»Ich mag diesen Ort«, sagte Molly.
»Das denke ich mir«, erwiderte ich.
»Nein wirklich, er ist friedlich. Moderne Friedhofe sind fur meinen Geschmack viel zu hektisch. Wenn ich mal gestorben bin, dann mochte ich keine Besucher und keine Blumen. Begrab mich nur tief, setz ein paar Minen, um Leichendiebe abzuschrecken, und lass mich friedlich bis zum Jungsten Tag schlafen. Ich werde die Ruhe und die Stille brauchen, um mir ein paar gute Ausreden auszudenken.«
»Alle Droods werden verbrannt«, sagte ich. »Nur um sicherzugehen, dass keiner unserer Feinde mit unseren Uberresten irgendwas anstellen kann.«
»Vielleicht konntest du deine Asche ins Weltall schicken wie Timothy Leary«, schlug Molly vor.
Ich musste lacheln. »Alles, um von meiner Familie wegzukommen.«
»Ich sehe Mr. Stich nirgendwo«, meinte Molly. »Und ich verstehe sowieso nicht, was er an so einem Ort wollen konnte.«
»Wir sind nicht weit von seinen ursprunglichen Tatorten entfernt. Damals, als er sich zuerst einen Namen gemacht hat, in 1888.«
»Vielleicht sind ein paar seiner Opfer hier begraben.«
»Irgendwie denke ich nicht, dass Mr. Stich da sehr sentimental ist«, sagte ich. »Und uberhaupt, nach allem, was man auf diesen Grabsteinen so lesen kann, sind sie beinahe alle alter als Jack the Ripper.«
Wir gingen auf dem Friedhof auf und ab und her und hin und fanden kein Anzeichen dafur, dass Mr. Stich hier gewesen ware. Zog man die Gro?e des Areals in Betracht, hatte es Stunden gedauert, alles abzusuchen und au?erdem wurde ich ungeduldig. Und mir wurde kalt. Ich hatte meine Rustung heruntergefahren, als wir das Cafe Nacht verlassen hatten, aber jetzt murmelte ich die
Er war formal in die Kleider seiner Epoche gekleidet, alles rein schwarz oder wei?, mit einem Zylinder und sogar einem Opernmantel. Wenn er seine Opfer verfolgte, dann konnte er in der Menge verschwinden wie jeder andere, aber wenn er sozusagen au?erdienstlich war, zog er die Kleider vor, in denen er sich am wohlsten fuhlte. Er war ein gro?er und kraftvoller Mann, mit breiten Schultern und langen Armen. Er hatte ein breites, vaterliches Gesicht, wie ein freundlicher alter Familienarzt - bis man ihm in die Augen sah. Und alle Schrecken der Holle einen anstarrten.
Er wandte uns langsam sein Gesicht zu, wahrend wir naher kamen. »Molly,«, sagte er, »wie nett. Und Edwin Drood - mal wieder. Es ist mir eine Ehre.«
»Was machst du ausgerechnet hier?«, fragte Molly so direkt wie immer.
»Ich bin … nur zu Besuch«, erwiderte Mr. Stich. Er lachelte und zeigte gro?e, quadratische Zahne, die von der Zeit ganz braun waren. Er deutete auf die Graber um ihn herum. »Das hier war einmal ein bekannter Ort, die Leute sind buchstablich dafur gestorben, hierher zu kommen. Es gab Sonderzuge, die die glucklichen Verstorbenen aus dem ganzen Land hierhergebracht haben. Das ist jetzt lange her und niemand erinnert sich mehr daran. Au?er mir. Ich habe Freunde und Familie hier. Leute, die mich kannten, als ich noch nichts weiter als ein Mensch war. Die Letzten, die mich noch so kannten, wie ich war, bevor ich zu einem Namen wurde, mit dem man Leute erschreckt.«
Ich fand es schwierig, mir vorzustellen, dass Mr. Stich je normal gewesen war, mit einem normalen Leben. Er muss das gespurt haben, denn er machte eine kurze, abschlie?ende Geste und sah mich blo? noch kalt an.
»Was willst du von mir, Edwin Drood?«
Ich erklarte die Situation, aber er schuttelte den Kopf, bevor ich geendet hatte. »Was lasst dich glauben, dass ich so vertrauensvoll und dumm ware, mich selbst in die Hand meiner langjahrigen Feinde zu geben? Und was noch wichtiger ist: Selbst wenn du es schaffen wurdest, mich von meiner Sicherheit zu uberzeugen, warum sollte ich an den einen Ort gehen, an dem mir niemals gestattet wurde zu toten? Ich muss morden, Edwin. Das ist meine Natur.«
»Nachdem die Tutorentatigkeit beendet ist, kannst du so viele der Abscheulichen umbringen wie du willst.«
»Die Droods haben ihre alte Bibliothek geoffnet«, sagte Molly. »Sie ist voll von vergessenen und verbotenen Texten, die Jahrhunderte alt sind. Irgendwo in dieser Bibliothek mussen sich auch Informationen daruber befinden, wie man dir helfen kann. Wenn man dich vielleicht auch nicht heilen kann, ist es aber eventuell moglich den Zwang, unter dem deine Unsterblichkeit steht, zu lindern. Du kannst vielleicht die Kontrolle daruber erlangen und musstest nicht mehr standig toten.«
Mr. Stich sah sie nachdenklich an. »Und was lasst dich annehmen, dass ich das mochte?«
»Weil du dich weigerst, mich zu toten und meine Freunde«, sagte Molly. »Und ich wusste nicht, dass du das je fur jemanden anderen getan hattest.«
Er nickte langsam. »Du willst also, dass ich das tue, Molly? Auch wenn du wissen musstest, dass das alles in Tranen enden wird?«
»Ich will, dass du das tust, also wird es nicht in Tranen enden«, antwortete Molly.
»Dann soll es so sein«, sagte Mr. Stich.
Ich offnete Merlins Spiegel zur Waffenmeisterei und winkte Mr. Stich durch. Er wurde von einem sehr genervt aussehenden Waffenmeister in Empfang genommen, und ich schloss den Spiegel schnell wieder, bevor Onkel Jack etwas sagen konnte. Er sah ganz so aus, als wollte er etwas sagen, aber ich war sehr sicher, dass es nichts war, das ich horen wollte. Ich steckte den Spiegel weg und sah zu Molly.
»Ich denke, wir haben fur einen Tag genug gearbeitet, meinst du nicht? Ich glaube, wir haben uns ein wenig Freizeit verdient, bevor wir wieder zuruckmussen. Was sollen wir machen?«
»Naja«, sagte Molly und steckte ihren Arm durch meinen. »Ich habe dir ein gutes Abendessen versprochen und weil wir schon mal in London sind … was meinst du, eine Show im West End und danach ein Dinner im Ritz?«
»Klingt sehr gut«, sagte ich. »Aber wir werden so kurzfristig niemals Karten fur irgendetwas Anstandiges kriegen.«
»Liebelein, ich bin eine Hexe, schon vergessen? Vertrau mir, Karten sind kein Problem.«
Ich dachte, es sei das Beste, wenn ich der Familie Zeit gabe, sich an die Tutoren zu gewohnen, bevor ich mich wieder im Herrenhaus zeigte und so genoss ich die Show und das Abendessen. Wir sahen uns die neue Produktion in der Shaftesbury Avenue an: Konig der Diebe: Das Musical. In den Hauptrollen waren Robbie Williams als Robin Hood, Paris Hilton als Lady Marian und Ricky Gervais als der Sheriff zu sehen. Musik, Handlung und Texte von niemandem, von dem Sie je gehort hatten. Karten waren wirklich kein Problem: Molly wandte eine Art Jedi- Gedankentrick am Theaterpersonal an und so hatten wir eine Loge ganz fur uns. Danach gingen wir ins Ritz und bestellten in dem Wissen, dass wir nicht die geringste Absicht hatten, fur irgendetwas zu zahlen, das Beste von allem.
Hey, ich sorge dafur, dass die Welt sicher und die Menschheit geschutzt ist. Mir stehen ein paar Sonderzulagen und Privilegien zu.
»Eine interessante Produktion«, sagte ich zu Molly uber den leicht gebraunten Toastscheiben, auf die wir Beluga-Kaviar gehauft hatten.
»Ja - aber warum diese Besessenheit, erfolgreiche Filme in Buhnenmusicals umzuschreiben? Und warum haben sie den Bryan-Adams-Song nicht gesungen? Er ist sowieso das Einzige, woran sich die Leute bei dem Film erinnern.«
Ein paar Flaschen wirklich guten Champagner spater gaben wir dem Kellner eine imaginare Kreditkarte, tanzten im Tango die Treppe des Ritz hinunter und benutzten Merlins Spiegel, um nach Hause zu kommen. Wir gingen durch die Waffenkammer, wo der Waffenmeister auf uns wartete. Er sah gar nicht glucklich aus.
»Was habt ihr euch dabei gedacht, mir diese vier Psychopathen zu schicken? Ich habe genug Arger damit, die Psychopathen unter Kontrolle zu halten, die unter mir arbeiten! Und ich habe mehr als genug Arbeit, auch ohne