wenn man aufwuchs — etwas
Sie glich dem gro?en, bahnbrechenden Kampfer, dachte sie, der sich mit Gewalt und Tucke an die Spitze gebracht hatte, um dann in einem gro?en Herrenhaus zu landen, mit allem, was er sich wunschte, versehen. Wenn man ihm das nach vielen Jahren wegnahm, war er verloren. Seine Fahigkeiten waren eingerostet, uberholt oder, schlimmer noch, durch lange Jahre des Nichtgebrauchs verkummert.
Verkummert. Das beunruhigte sie. Das wilde, raubkatzenartige Wesen Mavra war gezahmt worden, hauslich, dick und faul. Jetzt, da es wieder in die Wildnis geschleudert worden war, entdeckte das verzartelte Geschopf, da? diese Wildnis etwas Fremdes war, durchaus nicht mehr sein Element.
Daran war nicht vorbeizukommen, obwohl es ihr schwerfiel, das selbst vor sich allein zuzugeben. Sie brauchte andere Leute nicht nur, sie brauchte Leute, auf die sie sich verlassen, denen sie im Notfall sogar ihr Leben anvertrauen konnte. Vielleicht, wenn sie mehr Zeit gehabt oder die Dinge starker in der Hand gehabt hatte, wenn sie in der Lage gewesen ware, den Plan oder den zeitlichen Ablauf nach ihren Bedurfnissen zu verandern, hatte sie mehr von ihren alten Fahigkeiten wiederfinden und in die Wildnis zurucktauchen konnen, aus der sie gekommen war. Aber das gelang ihr nicht, und die Zeit verrann unwiederbringlich. Ereignisse, auf die sie keinen Einflu? hatte, wurden bald Ma?nahmen und Gegenma?nahmen erzwingen, uber die sie ein Vorauswissen besa? — ihre starkste Waffe —, ohne sie aber andern zu konnen.
Am Spatnachmittag ging sie am Flu?ufer entlang und dachte daruber nach, als ein sonderbares, hasenartiges Wesen auftauchte. Seine riesigen Ohren und ubertrieben vorstehenden Zahne verliehen ihm ein beinahe komisches, karikaturhaftes Aussehen, das durch einen Blick auf die kraftvollen Beine ausgeglichen wurde. Es war uberdies mehr als eineinhalb Meter gro?, selbst ohne die Ohren — eine sehr beachtliche Gro?e —, obwohl die Art harmlos war. Es starrte sie eher neugierig als furchtsam an, und sie starrte zuruck. Irgendwo in den Winkeln ihres Gehirns regte sich ein Gedanke und erzwang sich den Weg nach vorn. Das Tier hatte etwas entschieden Seltsames an sich, etwas, das sie nicht ganz unterbrachte, das aber auf irgendeine Weise wichtig zu sein schien. Kurz danach begriff sie, da? das Tier vom Gesicht bis zu den kurzeren Vorderbeinen braun war, darunter das Haar aber langsam schneewei?em Pelz Platz machte. Sie schaute genauer hin und konnte Spuren von vereinzelten wei?en Stellen sogar im hellen Braun erkennen.
Sie hatte solche Wesen schon fruher gesehen, aber sie waren zumeist ganz wei? oder ganz braun gewesen. Nun wu?te sie plotzlich, warum. Wei? war die Winterfarbe. Im Schnee wurden die Tiere dadurch fast unsichtbar. Jetzt, da der Fruhling begann und jeder neue Tag ein bi?chen warmer wurde, nahm das Tier eine braune Farbung an, um in dem erbluhenden Wald besser getarnt zu sein. Langsam wurde das Wei? verdrangt, wahrend die Jahreszeiten wechselten — und das bedeutete, da? bei der einen von zwei Gelegenheiten im Jahr das Tier sich auf seine Farbung als Schutz nicht verlassen konnte. Jetzt, beim Fruhlingsanfang wie spater im Herbst, war es eine Zielscheibe. Jagdgruppen kamen inzwischen schon zum See herauf; sie hatte sie gesehen und argerte sich daruber, da? ihr der Zusammenhang nicht gleich aufgegangen war.
Die Jagd war bei den Dillianern ein wichtiger Erwerbszweig; die Einheimischen verwendeten Haute und Felle auf vielerlei Art und verkauften das Fleisch an benachbarte Hexagons. Jagdgruppen — zumeist Berufsjager — bestanden aus harten Leuten, die sich auskannten. Aber die Jagd wurde nicht in Dillia betrieben — sie war nur seeauf moglich, und das Wild dort war reserviert fur die Dauerbewohner, damit sie es hegten. Nein, die Jagd von Dillia fand in Gedemondas statt, auf den Bergpfaden.
Sie entschied, da? sie letztlich doch in die Stadt gehorte, diesmal, um einen Weg nach Gedemondas hinein zu erkunden. Was sie von Dillia brauchte, konnte spater veranla?t werden; Gedemondas war entscheidender, vor allem, weil spater nicht mehr genug Zeit bleiben mochte, um in dieser Hinsicht etwas zu unternehmen.
Erste Versuche, sich einer Expedition anzuschlie?en, brachten Mi?erfolge. Obwohl die Jagdgruppen aus Mannern wie aus Frauen bestanden, weil die Dillianer, wenn es um Tatigkeiten ging, kaum Unterschiede nach dem Geschlecht machten, war sie zu weich, zu hubsch fur sie, als da? man sie ernst genommen hatte. Fur sie war das ein frustrierendes Erlebnis. Ihr ganzes Leben lang war sie nicht nur klein, sondern fast winzig gewesen, und auch da hatte man sie nie ernst genommen — bis es zu spat war. Aber jetzt herablassend behandelt und abgewiesen zu werden, weil sie zu attraktiv sei, war ein schwerer Schlag. Nicht da? die Jager, vor allem die riesenhaften, sich in die Brust werfenden Manner, nicht an ihr interessiert gewesen waren — sie brachten nur vom sachlichen Standpunkt her kein Interesse fur sie auf.
Es kam ihr vor, als kehre sie zu ihren Anfangen zuruck, als sie, arm und auf einer zuruckgebliebenen Pionierwelt festsitzend, Geld, Einflu? und schlie?lich einen Fluchtweg dadurch gewonnen hatte, da? sie ihren Korper und andere Dienstleistungen verkaufte. Aber jetzt standen die Dinge anders; Dillia besa? gewisse Ahnlichkeiten, jedoch nicht diesen Ausweg — nicht hier und nicht jetzt. Und sie besa? nichts anderes, nicht einmal einen dicken Mantel fur die Winterkalte des Jagdgebiets oder auch echte Erfahrung im Umgang mit Waffen. Gewi?, sie kannte eine Laserpistole und ihre Verwandten in- und auswendig, aber hier befand sie sich in einem nur teilweise technologischen Hex, wo au?er Explosionswaffen nichts funktionierte, und Gedemondas, das Jagdgebiet, war sogar ein nicht-technologisches Hex, wo man mit Pfeil und Bogen und ahnlichen Waffen totete, Waffen, die nach einer standigen Verfeinerung der Geschicklichkeit im Umgang mit ihnen verlangten, von der sie fast nichts besa?, schon gar in diesem neuen, gro?eren Korper.
Sie lie? sich entmutigen, und einige Versuche sowohl mit dem Bogen wie mit einer Armbrust hatten ihre Stimmung nicht verbessert. Sie ging denkbar ungeschickt damit um.
Trotzdem fuhr sie fort, die immer noch eintreffenden Jagdgesellschaften abzufangen, zu begru?en und sich mit den Leuten zu unterhalten. Die meisten hatten es eilig, um noch ein bisher nicht beanspruchtes Jagdrevier mit Beschlag zu belegen. Sie standen alle an der Bartheke, und ein Mann, der Anfuhrer einer Gesellschaft, leerte machtige Kruge Bier und erzahlte den Einheimischen von Gedemondas. Die meisten waren nie dort gewesen und wurden nie hinkommen; es war selbst fur jene, die das Land gut kannten, eine geheimnisvolle und gefahrliche Gegend, und was der gesunde Menschenverstand nicht verhinderte, tat der Aberglaube. Trotz der Tatsache, da? die Dillianer uber Hexagons und Wesen halb um die ganze Sechseck-Welt sprechen konnten, wu?te uber ihre unmittelbaren Nachbarn niemand sehr viel. In Zone besetzten sie keine Botschaft, und in den Geschichtsbuchern stand nichts uber sie. In geographischen Werken wurden sie als scheue, aber ubelwollende Wilde beschrieben, die man nur aus der Ferne erblicken konnte. Dillia hatte keine Erlaubnis, in Gedemondas zu jagen, aber Einwande waren nie vorgebracht worden. Alles zusammen machte das Hex zu einer unheimlichen, abschreckenden Region der Legende.
Der Jager, der Asam hie?, war ein gro?er, kraftiger Dillianer anfangs der mittleren Jahre, dem man das aber kaum ansah. Seiner gebraunten, schlanken, muskulosen Gestalt entsprach ein kantiges, gutaussehendes Gesicht, das den Eindruck machte, das Elend der Welt kennengelernt zu haben, und trotzdem war da auch Gute, hervorgehoben vielleicht durch seine ungewohnlichen graugrunen Augen. Sein Bart, durchzogen von Wei?, war perfekt gestutzt, und der Mann wirkte insgesamt robust, aber gepflegt. Seine Stimme entsprach dem Aussehen: stark, leise, sonor, melodisch und zutiefst mannlich.
»Da oben ist ewiger Winter«, sagte er gerade, nachdem er in tiefen Zugen aus einem Bierkrug getrunken hatte, in den mehr als zwei Liter hineingingen. »Ja, an einem warmen Sommertag kann einem das Haar steif gefrieren. Wir mussen besonders vorsichtig sein und einander regelma?ig abreiben, damit aus dem Schwei? keine Eiskugelchen werden. Und schwitzen tut man, tauscht euch da nicht. Manche von den alten Steigen gehen fast senkrecht hinauf, und man tragt ‘nen schweren Rucksack. Zuweilen verschwindet der Weg ganz — dann mu? man auf Schnee und Eis hinaus, was um diese Zeit besonders gefahrlich ist, weil der Schnee vom Boden aufwarts schmilzt und die Sonne von oben runterglei?t. Das gibt versteckte Spalten, die eine ganze Gesellschaft verschlingen konnen, ohne eine Spur zu hinterlassen, und ubles Glatteis und weiche Stellen und Schneebrucken, wo der Boden fest zu sein scheint, unter denen aber nichts als Luft ist, wenn man’s ausprobiert.«
Seine Aussprache war sonderbar; fur sie wurde sie ubersetzt wie Reden aus einem Piratenbuch fur Kinder, farbig und einzigartig. Sie fragte sich, wieviel davon auf Wirkung angelegt war, oder ob er, wie sie das bei anderen erlebt hatte, das schon so oft vorgespielt hatte, da? er der geworden war, den er darstellte.
Seine Zuhorer waren naturlich zumeist junge Leute, und sie uberfielen ihn mit Fragen. Mavra schob sich an einen von ihnen heran und flusterte:»Wer
Der junge Mann sah sie fassungslos an.
»Na, das ist Asam — der Colonel personlich«, erwiderte er ehrfurchtig.
Sie konnte sich an keine Rangordnung in Dillia erinnern.
»Tut mir leid, ich bin neu hier«, sagte sie zu dem hingerissenen Jungling. »Konnen Sie mir etwas uber ihn