besten Ermessen vor. Wir sprechen hier nur von einem kleinen Prozentsatz von Drecksacken, hoffe ich. Seltsam, stellt es ein Problem fur dich dar, so schnell so viel fremdartige Materie fur die Torques und die Rustungen zu produzieren?«

»Bitte, nenn mich Ethel!«

»Nicht, wenn man mir eine Waffe an den Kopf hielte!«

»Du kannst so viele silberne Torques haben, wie du willst, Eddie«, sagte Seltsam ungezwungen. »Es dreht sich nur darum, mehr von mir aus meiner Heimatdimension hierher durchzubringen. Ich bin gro?artig und grenzenlos, weise und wunderbar. Aber wei?t du, ihr braucht nicht wirklich neue Torques. Ich konnte euch allen beibringen, ubermenschlich zu sein. In euch Menschen steckt so viel Potenzial! Ihr konntet gro?er sein, als jeder Torques euch jemals machen konnte. Ihr konntet alle wie Sterne strahlen!«

Ich blickte den Inneren Zirkel an, und der Innere Zirkel blickte mich an.

»Wie lange wurde das dauern?«, fragte ich.

»Jahre«, antwortete Seltsam. »Generationen vielleicht. Diese ganze Sache mit der aufeinanderfolgenden Zeit ist ein neues Konzept fur mich.«

»Ich denke, wir werden furs Erste bei dem bleiben, was wir kennen«, meinte ich. »Die Familie muss so schnell wie moglich stark sein. Aber denke auf alle Falle uber die Alternative nach, Seltsam, und lass mich wissen, wenn du etwas Konkreteres fur mich hast.«

»Oh, klasse!«, sagte Seltsam. »Das wird ein Heidenspa?!«

»Noch irgendwelche andere Angelegenheiten?«, erkundigte ich mich schnell.

»Nur eine«, meldete sich der Waffenmeister. Er zog einen kleinen Gegenstand unter seinem Laborkittel hervor, der in einen schweren wei?en, mit Gold durchwirkten Seidenstoff eingeschlagen war und reichte ihn mir. Ich nahm ihn entgegen und wickelte ihn mit au?erster Sorgfalt und Vorsicht aus. Gaben vom Waffenmeister haben eine Tendenz, ausgesprochen gefahrlich zu sein, wenn nicht sogar regelrecht explosiv. Doch der Gegenstand entpuppte sich als schlichter Handspiegel mit Silbergriff und -rahmen. Ich wog ihn fur alle Falle ein paar Mal vorsichtig in der Hand, aber nichts geschah. Und das Gesicht im Spiegel war ganz entschieden meins. Ich blickte den Waffenmeister fragend an.

»Jacob und ich stobern haufig in der alten Bibliothek«, berichtete der Waffenmeister. »Wenn ich ihn von seinen anderen, ah, Beschaftigungen losrei?en kann. Und wir haben einige ganz bemerkenswerte Stucke ausgegraben. Eine Anzahl von Buchern, die schon seit Langem als verloren oder zerstort galten, eine Reihe alter Karten von zweifelhafter Herkunft, aber mit aufregenden Moglichkeiten. Und eine Handvoll verlorener und ganz legendarer Schatze. Das hier ist Merlins Spiegel. Er verschwand im spaten achtzehnten Jahrhundert unter ziemlich schleierhaften Umstanden aus dem Armageddon-Kodex. Jacob hat ihn in einem ausgehohlten Buch uber Wuhlmause entdeckt.«

»Wei? nicht mal, was mich dazu gebracht hat, da nachzuschauen«, sagte Jacob vergnugt. »Ich war nur auf der Suche nach irgendwas mit schmutzigen Bildern.«

»Augenblick mal!«, sagte Molly. »Merlins Spiegel - sprechen wir etwa von dem Merlin?«

»O ja!«, bestatigte Jacob.

»Er war ein Drood?«, staunte Molly.

»Wohl kaum«, entgegnete der Waffenmeister. »Wir haben schon unsere Mindestanforderungen. Nein, er war Merlin Satansbrut, des Teufels eingeborener Sohn. Geboren, um der Antichrist zu sein, aber er lehnte die Ehre ab. Er musste ja immer seinen eigenen Weg gehen. Gema? einiger, recht faszinierender Aufzeichnungen in der alten Bibliothek hat er allerdings tatsachlich gelegentlich mit der Familie zusammengearbeitet. Wenn es ihm in den Kram passte. Und offenbar schuldete er uns einen Gefallen und zeigte sich erkenntlich, indem er uns diesen Spiegel schenkte.«

Molly streckte die Hand danach aus und ich gab ihn ihr. Sie murmelte ein paar Worte uber dem Spiegel, vollfuhrte ein paar schnelle Gebarden, hielt ihn sogar mit dem Kopf nach unten und schuttelte ihn, in der Hoffnung, es konnte etwas herausfallen, doch nichts passierte. Molly rumpfte die Nase und gab mir den Spiegel zuruck.

»Na schon«, meinte sie, »ich passe. Wofur soll er gut sein?«

»Man kann ihn benutzen, um Kontakt zu anderen Mitgliedern der Drood-Familie herzustellen, in der Vergangenheit oder in der Zukunft, und sie um Rat oder Informationen zu bitten.«

Es entstand eine Pause, und dann sagte Molly: »Nichts fur ungut, Leute, aber ich denke, bei dem Geschaft hat man euch beschissen. Ich meine, es ist nicht der nutzloseste magische Gegenstand, den ich jemals gesehen habe, aber es kommt ihm verdammt nahe.«

»Du bist eine Hexe«, sagte der Waffenmeister freundlich, »und deshalb daran gewohnt, hauptsachlich in Kategorien des Hier und Jetzt zu denken. Der Spiegel hat viele Verwendungszwecke. Hochwichtige Informationen, die in dieser Zeit verloren sind, konnen in der Vergangenheit, als sie noch nicht verloren waren, gefunden werden. Oder in der Zukunft, nachdem sie wiederentdeckt worden sind. Die bedeutendsten Familienstrategen - der Vergangenheit und der Zukunft - stehen uns jetzt als Ratgeber zur Verfugung. Wir konnen uns sogar spezifischen Rat aus der Zukunft einholen, welche Angelegenheiten wir verfolgen und von welchen wir besser unbedingt die Finger lassen sollten.«

»Wenn dieser Spiegel so nutzlich ist«, wunderte ich mich, »wie kommt es dann, dass er so lange verschollen war?«

»Ach«, sagte der Waffenmeister widerstrebend, »daruber existieren viele Geschichten. Die, der ich am ehesten Glauben schenken wurde, weil ich sie am wenigsten mag, besagt, dass jemand dem Spiegel eine ganz bestimmte Frage gestellt und von ihm eine ganz bestimmte Antwort bekommen hat, die ihn vollig durcheinanderbrachte. Deshalb nahm er den Spiegel und versteckte ihn, um zu verhindern, dass irgendjemand anders die Frage ebenfalls stellte oder die Antwort erfuhr.«

»Ich kann nicht verstehen, wie diese Familie etwas so Nutzliches so leichtfertig aufgeben konnte«, meinte Molly.

»Ich schon«, sagte ich. »Die Droods sind schon immer sehr vorsichtig gewesen bei allem, was mit Zeitreisen zu tun hat - seit dem Gro?en Zeitdesaster von 1217, als die Familie sich um ein Haar selbst ausgeloscht hatte, nachdem sie aus Versehen ein Mobiusband-Zeitparadoxon erzeugt hatte. Es gibt immer noch einige Zimmer im Herrenhaus, die wir nicht finden konnen, wegen dem, was wir machen mussten, um aus der Zeitschleife auszubrechen. Und was moglicherweise immer noch mit den armen Schweinen passiert, die wir in diesen Zimmern zurucklassen mussten, daran wollen wir gar nicht erst denken. Der menschliche Verstand hat schlichtweg nicht das notige Rustzeug, um sich mit allen denkbaren Komplikationen und ausgesprochen tuckischen indirekten Folgen des Herumpfuschens an der Zeit zu beschaftigen.«

Und dann hielt ich jah inne, denn mir kam eine Idee mit solcher Heftigkeit, dass es mir den Atem raubte, wahrend eine knochige Hand sich um mein Herz krallte. Ich blickte in Merlins Spiegel, und mein Gesicht starrte mich zuruck an, so kalt und hart und entschlossen, dass ich es kaum wiedererkannte.

»Kann ich mit jedem in der Vergangenheit Kontakt aufnehmen?«, fragte ich, und selbst ich konnte erkennen, dass die Stimme sich nicht wie meine anhorte. Sie klang rucksichtslos, sogar gefahrlich. Alle schauten mich angespannt an. Ich glaube, Molly begriff zuerst, vielleicht weil ihr Verstand bereits begonnen hatte, sich auf ahnlichen Bahnen zu bewegen. Ich blickte den Waffenmeister an, und jeder andere ware vermutlich zusammengezuckt beim Anblick dessen, was er in meinen Augen sah. »Ich wei?, dass es gefahrlich ist, und es ist mir egal«, kam ich seinen Einwanden zuvor. »Sag mir, Onkel Jack, kann ich mithilfe dieses Spiegels mit meinen Eltern in der Vergangenheit reden, bevor sie ermordet wurden?«

»Es tut mir leid«, antwortete der Waffenmeister mit rauer Stimme, aber nicht unfreundlich. »Daran habe ich auch schon gedacht. Es gibt immer jemanden in der Vergangenheit, mit dem wir gerne sprechen wurden: Freunde und Verwandte und geliebte Menschen, die zu fruh von uns gegangen sind, bevor wir ihnen all die Dinge sagen konnten, die wir ihnen eigentlich immer sagen wollten. Die Dinge, die wir aufschoben, weil wir immer dachten, es sei noch Zeit dafur. Bis plotzlich keine mehr war. Aber der Spiegel lasst es nicht zu, dass jemand Fragen zu seinem personlichen Nutzen stellt. Nur zum Wohle der Familie. Und der Spiegel erkennt den Unterschied immer. Ein eingebauter Sicherheitsfaktor vielleicht, um dem Missbrauch der Zeit vorzubeugen.«

»Vielleicht hatte der Zauberer Merlin Satansbrut aber auch nur eine fiese Ader«, sagte Molly.

»Oder das«, raumte der Waffenmeister ein.

»Ich muss wissen, was meinem Vater und meiner Mutter wirklich zugesto?en ist«, sagte ich. »Ich werde die

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