Hause.«
»Ich durfte nie das Land verlassen«, wandte ich wehmutig ein.
»Aber Harry war James' Sohn«, erinnerte mich der Waffenmeister, »und James war immer Mutters Liebling. Doch Harry erwies sich als ausgezeichneter Frontagent; au?erst einfallsreich erledigte er immer seinen Job.«
»Aber was fur ein Mensch ist er?«, wollte Molly wissen.
»Ich habe keine Ahnung«, gestand der Waffenmeister und lachte in sich hinein. »Harry war James einziger
»Er konnte ihn nie in der Hose behalten«, bestatigte ich. »Ich will gar nicht daruber nachdenken, wie oft ihn das in Schwierigkeiten gebracht hat.«
»James war halt sehr romantisch!«, verteidigte ihn der Waffenmeister entschlossen. »Er verliebte sich immer schnell in ein hubsches Gesicht und bereute es anschlie?end meistens. Die Familie hat nie offiziell irgendeinen dieser Sprosslinge anerkannt, aber um James' Zufriedenheit willen trafen wir fur gewohnlich Arrangements, um sie erwerbstatig zu halten, und lie?en sie nutzliche Arbeit fur die Familie tun. Ab und zu, wenn wir mehr als ublich Abstand halten oder ableugnen mussten.«
»Ich dachte, eure Familie billigt kein Halbblut?«, warf Molly ein.
»Tun wir auch nicht«, bestatigte ich. »Sie werden nie nach Hause eingeladen und wir schicken ihnen keine Weihnachtskarten. Die Droods sind in mancherlei Hinsicht eine sehr altmodische Familie, aber das kommt eben vor, wenn man schon Jahrhunderte auf dem Buckel hat.«
»Aber sie fur gefahrliche Aufgaben zu benutzen, ist trotzdem in Ordnung?«
»Die Familie kann sehr pragmatisch sein, wenn sie will«, erklarte der Waffenmeister. »Nur so konnten wir jahrhundertelang uberleben.«
Schlie?lich erreichten wir den See. Die dunkle, blaugrune Oberflache des Wassers erstreckte sich vor uns, ruhig und unberuhrt, das andere Ufer so weit weg, dass wir es nicht einmal sehen konnten. Irgendwo im See gibt es eine Wassernixe, aber sie bleibt fur sich. Das Erste, was mir auffiel, war, dass samtliche Schwane verschwunden waren, vermutlich ans andere Ende des Sees geflohen. Und als ich die beiden Manner am Seeufer vor uns stehen sah, verstand ich warum.
Harry Drood lachelte dem Waffenmeister kurz zu, starrte mich kuhl an und bedachte Molly mit einem knappen Nicken. Er sah in seinem elegant geschnittenen grauen Anzug gro? und gut gebaut aus und das Gesicht hinter der Stahlbrille hatte jenes alltagliche Aussehen, das die Droods zu so ausgezeichneten Geheimagenten machte. Niemand schaut auf der Stra?e ein zweites Mal nach uns, und so mogen wir es auch. Harry hielt einen toten Schwan an seinem gebrochenen Hals fest, als ob es etwas sei, das er zufallig aufgehoben habe. Fur einen Eindringling und Schwanenkiller machte er einen bemerkenswert lassigen und ungezwungenen Eindruck.
Der Halbblutdamon neben ihm strahlte die ganze Gelassenheit und Sicherheit eines Raubtiers aus, das niedergekauert und bereit zum Angriff auf seine Beute lauert. Er sah hinlanglich menschlich aus, bis man die Einzelheiten in sich aufnahm. Er war knapp zwei Meter gro?, schlank, aber athletisch gebaut und hatte ein unnaturlich blasses Gesicht, nachtschwarze Haare und Augen und einen Mund, der so schmal war, dass er fast keine Lippen aufwies. Er trug einen Armani-Anzug und trug ihn gut, dazu eine altmodisch-traditionelle Krawatte, von der ich nicht glauben konnte, dass er sie auf ehrlichem Wege erworben hatte. Seine beiden Hande steckten tief in den Taschen, und er lachelte uns alle unbefangen an. Es lag kein Humor in dem Lacheln - blo? ein Raubtier, das die Zahne zeigte.
Von Nahem roch er nach dem Hollenschlund; ein saurer und Ubelkeit erregender Gestank nach Schwefel und Blut. Das Gras unter seinen Fu?en war geschwarzt und schwelte.
»Hallo, Onkel Jack!«, sagte Harry mit leichter, angenehmer Stimme. »Ich bin nach Hause gekommen. Ist nicht notig, ein gemastetes Kalb fur den verlorenen Sohn zu schlachten, ich denke, ich werde stattdessen Schwan nehmen. Ich mochte Schwan schon immer sehr gern.«
»Du hattest vorher fragen konnen«, erwiderte der Waffenmeister.
»Aber dann hattest du vielleicht nein gesagt«, meinte Harry vernunftig. »Und ich finde wirklich, dass ich ein Anrecht auf etwas Besonderes zur Feier meiner Heimkehr habe, nachdem ich so lang fort war.«
»Willst du uns nicht deinen beunruhigenden Begleiter vorstellen?«, fragte ich.
Harry lachelte mich kurz an. »Aber ja, wie ausgesprochen unhoflich von mir! Dies ist mein guter Kamerad und Freund, Roger Morgenstern.«
»Ich wei?, wer du bist, du Hurensohn!«, sagte Molly, und ihre Stimme war sehr kalt. »Ich habe dir gesagt, was ich mit dir machen wurde, falls ich dich je wiedersahe.«
Sie warf die Arme in einer Beschworungshaltung hoch. Dunkle Wolken brodelten am Himmel. Blitzstrahlen stie?en herab und sprengten den Boden rings um Roger weg, aber ihm selbst konnten sie nichts anhaben. Er stand blo? da und lachelte Molly ungezwungen an, wahrend wir Ubrigen uns in Deckung warfen. Molly schrie wutentbrannt auf und entfesselte samtliche Elemente zugleich gegen die Hollenbrut.
Harry und der Waffenmeister duckten sich und hasteten au?er Reichweite, wohingegen ich hochrustete. Hagel hammerte herab, dicke Eisscherben mit rasiermesserscharfen Randern. Ich stellte mich zwischen Harry und den Waffenmeister auf der einen und das argste Unwetter auf der anderen Seite und schirmte sie ab, so gut ich konnte. Roger wurde uberhaupt nicht verletzt. Sturmwinde bliesen, Blitze schlugen ein, Hagel prasselte herunter, und Roger Morgenstern ruhrte sich nicht von der Stelle, stand unbewegt und unversehrt da und lachelte sein enervierendes Lacheln.
Molly verausgabte sich schnell und konnte bald nur noch zischende Feuerballe nach Roger werfen, von denen keiner ihn auch nur ansatzweise streifte. Die dunklen Wolken trieben davon und die Elemente beruhigten sich. Rasch ging ich zu Molly hinuber, bevor sie zur Anwendung gefahrlicherer Methoden schreiten konnte, rustete ab und murmelte ihr aus sicherer Entfernung beruhigende, beschwichtigende Worte ins Ohr, bis sie aufhorte, Roger wutend anzustarren, sich abrupt wegdrehte und die Arme um sich schlang. Ich war schlau genug, sie nicht zu storen, solange sie in einer solchen Stimmung war.
Harry und der Waffenmeister kamen wieder zu uns. »Wurde mir bitte mal jemand erklaren, was das gerade war?«, fragte der Waffenmeister ein klein wenig gereizt.
»Wir sind fruher ein paar Mal miteinander ausgegangen«, sagte Roger mit uberraschend angenehmer Stimme.
»Das war vor langer Zeit!«, fauchte Molly, mied aber nach wie vor seinen Blick.
»Und du hast vorher nie daran gedacht, das zu erwahnen?«, fragte ich.
Sie funkelte mich an. »Nehme ich dich etwa wegen deiner alten Freundinnen ins Verhor?«
»Ja.«
Sie schnaubte. »Bei einem Madchen ist das was anderes!«
»Aber er ist ein Hollengezucht!«, entrustete ich mich. »Ein Damonenhalbblut!«
Sie zuckte die Achsel. »Es sind immer die bosen Jungs, die das Herz einer Frau ein kleines bisschen schneller schlagen lassen.«
Bei manchen Unterhaltungen wei? man einfach, dass nichts Gutes dabei rauskommen kann, deshalb richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Roger. »Als ich dich das letzte Mal sah, hatte dich Truman in einen seiner Gefangnispferche gesperrt. Mit herausgeschnittener Zunge.«
»Und du hast mich zum Sterben dort zuruckgelassen«, sagte Roger locker. »Wie ausgesprochen
»Und wie konnte Truman dich dann uberhaupt fangen und verstummeln?«, fragte ich, vielleicht ein bisschen bissig.
Wieder zeigte Roger mit einem Lacheln, das keins war, seine Zahne. »O bitte, als ob ich so toricht ware, dir das zu verraten!«
»Na schon«, sagte ich. »Warum bist du hier?«
»Rache!«, erklarte Roger, und fur einen winzigen Moment flackerten helle, feuerrote Flammen in seinen dunklen Augen. »Truman muss bezahlen fur das, was er mir angetan hat … Aber nicht einmal ich darf hoffen, eine Organisation von der Gro?e des Manifesten Schicksals allein auseinanderzunehmen. Was bedeutet, dass ich Verbundete brauche, und deine Familie scheint fur diese Rolle am geeignetsten. Ihr wollt ihre Vernichtung fast so