreizehn Jahren schon allein zurechtkommen zu mussen?«fragte er.
»Doch. Ich sa? auf einer fremden Welt, sah aus wie eine Achtjahrige, hatte nur ein paar Munzen und kannte nicht einmal die Sprache der Stra?e. Wenigstens war es keine Kom-Welt. Ich benutzte mein letztes Geld dazu, einem kleinen Madchen die Kleidung abzukaufen, die ganz schmutzig und zerfetzt war. Ich sah aus wie eine richtige Gassengore. Dann machte ich mich an die Arbeit. Ich bettelte und verdiente nicht schlecht.«
»Keine Probleme mit Vergewaltigung oder Banden?«fragte er erstaunt.
»Eigentlich nicht. Ich hatte ein paarmal Schwierigkeiten, aber es kam immer jemand daher, oder ich konnte fliehen. Und die Bettler halten zusammen, wenn man erst einmal in die Bruderschaft aufgenommen ist. Ich wohnte schlie?lich in einer alten Hutte vor der Stadt.«
»Wie lange ging das so?«
»Uber drei Jahre. Es war kein schlechtes Leben. Man gewohnte sich daran. Und ich wuchs auf, entwickelte mich ein wenig und traumte. Jeden Tag ging ich zum Raumflughafen, sah mir die Schiffe an und guckte in die Kneipen der Raumfahrer. Ich wu?te, wo ich hinwollte, und mir wurde auch klar, da? ich mit dem Betteln zwar mein Leben fristen konnte, aber nie fortkommen wurde. Manche Raumfahrer warfen mit dem Geld nur so um sich, weil sie au?er dem Schiff kein Zuhause hatten.«
Renard war entsetzt.
»Sie wollen doch nicht sagen, da? Sie —«
»Ich war zu klein, um Kellnerin zu werden, und ich konnte nicht uber die Bar greifen«, sagte sie achselzuckend.»Tanzen lernte ich nie richtig, ich war nicht gebildet und konnte mich in Gesellschaft nur schlecht bewegen. Ich redete wie eine Werftratte. Ich hatte nur eines zu verkaufen, und ich lernte, es richtig zu verkaufen. Manner, Frauen, einmal, zweimal, zehnmal in der Nacht, wenn es ging. Nach einer Weile wurde es ziemlich langweilig, und das Ganze bedeutete uberhaupt nichts, aber du lieber Himmel, wie stromte das Geld!«
Er sah sie betroffen an.
»Jetzt konnen Sie sich aber sehr gut ausdrucken«, meinte er verlegen.
»Und Sie sagten, Sie waren Pilotin. Haben Sie genug Geld verdient, um das alles nachzuholen?«
Sie lachte trocken.
»Nein, nicht damit. Ich lernte einen Mann kennen — einen sehr guten und sanften Mann, der Frachterkapitan war. Er kam regelma?ig zu mir. Ich mochte ihn. Er hatte Eigenschaften wie der Retter, von dem ich vorhin erzahlt habe. Er war laut, wild, zynisch, ha?te die Kom-Welten und war so tapfer wie kein zweiter. Ich glaube, ich wu?te, da? ich ihn liebte, da? ich froh war, wenn er kam, was ich bei den anderen nie erlebt hatte. Als ich dahinterkam, da? er oft Umwege machte, um mich zu sehen, wurde unsere Beziehung noch enger. Und er hatte sein eigenes Schiff, die ›Assateague‹, ein wirklich gutes, schnelles, modernes Raumschiff.«
»Das ist eigentlich ungewohnlich, nicht?«meinte Renard.»Ich meine, solche Schiffe sind fur Konzerne, nicht fur einzelne Personen gedacht. Ich habe nie gehort, da? ein Kapitan sein eigenes Schiff hatte.«
»Es ist ungewohnlich, gewi?«, gab sie zu.»Ich kam erst spater dahinter, als er mich bat, mitzukommen, er konne sich die dauernden Abstecher nicht leisten. Das hatte ich mir immer gewunscht, also tat ich es naturlich. Und dann mu?te er mir sagen, warum er so viel Geld hatte. Er war ein Dieb.«
Renard mu?te lachen.
»Was hat er gestohlen und bei wem?«
»Alles, bei jedem«, sagte sie.»Der Frachter war Tarnung und sorgte fur Beweglichkeit. Juwelen, Kunstwerke, Gold, Silber, was Sie wollen. Wenn es wertvoll war, stahl er es. Bei reichen Leuten, Konzernchefs, Parteifuhrern auf Kom-Welten. Manchmal unternahm er Einbruche, manchmal machte er es mit Elektronik und intimer Kenntnis der Burokratie. Nachdem wir uns zusammengetan hatten, wurden wir ein Team. Er kaufte alle moglichen Lehrmaschinen, Schlaflerngerate, Hypnohilfen und dergleichen, und er schulte mich, bis ich gebildet sprechen und mich richtig benehmen konnte.«Sie kicherte.»Einmal brachen wir in den Zentralspeicher der Union Aller Monde ein, tauschten Chips aus und lie?en drei Tage lang das Planetareinkommen automatisch auf Sonderkonten bei Konfoderationsbanken uberweisen. Man ist nie dahintergekommen.«
»Und was ist aus Ihrem Mann geworden?«fragte Renard.
Sie wurde ernst.
»Wir sind von der Polizei nie erwischt worden. Nie. Wir waren zu gut. Aber eines Tages holten wir uns zwei herrliche massiv goldene Figuren des alten Kunstlers Sun Tat, und sie mu?ten einem gro?en Sammler verkauft werden. Das Treffen fand in einer Bar statt, und wir hatten keinen Grund, Verdacht zu schopfen. Der Sammler war aber ein Strohmann fur einen gro?en Syndikatsbo?, den wir ein Jahr vorher ausgeraubt hatten, und das Ganze war abgekartet. Sie zerteilten ihn in kleine Stucke und lie?en die Uberreste neben den Figuren liegen.«
»Und Sie haben das Schiff geerbt«, riet Renard.
»Ja. Ungefahr ein Jahr zuvor hatten wir uns fur alle Falle zu einer traditionellen Zeremonie entschlossen. Er bestand darauf, und es war gut so. Ich war seine Alleinerbin.«
»Und seitdem sind Sie allein gewesen?«
Ihre Stimme klang kalt und atzend.
»Ich habe ein halbes Jahr dafur aufgewendet, seine Morder aufzuspuren. Sie sind alle gestorben — langsam. Jeder wu?te, warum. Zuerst konnte sich der gro?e Bo? nicht einmal an ihn erinnern.«In ihren Augen standen Tranen.»Aber am Ende fiel es ihm wieder ein«, fugte sie befriedigt hinzu.»Seitdem habe ich sozusagen das Familiengeschaft fortgefuhrt. Ich habe fur das Beste bezahlt, was die Unterwelt zu bieten hat, und mich in Topform gehalten. Chirurgen haben mich in eine todliche kleine Waffe verwandelt und Dinge eingebaut, an die Sie im Traum nicht denken wurden. Selbst wenn man mich je fassen sollte, wurde man das, was ich Ihnen eben erzahlt habe, auch selbst mit Tiefensonden nicht herausholen konnen.«
»Sie sind beauftragt worden, Nikki herauszuholen, nicht?«sagte er.
»Ja. Wenn man einen Gauner nicht erwischen kann, setz ihn dazu ein, andere Gauner zu fangen. Das war der Gedanke. Es hatte beinahe geklappt.«
Er gab einen Brummlaut von sich.
»Uber mich gibt es eigentlich nichts zu sagen«, erklarte er leise.»Nichts Gewalttatiges oder Romantisches.«
»Sie sagten, Sie waren Lehrer gewesen«, meinte sie.
Er nickte.
»Ich komme von Moskowitien«, erwiderte er.»Eine Kom-Welt, ja, aber keine wirklich schlimme. Nichts von genetischer Manipulation. Traditionelle Familienstruktur und funfmal am Tag Gebete — ›Es gibt keinen Gott au?er Marx, und Lenin ist sein Prophet‹.«Er suchte merklich nach Worten. Sie fielen ihm schwer. Es schien ihm nicht aufzufallen.»Ich war begabt, also kam ich in die Schule. Etwas Nutzliches interessierte mich aber nicht, deshalb studierte ich alte Literatur«— er sprach es aus, so gut er konnte —»und wurde Lehrer. Ich war immer ein wenig feminin, aber nicht innerlich. Man lachte mich oft aus. Das tat weh. Selbst die Schuler waren gemein, meist hinter meinem Rucken, aber ich wu?te genau, was sie sagten. Ich mochte die Manner nicht, die andere Manner wollen, und die Frauen glaubten alle, ich wollte sie nicht. Ich zog mich in mich selbst zuruck.«
»Warum nicht zum Psychiater?«
»Ich bin ein paarmal zu solchen Leuten gegangen«, antwortete er.»Sie redeten alle wildes Zeug, ob ich meinen Vater geliebt hatte und dergleichen mehr. Nichts wirkte. Ich wurde immer unglucklicher. Ich dachte an Selbstmord, aber das schienen die Untersuchungen ergeben zu haben, und die Polizei kam und holte mich. Ich kam in das politische Heim. Man schien das personlich ubelzunehmen, meinen Wunsch, mich umzubringen. Wenn ich versagt hatte, dann hatte das ganze System versagt, so ungefahr. Man uberlegte, ob man mich loschen und zur Frau machen sollte, mit einer neuen Personlichkeit.«
»Warum hat man Sie nicht einfach getotet, und aus?«fragte Mavra.»Das ware billiger und einfacher gewesen.«