verzweifelt und schob sich mit seinen dunnen, knochigen Fingern Stucke in den Mund zuruck. Er brachte eine Art Lacheln zustande, und Blut lief sein Kinn herunter.

Ich kannte seine Geschichte, das tat jeder. Es ist in unserer Zeit eines der gro?en, warnenden Beispiele mit Moral: Verargere niemals einen Voodoo-Priester mit einem fiesen Sinn fur Humor. Das Hungrige Herz lebt fur immer im Griff eines niemals nachlassenden Hungers, der nie gesattigt werden kann und es kann nur uberleben, wenn es alle 24 Stunden sein eigenes Korpergewicht in rohem Fleisch isst. Er muss sich schwer sedieren, um uberhaupt hin und wieder ein paar Stunden schlafen zu konnen.

Also - schlafen Sie nie mit der Tochter eines Voodoo-Priesters, schwangern Sie sie unter keinen Umstanden und laufen Sie auf keinen Fall hinterher davon, weil Sie glauben, einmal um die halbe Welt zu fliehen, konnte Sie aus der Reichweite des Vaters bringen.

Ich schatze, es war gut, dass das Hungrige Herz kein Vegetarier war. Das ware wirklich schrecklich gewesen.

Keiner wei?, wie alt das Hungrige Herz wirklich ist. Oder wie lange der arme Bastard wohl noch leben wird. Ich glaube, es kommt auf seine Starke oder seinen Willen an. Er beendete den letzten Bissen des rohen Fleischs auf seinem Teller, leckte seine blutigen Finger ab, sah traurig auf den leeren Teller und erst dann auf Molly und mich.

»Jedes Fleisch ist mir recht«, sagte er in einer uberraschend sanften und alltaglichen Stimme. »So lange es roh ist. Menschenfleisch ist das beste. Wie eine Droge. Ich bin suchtig danach geworden. Ich frage mich: Wie geil ware es, wenn ich etwas von einem … Drood zu essen bekame?«

»Tut mir leid«, sagte ich prompt. »Dosenfleisch ist heute nicht auf der Karte.«

»Was wollt ihr hier?«, fragte das Hungrige Herz, und alle Mudigkeit der Welt lag in seiner Stimme. »Keiner hier will irgendwelchen Arger. Wir haben selbst alle genug. Alles, was wir wollen, ist unsere eigenen Wunden lecken und dabei unter uns bleiben.«

»Wir wollen nur eine kleine Information«, sagte Molly heiter. »Wir mochten wissen, wo sich Mr. Stich aufhalt, und uns wurde zu verstehen gegeben, dass er hier manchmal auftaucht.«

»Das ist nun wirklich eine Beleidigung«, sagte der Elbenlord und stand anmutig auf. In seiner Hand blitzte ein schlanker, schimmernder Dolch auf. »Als ob wir so einen Verruchten wie Mr. Stich in unserem ausgesuchten kleinen Kreis dulden wurden. Wir haben unser Niveau.«

»Ja«, sagte der Monch und stand ebenfalls auf. Er schob die Armel seiner scharlachroten Robe uber muskelbepackte Unterarme. »Ihr kommt her und beleidigt uns ins Gesicht? Werft uns mit jemandem wie Mr. Stich in einen Topf? Es gibt auch fur uns eine Grenze, bis zu der wir uns ausnutzen lassen.«

Die Frankenstein-Monster waren jetzt auch aufgestanden und sahen so noch imposanter und gro?er aus. Und das Hungrige Herz seufzte, schob seinen leeren Teller weg und erhob sich ebenfalls. »Ich habe Hunger«, sagte es. »Hat jemand einen Dosenoffner?«

»Ich vielleicht«, sagte der Monch. Er zog ein kurzes Messer unter seiner Robe hervor. »Das ist das Messer, das Judas Ischariot vom Baum schnitt, nachdem er sich daran erhangt hatte, auf dem Blutacker, dem Hakeldama. Die Legende sagt, dass dieses Messer durch alles schneiden kann. Vielleicht sogar durch eine Drood- Rustung.«

Fur jemanden, der so alt war, zuckte er unglaublich schnell nach vorn. Der Dolch bohrte sich in meine Seite, rutschte an der silbernen Rustung funkenschlagend ab und lie? sie vollkommen unbeschadigt. Der Monch stolperte, verlor die Balance und ich schlug ihm auf den Kopf. Die ganze linke Seite seines Gesichts wurde platt, Knochen krachten und splitterten, aber er fiel nicht. Er hob sein Messer erneut, um nach mir zu stechen, also schnappte ich mir mit beiden silbernen Handen seinen Kopf und drehte ihn so um, dass er nach hinten sah. Sein Genick brach mit lautem Knacken, aber immer noch fiel er nicht. Ich schubste ihn weg und er stolperte im Cafe herum, verwirrt und fassungslos.

Jetzt war jeder im Cafe zum Ausgang gesturzt, weil er sich nicht mit einem Drood in voller Rustung anlegen wollte und ich war froh, sie gehen zu sehen. Sie waren nur im Weg gewesen. Die beiden Frankenstein-Kreaturen hatten Molly umzingelt und griffen mit gro?en, nicht zusammenpassenden Handen nach ihr. Molly lachte ihnen in ihre hasslichen Gesichter und traf sie mit einem einfachen Zauberspruch, mit dem sich all ihre Nahte auf einmal losten. Die beiden Monster schrien mit schrillen, hoffnungslosen Stimmen auf, als uraltes Katgut wie durch Feuerwerk in ihrer Haut aufplatzte und die Narben aufgehen lie? wie Rei?verschlusse. Sie fielen auseinander, Stuck fur Stuck, und ihre Einzelteile platschten auf den Boden. Erst langsam, dann immer schneller. Hande fielen von Armen, Arme von Ellbogen und dann von den Schultern. Beine brachen zusammen. Torsi fielen zu Boden, brachen auf und verteilten langst abgestorbene und konservierte Organe auf dem Fu?boden. Die Kopfe waren zuletzt dran. Ihre Gesichtszuge glitten einer nach dem anderen herunter, bis schlie?lich die Schadel aufplatzten und das vertrocknete, graue Hirn herausfiel.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich allerdings schon andere Probleme. Der Elbenlord kam auf mich zu und lachelte sein widerliches, uberlegenes Lacheln. Er wedelte mit seinem langen, schimmernden Dolch vor meiner Nase herum und ich wusste, was das war; was das sein musste. Die Klinge war aus seltsamer Materie, wahrscheinlich aus den Schmiederesten der Silberpfeile gemacht, die mich nach dem Autobahn-Hinterhalt beinahe umgebracht hatten. Aber konnte eine Klinge aus seltsamer Materie durch eine Rustung aus demselben Material schneiden? Ich entschied mich dafur, es nicht drauf ankommen zu lassen. Ich konzentrierte mich und die Rustung um mich herum erweiterte sich an meinen Handen zu zwei todlichen langen Klingen. Wie es mein Onkel James mir beigebracht hatte, als er versucht hatte, mich zu toten.

Der Elbenlord und ich umkreisten einander langsam, nahmen uns Zeit und hielten nach Schwachen in Stil und Haltung Ausschau, nach Zogerlichkeiten und Eroffnungen. Endlich schossen wir vor und zuruck, stachen nacheinander mit glanzenden Klingen; hin und wieder weg in einem Moment. Die Rustung machte mich ubernaturlich stark und schnell, aber er war ein Elb, also waren wir ebenburtig. Und wahrend ich mein familiares Training hatte, hatte er jahrhundertelange Erfahrung, also traf er zuerst. Sein Dolch kam aus dem Nichts, durchbrach elegant meine Verteidigung und rammte sich mir in die Rippen. Unwillkurlich schrie ich auf, aber als die Klinge meine Rustung traf, nahm diese den Dolch einfach in sich auf. Der Elbenlord stand auf einmal nur mit einem Heft in der Hand da.

Ich rannte ihn um. Wenn Sie eine Chance bei einem Elb haben, dann nutzen Sie die, Sie kriegen vielleicht keine zweite. Meine Hand schlug gegen seine Brust und meine erweiterte Klinge schnitt sein Herz entzwei. Er packte meinen Arm mit beiden Handen, als wurde ihn das aufhalten. Ich drehte die Klinge und er fiel hin und starb.

Ich lie? die Klingen wieder zu Handen schrumpfen, bog probeweise die Finger und sah mich nach Molly um. Sie starrte angewidert auf das Hungrige Herz, das sich uber die aufgelosten Frankenstein-Kreaturen und ihr vergammeltes Fleisch hergemacht hatte. Er sah auf und lachelte entschuldigend.

»Das schmeckt wie Staub, aber Fleisch ist Fleisch und in der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen. Wenn ihr wirklich Mr. Stich finden musst, und ich kann mir nicht denken, warum ihr das musstet, dann solltet ihr es mal auf dem Woolwich-Friedhof versuchen.«

»Was sollte er denn dort tun?«

»Fragt ihn selbst«, erwiderte das Hungrige Herz. »Ich wurde mich das nicht trauen.«

Merlins Spiegel transportierte uns umgehend zu einem truben, verwilderten und verlassenen Friedhof im Woolwich Arsenal, tief im Herzen des East Ends, am anderen Ufer der Themse. Der Friedhof bestand hauptsachlich aus viktorianischen Grabern, mit uberdimensionalen Gruften, Mausoleen und noblen Grabern. Dieses ganze Zeitalter war vom Tod und seinen Allegorien fasziniert gewesen und der gesamte Friedhof war formlich ubersat mit Statuen von weinenden Engeln, klagenden Putten und genug morbiden Statuen und Gravierungen, um selbst einen Totengraber ›Mein Gott, besorgt euch ein Leben, verdammt!‹ ausrufen zu lassen. Die Zeit hatte die Engelsgesichter verwittern lassen, was den Statuen einen bitteren, surrealistischen Ausdruck verliehen hatte. Die Putten sahen allerdings immer noch wie tote Babys aus. Eigentlich erinnerten sie mich sogar an eine Zeichentrickserie, die ich als Kind immer gesehen hatte: Casper, das tote Baby.

Molly und ich folgten dem einzigen Kiesweg und gingen immer tiefer in den weitlaufigen Friedhof hinein. Der Ort sah verlassen aus. Das Gras hatte man wachsen lassen und es gab uberall Unkraut, selbst auf dem Kiesweg wuchs es in dichten Buscheln. Es gab keine Blumen auf den Grabern und die Grabsteine waren so verwittert, dass es schwerfiel, die Inschriften zu lesen. Ein kalter Wind blies, das Licht wurde dammrig, weil es Abend wurde, und die Schatten kamen von uberall auf uns zugekrochen.

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