konnen?
»Wenigstens gibt es jetzt kein Manifestes Schicksal mehr«, sagte Harry nach einer Weile. »Truman ist tot, zusammen mit all seinen Leuten hier, und seine Basis ist zerstort. Zumindest ein Boser weniger in der Welt, um den man sich Sorgen machen muss.«
»Sei nicht so naiv, Harry«, sagte Molly mude. »Das Manifeste Schicksal ist eine Idee, eine Philosophie. Das wird es immer geben, in der einen oder anderen Form. Es wird immer die kleinen, verbitterten Leute geben, die bereit sind, einem charismatischen Fuhrer zu folgen, der ihnen Frieden und Gluck verspricht, um damit Gewalt und das Toten von Sundenbocken zu rechtfertigen.«
»Aber das muss uns heute nicht kummern«, sagte ich fest. »Also los, lasst uns nach Hause gehen.«
Merlins Spiegel erschien plotzlich vor uns und offnete sich in den Lageraum. Wir gingen der Reihe nach hindurch und schallender Applaus empfing uns. Jeder rief meinen und Mollys Namen. Der Waffenmeister wartete auf uns, um uns zu begru?en.
»Wusste ich doch, dass ihr wiederkommt«, sagte er schroff. »Hab ich nie bezweifelt. Wie war es in der hoheren Dimension? Wie sahen die Hungrigen Gotter aus? Habt ihr mir ein paar interessante Souvenirs mitgebracht?«
»Hallo, Onkel Jack«, sagte ich. »Schon, wieder hier zu sein.«
Naturlich musste es eine gro?e Feier geben. Die Familie ist schon immer gro? in Zeremonien und Festivitaten gewesen. Also ging - nachdem Molly und ich direkt ins Bett gefallen waren und einmal rund um die Uhr geschlafen hatten -, das Gerucht um, dass wir im Ballsaal erwartet wurden. Wir warfen uns in unsere besten Klamotten und machten uns auf den Weg. Nur um festzustellen, dass wahrscheinlich die ganze, verdammte Familie sich an einem Ort versammelt hatte und tanzte, trank und sich den Bauch vollschlug vor lauter Freude daruber, dass die Welt doch nicht untergegangen war. Es sah so aus, als hatten sie das schon eine ganze Zeit getan. Der Larm war ohrenbetaubend. Seltsam hatte sein rosiges Leuchten oben an der hohen Decke angebracht und ubertrug Tanzmusik aus dem Nichts. Die Leute tanzten wie verruckt, tranken gro?zugig und schwatzten laut miteinander, wahrend sie die riesige Menge Essen vertilgten, das auf den Buffettischen an den vier Wanden aufgetischt war.
Erst wurde alles still, als wir hereinkamen. Dann drehte sich jeder zu uns um, um uns zuzujubeln, klatschte in die Hande und trampelte mit den Fu?en, und geriet bei unserem Anblick vollig aus dem Hauschen. Die schiere Lautstarke und das Gefuhl waren so uberwaltigend, dass ich tatsachlich rot anlief. Ich nickte steif, lachelte und winkte zogerlich. Molly lachelte su? und badete in all dem. Ihr war noch nie in ihrem Leben etwas peinlich gewesen.
Wir bahnten uns unseren Weg in den Ballsaal und jeder begann sofort wieder damit zu tanzen, zu trinken und zu essen. Wir sind schon immer eine sehr pragmatische Familie gewesen. Die Matriarchin hatte Molly und mich zu Ehrengasten ernannt, mit Reden und Prasentationen und all dem, aber ich hatte mein Veto eingelegt. Das war eine Feier von der Familie fur die Familie. Wir hatten alle etwas dazu beigetragen. Wir alle hatten unsere Pflicht getan.
Molly und ich wanderten einen Buffettisch entlang und versuchten etwas von diesem und jenem. Das meiste Essen im Angebot waren die bekannten Partysnacks im Familienstil. Molly liebte die mit Pastete gefullten Babymause auf Cocktailspie?chen, ich hielt mich lieber an den jungen Oktopus an Kaviar. Es gab Lemming-Mousse, Teufelshirn in Schwefelso?e und jede Menge gerosteten Schwan. Wir mogen es nicht, wenn der See zu bevolkert ist. Ihre Majestat die Konigin hat uns eine Sondergenehmigung gegeben, Schwan essen zu durfen. Als ob uns das interessiert hatte.
Ich war immer noch mude trotz der vielen Stunden tiefen und traumlosen Schlafs. Selbst Molly fehlte noch das gewisse Etwas. Also schlenderten wir einfach ein wenig herum, sagten den Leuten Hallo und schuttelten Hande. Wir gestatteten uns, auf die Schulter geklopft zu werden, und lie?en einfach alle erzahlen, wie gro?artig sie uns fanden. Bekannte Gesichter tauchten hier und da auf. Die Bibliothekare William und Rafe nickten uns kurz im Vorbeigehen zu, zeigten aber sonst die feste Absicht, alles auf dem Buffettisch zu vertilgen, was nicht selbst von seinem Teller wegrennen konnte. Harry und Roger segelten vorbei, sie drehten sich zu den Klangen eines Strau?-Walzers. Sie sahen wirklich schneidig aus. Der junge Freddie Drood tanzte mit der Matriarchin, die beiden schwebten glatt und grazios uber den Boden und fur einen Moment konnte ich erahnen, was fur eine prachtvolle Frau Martha in ihren besten Jahren gewesen sein musste.
Callan humpelte zu uns heruber, in einer Hand einen gro?en Drink und eine noch gro?ere Hahnchenkeule in der anderen. »Hallo, ihr beiden! Willkommen zuruck! Was sollte das, zu glauben, dass ihr die Welt ohne mich retten konnt! Ich bin in einem Krankenhausbett aufgewacht und musste mir mit einer Bettpfanne und einer Krucke den Weg frei prugeln. Nur um zu sehen, dass ihr schon weg wart! Ich verpasse immer das Beste.«
»Vielleicht das nachste Mal«, sagte Molly freundlich. »Hast du auf der Krankenstation Janitscharen Jane getroffen?«
»Oh, aber sicher. Sie erholt sich. Langsam. Eine zahe alte Braut.« Callan holte tief Luft und sah plotzlich kleinlaut aus. »Eine ganze Menge anderer haben es nicht geschafft. Allein die Beerdigungen werden Wochen dauern. Die Familie wird eine lange Zeit brauchen, um daruber wegzukommen.«
»Umso wichtiger ist es, dass gute Leute nach vorne treten und den Staffelstab ubernehmen«, sagte ich. »Ich habe schon mit der Matriarchin daruber gesprochen, dich zu einem vollen Frontagenten zu machen.«
Callan grinste. »Wurde auch Zeit. Ich werde euch allen zeigen, wie man das macht.«
Und weg war er, um seine Personlichkeit irgendwo anders glanzen zu lassen.
Der Waffenmeister schlenderte vorbei. Er hielt eines seiner speziellen langstieligen Glaser, die er extra entworfen hatte, um nie auch nur einen Tropfen zu verschutten, egal, was man damit tat. Sah man auf die Weinflecken, die uberall auf seinem Laborkittel zu sehen waren, war Version 15 nicht erfolgreicher als die Vorgangermodelle. Der Waffenmeister lachelte Molly und mir schwach zu, dann erinnerte er sich, warum er zu uns herubergekommen war und brachte uns schnell auf den neuesten Stand der Dinge. Er hatte noch nie viel fur Small Talk ubrig gehabt.
»Dass die Hungrigen Gotter tot waren, wussten wir in dem Moment, in dem es passiert ist, denn jede Drohne in jedem Nest auf der ganzen Welt starb oder verschwand exakt im gleichen Moment. Sie verschwanden sogar aus dem Inneren der armen besessenen Seelen, die wir in den Isolationszellen festgehalten haben. Alle Spuren der Infektion waren weg, einfach so. Die meisten der armen Teufel leiden immer noch unter den inneren Veranderungen und sogar Hirnschaden, aber die Mediziner konnen viel tun. Wenn nicht - nun ja, die Familie wird fur sie bis zu dem Tag sorgen, an dem sie sterben, wenn es sein muss. Das Wichtigste ist, dass nicht ein Abscheulicher auf der weiten Welt mehr existiert! Da habt ihr beiden verdammt viel erreicht!«
»Danke, Onkel Jack«, sagte ich. »Wei?t du, wir hatten es nicht geschafft, wenn du nicht gewesen warst. Dein Teleport-Armband war also doch noch nutzlich.«
»Ich wusste es!«, sagte er glucklich. »Ich bin froh, dass du es endlich geschafft hast, es fur mich zu testen. Ich war beinahe sicher, dass es funktioniert.«
Er wanderte wieder davon, bevor ich ihm eine reinhauen konnte.
»Ich erinnere mich nicht genau daran, wie es war, infiziert zu sein. Etwas in mir zu haben, das meinen Verstand und meine Seele zerfra?. Vielleicht genau so.«
»Ja«, sagte ich. Ich hatte ihr nicht erzahlt, dass die Drohne zeitweise die Kontrolle uber ihren Korper ubernommen hatte und sie dazu benutzt hatte, um ihre alte Freundin U-Bahn Ute zu toten. Wozu ware das gut gewesen? Manchmal besteht die Liebe darin, dem anderen etwas nicht zu sagen.
»Haben sie schon herausgefunden, wer Sebastian umgebracht hat?«, fragte sie plotzlich.
»Scheinbar nicht«, sagte ich. »Wahrscheinlich wurde er von dem eigentlichen Verrater getotet, der die Abscheulichen erst in unsere Welt brachte. Vermutlich wusste Sebastian etwas oder der Verrater glaubte das.«
»Und du machst dir keine Sorgen darum, dass der Bastard immer noch hier ist?«
Ich musste lacheln. »Wenn ich glauben konnte, dass es nur einen Verrater in der Familie gibt, dann ware ich glucklich. Fruher oder spater wird er oder sie sich verraten. Das tun Verrater immer. Aber das - ist eine Geschichte fur einen anderen Tag.«
Die Matriarchin kam zu uns heruber, aufrecht und majestatisch wie immer und jeder beeilte sich, ihr aus dem Weg zu gehen.