»Nun«, meinte die Matriarchin nach einer kurzen Pause. »Nur dieses eine Mal, Edwin.«

Sie brachte tatsachlich ein Lacheln fur mich zustande und ich lachelte zuruck. Und dann, als waren die Dinge nicht schon kompliziert genug, hatten der Geist von Jacob Drood und der lebende Jay Drood beschlossen, dass es an der Zeit sei, wieder aufzutauchen. Schon wahrend ich mit der Matriarchin geredet hatte, hatte ich das Gefuhl gehabt, dass mich jemand beobachtete. Endlich sah ich mich um und mein Blick fiel auf Merlins Spiegel, der im Moment eine Reflexion des ganzen Lageraums wiedergab. Aber da war irgendetwas falsch an dem Bild und ich ging hinuber, um es genauer zu betrachten. Es waren zu viele Leute darin. Im Spiegelbild standen Jacob und Jay hinter mir und grinsten mir uber meine Schulter hinweg zu. Ich sah mich um, aber da stand niemand hinter mir. Ich bekam eine Gansehaut. Besonders als die beiden um mein Spiegelbild herumkamen, nach vorn gingen und aus dem Spiegel in den Lageraum traten. Ich musste ihnen hastig Platz machen. Die Leute zuckten zusammen, schrien und kreischten sogar. Jacob und Jay grinsten einfach nur, kicherten und stie?en einander mit den Ellbogen an, als ob ihnen ein besonders schlauer und kindischer Streich gelungen sei. Ich musste tief Luft holen, damit auch mein Puls sich wieder normalisierte.

Jacob trug jetzt eine altmodische, flaschengrune Lokomotivfuhrer-Latzhose samt Schirmmutze. Seine mit Silberknopfen besetzte Jacke stand offen und enthullte ein T-Shirt mit der Aufschrift: Mit Ingenieuren sind Sie schneller. Er sah sehr konzentriert und hellwach aus, beinahe ohne die Streifen von blaugrauem Ektoplasma, die er sonst bei jeder Bewegung hinter sich herzog. Jay war wieder in die feine Kleidung seiner Epoche gekleidet und sah beinahe so begeistert aus wie sein zukunftiges, gespenstisches Ich … aber da war etwas in seinen Augen. Ich verschrankte die Arme vor meiner Brust und starrte die beiden so bose wie moglich an.

»Netter Trick«, sagte ich kalt. »Ich behalte ihn im Kopf fur den Fall, dass jemand einen Herzkasper brauchen sollte. Ich wusste gar nicht, dass du das kannst, Jacob.«

»Du warst uberrascht uber das, was du alles kannst, wenn du erst mal tot bist, Junge«, sagte Jacob frohlich. »Das ist wirklich sehr befreiend.«

Jay sah sein zukunftiges Ich ernsthaft an. »Ich platze fast und ich wunschte, das wurde ich nicht. Wir haben einen Plan, um die Welt zu retten, Eddie.«

»Na klar habt ihr den«, meinte ich. »Hat den nicht jeder? Beinhaltet euer Plan zufallig, das ganze verdammte Universum in die Luft zu jagen?«

»Ah, nein«, sagte Jay. »Nicht so richtig.«

»Dann mag ich ihn jetzt schon«, erwiderte ich.

»Ach, sag du's ihm, Jacob«, meinte Jay. »Du wei?t, dass du unbedingt willst und du wirst mir blo? ins Wort fallen, wenn ich es erzahle. Ich bin offenbar nach meinem Tod ziemlich unleidlich geworden.«

»Versuch du mal, ein paar Jahrhunderte mit dieser Familie rumzuhangen«, grummelte Jacob. »Sie bringen den Papst zum Fluchen und Tellerwerfen. Hor zu, Eddie, wir haben einen Weg gefunden, die Eindringlinge zu stoppen. Wir werden den Zeitzug benutzen.«

»Ihr habt erst angefangen, euren Plan zu beschreiben und schon hasse ich ihn«, meinte ich. »In der Zeit zuruckzugehen, um in der Gegenwart Dinge ungeschehen zu machen, funktioniert nie. Nie, nie, nie. Es endet immer damit, dass man mehr Probleme hat, als man losen wollte.«

»Reg dich ab, Eddie«, sagte Jay. »Dein Gesicht hat eine au?erst komische Farbe gekriegt und das kann wirklich nicht gut fur dich sein.«

»Wir gehen nicht in der Zeit zuruck, um die Eindringlinge aufzuhalten, bevor sie anfangen, Plane gegen uns zu schmieden«, meinte Jacob geduldig. »Ich wei? genug uber Zeitreisen, um zu wissen, dass das nicht funktionieren wurde. Ich sehe schlie?lich fern. Nein, wir haben eine viel bessere Idee. Wir werden den Zeitzug benutzen, um uns in die Heimatdimension der Eindringlinge zu schleichen und sie aus einer Richtung zu attackieren, die sie nicht erwarten: Der Vergangenheit!«

»Wiederholt das bitte noch mal«, sagte ich. »Ich glaube, ihr habt mich an der letzten Ecke abgehangt.«

»Es ist wirklich sehr einfach«, meinte Jay.

»Nein, ist es nicht«, antwortete ich. »Keine Erklarung, die so anfangt, ist das.«

»Schau mal«, sagte Jacob und stie? mir mit einem erstaunlich soliden Finger in die Brust. »Die Eindringlinge kommen aus einer hoheren Dimension als wir, richtig? Das hei?t fur sie, dass Zeit nur eine Dimension ist, die sie raumlich begreifen. Wir konnen also den Zeitzug benutzen, um in ihre Dimension einzudringen und ihre Heimatwelt aus der Vergangenheit angreifen! Sie werden uns gar nicht kommen sehen!«

»Sie werden ihre Heimatwelt sicher versteckt haben«, sagte Jay. »Entweder in einem Taschenuniversum oder einer Dimensionsfalte, vollig uberzeugt, dass geringere Wesen aus einer niederen Dimension sie nicht finden konnen. Aber Jacob ist tot und ich lebe noch. Zusammen konnen wir Dinge sehen, die niemand sonst sehen kann.«

»Nur wir konnen hoffen, die Anstrengungen einer Zeitreise dieser Art zu uberstehen. Denn wir sind dieselbe Person in zwei verschiedenen Stadien der Existenz. Wir werden das tun mussen, Eddie. Tony hat die Lok umgebaut, sodass sie Zeitenergien aufsaugen kann, wahrend sie reist. Damit wir, wenn wir in der Heimatwelt der Eindringlinge ankommen, den Zug mit voller Geschwindigkeit reinfahren und alle Zeitenergien gleichzeitig loslassen konnen. Dieser ganze widerliche Ort wird wie ein Knallfrosch in einem Apfel explodieren!«

»Ende der Heimatwelt, Ende der Eindringlinge!«, sagte Jay.

»Ein interessanter Plan«, musste ich zugeben. »Auch wenn er meinem Verstand immer aus den Fingern gleitet, wenn ich ihn zu fassen versuche. Aber seid ihr sicher, dass ihr die Heimatwelt der Eindringlinge finden konnt?«

»Man kann vor den Toten nichts verstecken«, sagte Jacob. Er sah Molly an und dann mich, aber er sagte nichts.

»Du musst es uns versuchen lassen«, sagte Jay. »Denn so … so werde ich sterben. Jacob hat sich endlich erinnert. Es macht mir nichts aus, wirklich! Es ist ein guter Tod. Dem Feind ins Gesicht spucken und die Unschuldigen retten, fur die Familie. Der Tod eines Droods.«

»Und das ist es auch, worauf ich die ganze Zeit gewartet habe«, sagte Jacob. »Das ist mein Ende, endlich. Keiner von euch konnte das tun. Nur ich, und ich. Jay stirbt, indem er unsere Feinde besiegt und endet irgendwie hier, in der Vergangenheit, als Familiengespenst, und wartet darauf, es wieder zu tun. Und ich … werde endlich weitergehen konnen, was auch immer dann kommt. Und ich freue mich schon darauf. Ich bin uber die Jahrhunderte ekelhaft dunn geworden, und ich bin wirklich sehr mude.«

»Dann los«, sagte ich. »Der Zeitzug gehort euch.«

»Du musst die Eindringlinge allerdings beschaftigt halten und ablenken, damit sie nicht daruber nachdenken konnen, ob wir kommen oder nicht.«

»Ich denke, das kriegen wir hin«, meinte ich.

Martha uberraschte mich, denn sie trat nun vor, um Jacob direkt anzusehen. »Geh mit Gott, Jacob«, sagte sie. »Ich werde dich vermissen.«

Er grinste schief. »Das wirst du dir sicher uberlegen. Auf Wiedersehen, Ur-ur-ur-ur-Enkelin.« Er sah sich im Lageraum um. »Ihr alle seid meine Kinder, meine Abkommlinge, und ich bin immer sehr stolz auf euch gewesen.«

Er und Jay drehten sich synchron um und schlenderten wieder in das Spiegelbild. Fur einen Moment bewegten sie sich auf unheimliche Weise zwischen unseren Spiegelbildern, dann anderte sich das Abbild und zeigte die beiden, wie sie durch den alten Hangar hinter dem Herrenhaus gingen. Sie kletterten in das glanzend schwarze Fuhrerhaus der Zeitlok und winkten Tony zum Abschied zu, der mit Tranen in den Augen zuruckwinkte, weil er wusste, dass er seinen geliebten Ivor nie wiedersehen wurde. Jacob bediente die Kontrollen mit professionellem Konnen, wahrend Jay mit grimmiger, nervoser Energie kristallisierte Tachyonen in den Ofen schaufelte. Er fuhr in seinen Tod und er wusste es; und vielleicht war es auch nicht sehr hilfreich, zu wissen, dass er als Jacob zuruckkommen wurde.

Ivor ruckte plotzlich nach vorn. Der Zeitdruck erreichte einen Hohepunkt und Jacob zog am Hebel: Der Zeitzug schob sich vorwarts und verschwand schnell in einer Richtung, der kein menschliches Auge folgen konnte. Dann waren sie weg.

Ich wartete einen Moment und sah mich dann um. Aber nichts hatte sich verandert. Also machte ich mit meinem eigenen Plan weiter. Was hatte ich auch sonst tun konnen?

Molly und U-Bahn Ute fuhrten meine kleine Gruppe in eine verhaltnisma?ig stille Ecke des Lageraums, damit sie uns den Weg der Verdammnis erklaren konnten. Sie waren sich in bestimmten Details nicht ganz einig und

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