nachgedacht und versucht, die Beweggrunde des Computers zu begreifen. Schlie?lich wurde ihr Blick vom Spiegelbild uber der tiefen Stelle abgelenkt zu den nahen Bergen, kalt und dunkelblau, in Wolken gehullt, die Gipfel von Schnee bedeckt, der nur sehr langsam schmelzen wurde. Das war nicht Dillia, wie sie wu?te, sondern Gedemondas, das geheimnisvolle Gedemondas, an das nur sie sich erinnerte — und selbst diese Erinnerung war durch Jahrhunderte von Erleben und Dasein verdunkelt. Eine fremdartige, mystische Rasse von Bergbewohnern mit unglaublichen Kraften, die sich aber eremitenhaft in ihren Berghorsten und von Vulkandampf geheizten Hohlen tief unter der stillen Oberflache verbarg. Ihre Gedankengange waren — nun, nicht-menschlich war eigentlich der Ausdruck, vermutete sie, wahrend der Rest der sudlichen Halbkugel, zumindest die Teile, die sie gesehen hatte, dazu neigte, in vertrauteren Bahnen zu denken, gleichgultig, wie bizarr ihre Erscheinungsformen und Lebensweisen sein mochten. Die Gedemondaner hatten sie einmal gekannt und waren an ihr interessiert gewesen. Vielleicht erneut?
Sie drehte sich um und entfernte sich von Flu? und Wasserfall, ging hinunter zu dem kleinen Dorf, von dem sie wu?te, da? es da war, der Tatsache eingedenk, da? sie denselben Weg beschritt, den ihr Gro?vater vor so langer Zeit gewahlt hatte, und mit demselben letzten Ziel im Sinn: dem Computer des Schachtes der Seelen selbst. Ihre Gro?eltern waren mit Brazil dorthin gegangen, wenn auch nicht in eigener Absicht.
Das Dorf stand am Ursprung eines gro?en Gletschersees, weit entfernt von der Hauptstromung des Lebens in Dillia. Es war verhaltnisma?ig klein geblieben, noch immer eine Art Wildnis-Siedlung, trotz der inzwischen vergangenen Jahrhunderte — in erster Linie deshalb, weil die Bevolkerung des Hexagons vergleichsweise stabil gehalten wurde. Es gab auf der Sechseck-Welt keine Ubervolkerung und deshalb nichts von dem Druck, der schon vor langer Zeit dazu gezwungen hatte, das Land zu entwickeln. Es gab hier auch keine Rohstoffe, die es lohnend gemacht hatten, das Gebiet auszuplundern; Dillia war ein teilweise technologisches Hex, mehr als Dampfkraft war nicht zugelassen, und die Ablagerungen anscheinend unerschopflicher Kohle- und Roholvorrate befanden sich weit im Suden.
Was es an Hilfsmitteln hier gab, war fur die einheimische Bevolkerung von gro?erer Bedeutung. In den zahllosen Flussen, die den See nahrten, laichten uberall Fische und hatten eine reichgesegnete und sorgsam gefuhrte Industrie hervorgerufen, die in mehr als einer Beziehung die Nahrungsmittel—, Dungemittel- und Olraffinerie-Industrien andernorts versorgte — Seeab, wie der Rest des Hex bei diesen Leuten genannt wurde. Das und das uberreichliche Wild der Walder oberhalb des Sees waren die Rohstoffe, die hier zahlten.
Trotzdem hatte es, wie sie erkennen konnte, seit ihrem letzten Aufenthalt hier Veranderungen gegeben. Das Dorf
Ihre Nacktheit storte sie nicht; da das warme Wetter bevorstand, gingen die meisten Zentauren unbekleidet, und nur ihre blasse Haut unterschied sie eigentlich von den mehr wettergegerbten Korpern ringsum.
Sie suchte das Buro des hiesigen Polizisten auf, der einzigen Regierungsgewalt, die es hier oben gab. Es hatte keinen Sinn, unwissend und allein herumzulaufen. Die Leute hier waren stets freundlich gewesen.
Sie konnte die Schilder naturlich nicht lesen, aber nur ein kleines Gebaude, ein Fertigbau, wies an beiden Seiten der Tur amtlich wirkende Siegel auf, Siegel, die nur das Gro?e Siegel des Hexagons sein konnten. Das bedeutete Amtliches, und wenn sie sich nicht grundlegend geandert hatten, war das die Stelle, die sie suchten.
Die Dinge
Alles verandere sich, aber nicht so gewaltig. Die drei anderen seien auf dem See und fischten.
Die Schreiberin, eine sachliche Frau mit Hakennase und grauwei? gefleckter Korperbehaarung, erwies sich als nett.
»Ich hei?e Hovna«, erklarte sie Mavra. »Als wir erfuhren, da? aus Ihrer Gegend des Weltraumes viele Neuzugange kommen, rechneten wir damit, da? mindestens einer von Ihnen hier auftauchen wird.«
Mavras Brauen stiegen vor Uberraschung hoch.
»Oh?«
Die Schreiberin nickte.
»In unserer Geschichte sind viermal Leute aus Ihrer Gegend gekommen, und jedesmal war mindestens einer von euch hier. Mu? eine Art Wahlverwandtschaft sein.«
Das interessierte Mavra.
»Sind jetzt noch andere hier?«
»O nein«, erwiderte die Frau lachend. »Das letztemal vor Hunderten von Jahren, lange vor unserer Zeit. Ich glaube, Sie sind uberhaupt der erste Neuzugang in meinen Akten, egal, woher.«
Das wird sich bald andern, dachte Mavra murrisch. Sie wurde die Behorden alarmieren mussen, damit fur die Neuankommlinge zeitweilige Unterkunfte bereitgestellt werden konnten, die dieses schone und friedliche Land nicht auf den Kopf stellten. Zunachst sagte sie jedoch nur:»Ich freue mich jedenfalls, hier zu sein. Mein Gro?vater war einmal einer von Ihnen, ganz fruher.«
Die Schreiberin zog die Brauen zusammen.
»Gro?vater? Ich erinnere mich nicht… Wie sollte denn das uberhaupt moglich sein? Wenn man einmal hier ist, ist man
»Nicht, wenn man durch den Schacht der Seelen hinausgeht«, gab Mavra zuruck.
Die Schreiberin war offenkundig verwirrt und sagte nur achselzuckend:»Vor meiner Zeit.«
Mavra ging der Sache nicht weiter nach.
»Vorerst brauche ich nur ein paar Tage Zeit, um mich zurechtzufinden. Ich furchte, ich bin nicht einer Ihrer typischen Neuzugange — ich habe Dinge zu tun, deshalb bin ich hergeschickt worden.«
»Dinge zu tun?« sagte die Schreiberin verwirrt und warf ihr einen Seitenblick zu, der verriet, da? sie die Neue fur geistig aus dem Gleichgewicht geraten hielt. Immerhin gab es fur solche Falle ein amtliches Register, das sie zur Burgerin erklarte und ihr bestimmte Rechte verlieh, die nicht viel zu bedeuten hatten — aber man regierte hier sehr zuruckhaltend. Man nahm lediglich ihren Vornamen auf; die Dillianer verwendeten nur einen Namen und sahen die Notwendigkeit von zweien kaum ein. Zum Gluck bestand ihr Name, Mavra, aus Silben, die in der Sprache Dillias gebrauchlich waren und keine Anderung erforderten.
»Oben am See gibt es ein Gastehaus«, erklarte die Schreiberin und kritzelte etwas auf einen amtlichen Briefbogen. »Nehmen Sie das mit, dann bekommen Sie ein Zimmer, bis Sie sich einrichten konnen. Es ist noch fruh in der Saison, also gibt es noch Raume. Sie konnen dort auch essen, wenn Sie wollen.« Sie schrieb eine zweite Mitteilung. »Und das bringen Sie zum Schmied am Ende der Stra?e. Hier brauchen Sie Schuhe. Im ubrigen ist es Ihre Sache, hier Ihren Platz zu finden. Gibt viel zu tun, wenn es einem hier gefallt und wenn man zivilisiertere Arbeit auf geteerten Stra?en haben will, kann man seeab gehen.« Das sagte sie eher verachtlich. Es gab Stadtleute und Landleute, und sie unternahm keinen Versuch, zu verbergen, zu welchen sie gehorte.
Mavra warf einen Blick auf die beiden Briefe.
»Ich bin uberzeugt, da? das wunderbar ist«, versicherte sie der Schreiberin. »Ahm… ich kann sie nicht lesen, wissen Sie. Wie soll ich sie unterscheiden?«
Die Schreiberin sah sie reumutig an und malte auf einen der Bogen ein kleines umgedrehtes Hufeisen. Mavra nickte, dankte ihr und ging.
Sie hatte Hunger, beschlo? aber, sich in der Stadt umzusehen, bevor sie zum Gastehaus ging. Schuhe… Seltsam, daran hatte sie nicht gedacht. Die Rhone, die Zentauren ihrer fruheren Weltraumheimat, hatten hochmodernen Schutz entwickelt, der sie uberflussig machte — aber hier mochten Schuhe eine gute Idee sein. Sie machte sich auf den Weg zum Schmied.
Es war fast so, als hatte man sich ein Bein gebrochen und gehe zum Arzt, entschied sie. Die Tatsache, da? es angeblich nicht weh tat und schnell vorbei sein wurde, verringerte die Besorgnis nicht, die von der Tatsache