»Na ja, die richtigen Arschlocher, wie beispielsweise den verstorbenen und so gar nicht betrauerten Blutigen Mann Arnold Drood, wohl besser nicht«, prazisierte ich. »Aber von den richtig schwarzen Schafen sind sowieso nicht mehr viele ubrig, oder?«
»Nur noch ein paar, Gott sei Dank!«, bestatigte der Waffenmeister. »Wir haben sie im Lauf der Jahre ausgesondert. Tiger Tim halt sich immer noch irgendwo im Regenwald des Amazonas verborgen, weil er wei?, dass jedes nur halbwegs zivilisierte Wesen ihn in dem Moment umbringen wird, in dem er sein Gesicht zeigt. Und der Alten Mutter Shipton gehen endgultig die Identitaten aus, hinter denen sie sich verstecken kann. Wir sind uns ziemlich sicher, dass sie gegenwartig einen Sauglingsklondienst in Wien leitet. Unser Agent vor Ort hatte sich schon dicht an sie herangearbeitet. Vor den augenblicklichen Schwierigkeiten.«
»Und das sind die einzigen Monster, die noch ubrig sind?«, fragte ich.
»Die Einzigen, von denen wir wissen«, sagte Penny. »Aber ehrlich, Eddie, die Vogelfreien heimrufen? Den Abschaum, den wir rausgeworfen haben, weil sie Gauner oder Feiglinge oder Umsturzler waren? Das wird der Familie nicht gefallen!«
»Es gefallen uns oft die Dinge nicht, die gut fur uns sind«, entgegnete ich gelassen. »Wie bei so vielen Dingen den alten Rat betreffend, gilt auch hier: Auch die Vogelfreien waren nicht unbedingt das, was man uns uber sie erzahlt hat. Manche waren blo? Unruhestifter, die darauf bestanden, die Wahrheit zu sagen. Die Familie braucht neue Ratschlage, neue Tricks, neue Blickwinkel - die Vogelfreien konnen uns damit in Hulle und Fulle versorgen. Ich werde auch ein paar Freunde von au?erhalb hinzuziehen, um uns als Gasttutoren auszuhelfen. Janitscharen Jane naturlich. Und ich dachte … vielleicht der Blaue Elf.«
»Er wird perfekt zu uns passen«, sagte ich. »Au?erdem habe ich gehort, dass er seit seiner Nahtoderfahrung eine ganz neue Person ist.«
»Wenn du deine alten Freunde hinzuziehst, dann will ich auch ein paar von meinen!«, erklarte Molly. »Und sei es nur, damit ich mich nicht so in der Minderheit fuhle.«
»In Ordnung«, stimmte ich zu. »Wen hast du im Sinn?«
»U-Bahn Ute und Mr. Stich«, antwortete Molly lieblich lachelnd.
Vermutlich hatte es jetzt hitzige Worte und erhobene Stimmen gegeben, waren nicht in diesem Moment samtliche Alarme auf einmal losgegangen. Das Herrenhaus wurde angegriffen.
Kapitel Drei
Gut und Bose - alles miteinander verwandt
Wenn in den alten Tagen Generalalarm gegeben wurde, rannte die ganze Familie, um das Herrenhaus zu schutzen. Aber damals waren wir auch Krieger.
Jetzt rannten alle in die vorgesehenen Schutzraume, um sich zu verstecken, bis es vorbei war. Alles meine Schuld, klar, weil ich ihnen ihre goldenen Torques weggenommen hatte. Die Droods waren es nicht gewohnt, sich menschlich und verwundbar zu fuhlen. Deshalb waren das Sanktum und die daran angrenzenden Zimmer so etwas wie der neue Panikraum fur die Droods geworden, obwohl naturlich im Traum niemandem eingefallen ware, so einen Ausdruck zu benutzen. Aber als ich, gefolgt vom Rest des Inneren Zirkels, das Sanktum verlie?, kamen so viele Familienmitglieder, denen Angst und Verzweiflung deutlich in den Gesichtern geschrieben stand, durch den Korridor auf mich zu gerannt, dass ich beunruhigt feststellen musste, wie leicht der Geist meiner Familie gebrochen werden konnte.
Dagegen wurde ich etwas unternehmen mussen, und zwar schnell.
Seltsam bewachte das Sanktum und die anderen Zimmer; seine andersdimensionalen Schilde schutzten die Familie vor jeglichen Angriffen von au?erhalb. Die Familie ware dort sicher, wahrend ich untersuchte, wer oder was es wagte, uns anzugreifen. Seltsam war auch fur den Betrieb all unserer auf Wissenschaft und Zauberei beruhenden Verteidigungsanlagen verantwortlich, und es besturzte mich, wie schnell wir von diesem neuen Ersatz fur das zerstorte Herz abhangig geworden waren. Ich hatte uns nicht von einem andersdimensionalen Herrn befreit, nur um uns an einen anderen auszuliefern - egal wie wohlwollend er schien. Noch etwas, woruber ich mir Sorgen machen musste …
Seltsam hatte gesagt, er konne noch mehr fur uns tun, aber das hatte bedeutet, noch mehr von seiner Substanz in diese Dimension zu bringen, und sogar er musste zugeben, dass er keine Ahnung hatte, wie genau sich so viel fremde Materie auf die physikalischen Gesetze unserer Realitat auswirken wurde. Fremde Materie folgte nicht den hiesigen Naturgesetzen, und unserer Welt gefiel es nicht, sie hierzuhaben. Au?erdem war Seltsam, so wie er war, machtig genug. Vertrauen ist schon immer eine schwierige Angelegenheit fur mich gewesen, selbst bevor ich herausgefunden hatte, was das Herz tatsachlich war. Deshalb hatte ich, im Namen der Familie, Seltsams Angebot hoflich abgelehnt.
Weshalb es jetzt an mir lag, die ganze verdammte Familie vor dem Angriff zu beschutzen.
Die Droods stromten durch die Flure auf das Sanktum zu, die Gesichter blass und angespannt. Die Alarmglocken waren unertraglich laut, doch selbst bei diesem Krach verschaffte der Seneschall sich Gehor und brachte mit flammenden Worten und Drohungen eine gewisse Ordnung in die Menge, sodass sie in einer Reihe, aber nichtsdestoweniger schnell ins Sanktum marschierten. Er brauchte nicht viel von seiner charakteristischen Brutalitat einzusetzen; die meisten Familienmitglieder waren froh, eine gebieterische Stimme zu horen, die ihnen sagte, was sie machen sollten. Aber andererseits war das schon immer ihr Problem gewesen. Der Seneschall blickte die nervosen Gesichter, die an ihm vorbeistromten, finster an und schien tatsachlich beschamt, die Familie in einem solchen Zustand zu sehen. Mich blickte er nicht an, aber das brauchte er auch nicht - ich wusste schon, wem er die Schuld daran gab.
»Ich gehe in den Lageraum!«, sagte Penny schreiend zu mir, um uber dem allgemeinen Larm gehort zu werden. »Jemand muss das Gesamtbild im Auge behalten! Durchaus denkbar, dass dieser Angriff dazu vorgesehen ist, um uns von etwas richtig Gro?em abzulenken, das woanders stattfindet.«
»In Ordnung!«, antwortete ich. »Geh! Melde dich wieder, wenn du eine Gelegenheit bekommst!«
Aber sie war schon losgelaufen und bahnte sich ihren Weg durch die Flut der herannahenden Droods durch blo?es sicheres Auftreten. Mit ihr hatte ich eine gute Wahl getroffen. Ich sah mich nach Jacob um, doch der war verschwunden. Ich wandte mich an den Seneschall.
»Du bleibst hier und haltst die Lage unter Kontrolle! Molly, Onkel Jack, wir mussen in den Einsatzraum und herausfinden, mit wem oder was wir es zu tun haben, bevor wir rausgehen und dem Feind gegenubertreten. Seneschall, falls die Angreifer an uns vorbei und hier reinkommen sollten … improvisierst du.«
Ich machte mich auf den Weg und pflugte mit gleichma?igem Tempo durch die immer voller werdenden Flure, Molly und der Waffenmeister folgten mir auf dem Fu?. Ein zunehmendes Gefuhl der Panik lag in der Luft. Mein erster Instinkt war, hochzurusten, aber das durfte ich nicht: Es hatte nur alle anderen Droods in Wut versetzt, die ihre Rustung meinetwegen nicht mehr hatten.
Ich hatte Lust zu rufen:
»Was glaubst du, wer dahintersteckt?«, fragte Molly und zwangte sich dicht neben mich. »Vielleicht das Manifeste Schicksal? Konnte Truman am Ende die Kurve doch wieder gekriegt haben?«
»Unwahrscheinlich«, erwiderte ich. »Davon hatten wir gehort.«
»Konnte der Premierminister sein«, meinte der Waffenmeister, »der sein Missfallen daruber zum Ausdruck bringt, dass seine besten Agenten in Sargen zu ihm zuruckgeschickt worden sind.«
»Wenn sie imstande gewesen waren, mich zu fangen, dann ware vielleicht das Herrenhaus als Nachstes dran gewesen«, sagte ich. »Aber nach dem, was ich mit seinen fittesten Jungs angestellt habe, verkriecht er sich vermutlich immer noch wimmernd unter seinem Schreibtisch. Nein, das hier konnte jede der Gruppen sein, uber die wir vorhin gesprochen haben, weil sie ihre Praventivschlage unbedingt zuerst landen wollen. Hort zu, spart euch den Atem furs Laufen, Leute! Wir mussen wissen, worauf wir uns einlassen, bevor wir unsere Gesichter drau?en zeigen!«