Das mochte sein, dachte Mavra, aber aus dem getrockneten Schlamm wurde wieder richtiger Schlamm, der Boden wirkte immer feuchter, die Vegetation beinahe dschungelartig. Am Fu? der Berge gab es einen Sumpf, der sich in alle Richtungen zu erstrecken schien. Das Wasser war nicht sehr tief — vielleicht einen halben Meter —, aber dunkel und still und stinkend, und es gab gewi? tiefe Stellen. Uberall wucherte Moos.
»Mussen wir weit durch dieses Gelande gehen?«fragte sie die Lata.»Ihr konnt fliegen, aber wir nicht.«
»Nur kurz«, erwiderte das Madchen.
Sie stapften eine Stunde durch den Schlamm, und das Wasser wurde tatsachlich tiefer, bis es ihr zu den Stiefeln hineinlief. Einmal stolperte sie uber eine Ranke unter Wasser und fiel mit dem Gesicht voraus in glucklicherweise seichtes Wasser.
Renard und Nikki, die sich nirgends verfangen hatten, sturzten pflichtgema? ebenfalls zu Boden, und es kostete einige Anstrengung, sie in die Hohe zu bringen, bevor sie ertranken.
Mavra wusch sich mit dem Wasser Schlick aus Augen, Nase und Mund und sauberte die beiden anderen mit Hilfe der Lata, aber danach sahen sie immer noch schlimmer aus als irgendein Wesen, dem sie auf der Schacht- Welt bisher begegnet waren. Selbst ihr Geschenk von Trelig, der Pferdeschweif, war so mit Schlamm verbacken, da? sie das Gefuhl hatte, hinten sa?e jemand auf ihr.
Endlich verwandelte sich alles — vom schrecklichen Sumpf zu stillem Meer. Vistaru bat sie zu warten, und eine Lata flog zu einer fernen Ansammlung schwimmender Busche.
Das Meer, wenn es ein Meer war, besa? eine seltsame Schonheit. Der Himmel war trotz der druckenden Schwule klar, und die Sternenhaufen und Gaswolken spiegelten sich in der dunklen Oberflache.
Einer der schwimmenden Busche schien sich zu losen und kam auf sie zu. Obenauf sa? Barissa, eines der Lata-Wesen, blaulich leuchtend.
Der Busch erwies sich als Riesenblume. Er sah aus wie eine gigantische Rose mit geschlossener Knospe, umgeben von einer gro?en, dicken, grunen Membranplattform.
Barissa lachelte und sagte etwas. Mavra sah Vistaru an.
»Er sagt, der alte Macham ist schlafrig und murrisch, aber er kennt das Problem und wird Sie und die anderen mitnehmen.«
Mavra sah das Wesen wieder an. Es war von hellem Orangerot oder wurde es sein, sobald es sich ganz offnete. Aus der Mitte der geschlossenen Blume ragten zwei Stengel wie riesige Weizenhalme. Sie trat auf einen Wink der Lata auf das grune Blatt, Nikki und Renard folgten ihr und ahmten sie nach, als sie sich auf dem Rand niederlie?.
Das Wesen drehte sich langsam herum und fuhr auf den stillen See hinaus. Es schien sich durch diese Kreisbewegung in Gang zu halten, und es ging zwar nicht uberma?ig schnell, aber man wurde doch rasch schwindlig. Nach einer Stunde wunschte Mavra sich abwechselnd, tot zu sein oder wieder an Land. Das Ma? ihrer Ubelkeit lie? sich nicht beschreiben.
Nach einer Ewigkeit brach der Tag an. Sie wurgte immer wieder und sah die beiden Hypnotisierten, die sie inzwischen beneidete, sie nachahmen. Vistaru ging zu ihr hinuber.
»Immer noch krank?«fragte sie uberflussigerweise.
»Und ob!«stie? Mavra hervor.
»Wir sind fast da.«
Inzwischen war Mavra nahezu alles gleichgultig, aber zum erstenmal seit langer Zeit gelang es ihr, sich umzuschauen.
Sie waren nicht mehr allein.
Zu Tausenden drehten sich uberall andere Blumen in einem gro?artigen Ballett auf dem Wasser. Sie brachten Myriaden Farben und Farbkombinationen hervor und offneten sich den glei?enden Strahlen der Sonne. Unter anderen Umstanden hatte Mavra sogar Gefallen daran gefunden.
Der Krommianer, auf dem sie sa?en, wurde zu ihrer unbeschreiblichen Erleichterung langsamer. Auch er hatte sich uber ihnen geoffnet und bildete einen Schleier aus leuchtenden Braun- und Orangetonen. Die langen Stengel waren Augen, entdeckte sie — lange, ovale, neugierige braune Augen mit schwarzen Pupillen, die so merkwurdig aussahen, als hatte ein Witzzeichner sie aufgemalt. Sie waren unabhangig voneinander und blickten manchmal in verschiedene Richtungen. Vom Kern, dem ›Kopf‹ des Wesens, konnte man nur wenig sehen. Er schien eine weiche, grellgelbe Masse zu sein und hatte eher Ahnlichkeit mit dichtem, glattem Haar als mit dem Zentrum einer Blume. Die Drehung war inzwischen so langsam geworden, da? Mavra sich sogar zu fragen vermochte, ob diese Wesen wirklich Pflanzen oder unglaublich exotische Tiere waren.
Das Wesen horte endlich ganz auf, zu rotieren, und trieb langsam in einer Richtung. Damit horte zwar nicht die ganze Welt auf, sich zu drehen, aber es war doch viel ertraglicher. Sie waren weit gekommen, soviel stand fest. Mavra kroch ein wenig auf der Plattform herum, wobei sie darauf achtete, da? ihre Nachahmer nicht ins Wasser fielen, und blickte in die Richtung, in der sie trieben. Sie konnte eine Insel sehen — einen hohen, aber nicht sehr gro?en Felsen mitten im Meer. In der Wand schien sich eine kunstliche Hohle zu befinden, kohlschwarz und ohne Perspektive.
Mavra begriff plotzlich, da? es ein schwarzes Hexagon war.
Vistaru flog heran.
»Wir legen in der Nahe des Zone-Tores an«, sagte sie.»Sie mussen den anderen sagen, da? sie hineingehen.«
Sie wies auf das sich rasch nahernde Loch.
»Ich nicht?«fragte Mavra.
Vistaru schuttelte den Kopf.
»Nein, nicht jetzt. Spater. Der Botschafter von Kromm sagt, Sie jetzt noch nicht.«
»Das Ding dort wird meinen beiden Freunden helfen?«fragte Mavra.
Vistaru nickte.
»Es ist ein Tor. Es wird sie zu Zone bringen. Sie werden durch den Schacht der Seelen gehen. Sie werden Bewohner dieses Planeten werden, wie ich.«
»Sie meinen — sie werden in Lata verwandelt?«fragte Mavra.
»Vielleicht. Wenn nicht Lata, etwas anderes. Kein Schwamm mehr. Gedachtnis wieder da, alles.«
Mavra war nicht bereit, das alles zu akzeptieren, aber sie mu?te so tun, als glaubte sie daran. Da? sie selbst den beiden nicht helfen konnte, stand fest.
Vistaru sah die Zweifel und begriff, da? sie von der Unkenntnis der Schacht-Welt herruhrten.
»Jeder, der von einer anderen Welt kommt, geht durch den Schacht, alle werden verandert. Bei mir war es auch so. Ich war einmal wie ihr. Bin durch den Schacht gegangen, als Lata aufgewacht.«
Mavra glaubte ihr jetzt beinahe. Das erklarte, woher das Wesen ihre Sprache kannte. Aber es fuhrte zu einer neuen Frage.
»Warum dann ich nicht auch?«
»Befehl«, sagte Vistaru achselzuckend.»Sie sagen, Sie sind nicht Mavra Tschang. Sie sagen, Sie sind eine bose Person.«
Mavra offnete verblufft den Mund und klappte ihn dann wieder zu.
»Das ist doch lacherlich«, erklarte sie.»Wie kommt man denn darauf?«
»Sie sagen, sie hatten Mavra Tschang, Renard und Nikki schon kennengelernt. Sie sagen, ihr seid Betruger.«
Mavra wollte etwas erwidern, besann sich aber und setzte sich hin. Sie war so wutend wie noch nie. Es war der letzte Tropfen in einem ubervollen Fa?.
Dafur wurde jemand bezahlen mussen.
Zone Sud
»Sie sehen aber ganz genau so aus«, sagte Vardia verblufft.
Serge Ortega nickte und starrte die beiden Personen an, die halb bewu?tlos vor ihm am Boden lagen.
Sie befanden sich in der Zone-Klinik, und Dr. Muhar, der Ambreza, der wie ein Riesenbiber aussah, untersuchte Renard und Nikki Zinder.