»Und fur welchen Preis wurdest du uns das sagen?«, fragte Molly, die dicht neben mir stand, als wolle sie mich beschutzen. »Was sollen wir tun, dich hier rausholen? Das glaube ich kaum.«
»Kein Preis, gar kein Preis, kleine Hexe«, krachzte das ekelhafte Wesen hinter den starren Augen des fetten Mannes. »Weil das, was ihr wollt, euch nicht glucklich machen wird, oder frei, oder weise. Ihr Menschen bringt euch mit jedem Schritt, den ihr tut, selbst in die Holle. Und deshalb gebe ich euch Mr. Stich. Mein hochsteigener vergifteter Kelch, ein Geschenk aus der Holle, um es an den Busen eurer Familie zu legen.«
»Ihr Damonen seid derart selbstuberzeugt«, sagte Molly. »Wenn du was zu sagen hast, dann sag's.«
»Wie du willst, liebe kleine beschrankte Seele. Gehe nun zum Cafe Nacht, und dort wird dir jemand sagen, wo du Mr. Stich finden kannst.«
Er lachte immer noch, als wir wieder gingen, ein schreckliches, schmutziges und beunruhigendes Gerausch, selbst als die Aufseher ihn wieder und wieder wie Vieh mit Elektroschockern traktierten, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Mit Hilfe von Merlins Spiegel gingen wir direkt ins Cafe Nacht, eine ausgesprochen dunkle und dustere Spelunke, die sich in einer Ecke von Kensington befand, die man nicht ohne gro?e Muhen auftreiben konnte. Von au?en sah das Cafe aus wie jedes andere Kaffeehaus: ein Platz, wo Vorstadt-Mamis sich nach einem harten Tag voller Einkaufstouren niederlassen und klatschen konnen. Aber das war nur ein einfacher Illusionszauber, kombiniert mit einem ›Hier gibt es nichts zu sehen, bitte gehen Sie weiter‹-Spruch, um die Uneingeweihten von den Besuchern zu trennen. Das Cafe Nacht hat strikte Eintrittsregeln und Nichtmitglieder versuchen es auf absolut eigene Gefahr. Ursprunglich war dieser Ort mal ein Treffpunkt fur Vampire und diese idiotischen Romantiker gewesen, die sich danach sehnen, ihre Opfer zu sein. Damals hie? es noch das Renfield. Heutzutage bediente das Cafe Nacht die Unsterblichen, die man nirgendwo sonst haben wollte.
Ich trat die Tur auf und schlenderte hinein, als wollte ich den Platz auf seine moralische Gesundheit hin uberprufen. Das Cafe war angemessen duster, kaum beleuchtet von kunstvoll arrangiertem Licht, das dafur sorgte, dass es dunkel blieb, wahrend man doch immer noch erkennen konnte, mit wem oder was man gerade sprach. Die Hintergrundmusik schwankte zwischen The Cure oder The Mission bis hin zu Gregorianischen Gesangen und die Luft war geschwangert mit dem Ubelkeit erregenenden Duft von verfaulenden Lilien. Das Cafe Nacht hatte eine gro?artige Atmosphare.
Schattige Gesichter starrten mich bose von jedem Tisch aus an, aber niemand bewegte sich oder sagte etwas, weil ich vorsichtig genug gewesen war, hochzurusten, bevor ich hereingeplatzt war. Zu einem kleinen Licht wie Shaman Bond hatte hier niemand auch nur ein Wort gesagt, also war es an der Zeit, Eddie Drood heraushangen zu lassen und Respekt auf die brutale Art einzufordern. Meine silberne Rustung war vielleicht noch nicht so bekannt wie die goldene, aber sie zeichnete mich immer noch als das aus, was und wer ich war. Und was ich vielleicht tun wurde, wenn ich nicht die Antworten bekame, die ich wollte. Also waren die verschiedenen unsterblichen, dunklen und gefahrlichen und sonst so eigenstandigen Kreaturen froh, einfach nur still mit gesenktem Kopf dazusitzen und zu hoffen, dass ich jemanden anderes suchte.
Ein paar standen in dem Moment, in dem ich hereinkam, auf, um zu gehen und wollten sich durch die Hintertur davonmachen. Aber ich hatte Molly bereits dorthin geschickt und die fluchtenden Unsterblichen hielten urplotzlich an, als sie Molly bedrohlich an der hinteren Tur herumlungern sahen. Sie kehrten widerwillig an ihre Platze zuruck und Molly kam vor ins Cafe, um mich anzulacheln. Von uberall her richteten sich nun kalte Blicke auf mich, auf Molly und wieder zuruck, aber immer noch sagte keiner ein Wort. Sie hatten nicht so lange gelebt, ohne gelernt zu haben, dass man den Mund hielt, bis man wusste, was abging.
Hinter meiner formlosen silbernen Maske sah ich gemachlich in die Runde (da ist wirklich etwas an fehlenden Augenhohlen, dass Leute in Angst und Schrecken versetzt) und lie? meinen Blick schlie?lich auf den paar wirklich wichtigen Personen ruhen, die hier waren. Die einzigen, die vielleicht zugeben wurden, Mr. Stich zu kennen und die moglicherweise auch wussten, wo er sich gerade aufhielt. Sie gehorten nicht gerade zur Oberliga, keiner von ihnen. Ein Elbenlord in einer ausgesprochen fein verzierten Brunne, mit eingravierten Schutzzaubern in altem Elbisch. Ein Monch in einer zerrissenen roten Robe mit einem so faltigen Gesicht, dass es fast unmoglich war, seine Gesichtszuge zu erkennen. Dass er interessant war, konnte man nur an dem sumerischen Amulett sehen, dass er um den Hals trug. Ein Paar von Baron Frankensteins erfolgreicheren Kreationen, von Kopf bis Fu? in schwarzes Leder gekleidet, um ihre vielen Narben zu verstecken. Und eine geradezu schmerzhaft magere Gestalt in einem schmuddeligen T-Shirt und ausgeblichenen Jeans, die ich nur vom Namen her kannte: Das Hungrige Herz. Er hatte einen Teller mit frischem rohem Fleisch vor sich stehen und schlang es so schnell herunter, wie er nur konnte. Blut tropfte unbemerkt sein Kinn herab.
Wenn es noch Beweise gebraucht hatte, dass Unsterblichkeit nicht alles ist, hier hatte man sie vor sich.
Der Elbenlord kam mir vage bekannt vor, also fing ich bei ihm an. Er schnaubte horbar, als ich zu seinem Tisch hinuberkam, deutliche Geringschatzung in seinem arroganten Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Er ruhrte sich nicht, stand nicht auf und griff auch nicht nach seiner Waffe, aber selbst wenn er still sa?, mit beiden Handen ruhig auf der Tischplatte, war er der gefahrlichste Typ hier im Cafe und wir wussten das beide.
»Ich kenne dich«, sagte ich. »Woher kenne ich dich, Elbenlord?«
»Ich war dabei«, sagte er mit seiner su?en, Ubelkeit erregenden, magischen Stimme. »Ich habe die Attacke auf dich angefuhrt, unseren Hinterhalt auf der Autobahn. Nachdem dich deine eigene Familie an uns verraten hat. Wir sind auf unseren Drachen gekommen, haben unsere Schlachtlieder gesungen, mit unseren schonen neuen Waffen. Wir waren in der Uberzahl, wir hatten Pfeile mit seltsamer Materie und doch hast du triumphiert. Elbenlords und -ladies aus altem Geschlecht, Freunde und Familie, die ich uber Jahrhunderte gekannt habe, alle sind sie unter dem Donner deiner schrecklichen Schusswaffe gefallen. Ich bin der einzige Uberlebende dieses Tages, aber sei versichert, ubler und verfluchter Drood - der Hof von Unseeli vergisst oder vergibt nie.«
»Klasse«, sagte ich. »Ich auch nicht.«
»Ich werde dir den Rest deines Lebens auf den Fersen sein!«
»Naturlich wirst du das«, erwiderte ich. »Du bist ein Elb.«
Damit kehrte ich ihm den Rucken zu und ignorierte ihn. Ich wusste, das wurde ihn am meisten verargern. Es war sinnlos, einen Elben zu verhoren. Er wurde sich eher seine Zunge herausschneiden, als dass er das Risiko einging, er konnte irgendetwas sagen, dass mir helfen wurde. Ich sah nachdenklich zu dem Monch in der scharlachroten Robe und er straffte sich selbstbewusst unter meinem silbernen Blick. »Wisse, o Sterblicher«, sagte er in einer uberraschend vollen, tiefen und befehlsgewohnten Stimme. »Wisse, dass ich Melmoth der Wanderer bin, die ursprungliche verlorene Seele, auf der die Legende gegrundet ist. Lange bin ich gewandert, uber die ganze Welt, durch Lander und zu Volkern, von denen selbst die Namen vergessen sind.«
Und dann horte er auf, weil ihn jeder im Cafe auslachte. Ich konnte es ihnen nicht verubeln. Ich habe schon zu meiner Zeit ein Dutzend Melmoths getroffen, die alle fur sich beanspruchten, das Original zu sein, und ebenso viele Draculas, Fausts oder Grafen von St. Germaine. Selbst Unsterbliche haben ihre Vorbilder. Ich lehnte mich weiter nach vorn, um das sumerische Amulett naher betrachten zu konnen, und der Monch zuckte in seinem Stuhl zuruck. Aus der Nahe war das Ding ganz klar als Falschung zu erkennen, und ich drehte dem Monch ebenso meinen Rucken zu. Ich ging zu den Frankenstein-Monstern.
Sie waren beide gro? und ziemlich stammig, aber sie konnten immer noch als menschlich durchgehen, wenn sie sich nur gut einpackten. Hier im Cafe Nacht, wo sie unter sich waren, kummerte sie das nicht. Ihre schwarzen Motorradjacken hingen weit offen und enthullten die Y-formigen Autopsienarben auf ihrer Brust. Einer war mal ein Mann, der andere eine Frau gewesen, aber derart subtile Unterscheidungen hatten ihre chirurgische Wiedergeburt nicht uberlebt. Es waren Monster, mit nichts Menschlichem mehr in ihren Gesichtern oder Gedanken. Ihre Gesichter waren grau, die Lippen schwarz, ihre Augen gelb wie Urin, die Augenlider fielen schlaff von trockenen Augapfeln weg. Lange Reihen von Stichnarben konnte man auf ihrer Stirn sehen, wo der Baron ihre Schadel aufgesagt hatte, um ein neues Hirn hineinfallen zu lassen. Im Gegensatz zu allen anderen in diesem Cafe waren die beiden von mir nicht eingeschuchtert oder auch nur beeindruckt. Solche Gefuhle hatten sie hinter sich gelassen, im Grab. Ihre Gedanken und Herzen waren kalt und sie kummerten sich um nichts, womit ich ihnen hatte drohen konnen, weil ihnen das Schlimmste schon geschehen war. Es ergab keinen Sinn, sie irgendetwas zu fragen.
Blieb nur noch das Hungrige Herz, das allein an seinem Tisch sa?, in gebuhrendem Abstand zu jedem anderen, weil einige Dinge eben einfach zu beunruhigend sind. Selbst fur Unsterbliche. Ein Mann, der so dunn war, dass er beinahe schon nicht mehr anwesend war, aber getrieben von einer schrecklichen Energie. Als wir seinen Tisch erreichten, sah er zu Molly und mir auf, fuhr aber trotzdem fort, sein rohes Fleisch zu essen. Er kaute