wegen dir, wegen deinem Stolz und deiner Arroganz, all diese guten Manner und Frauen tot. Geopfert auf dem Altar deines Ehrgeizes!«
»Gute Rede, Harry«, sagte ich. »Dafur hast du wohl den ganzen Weg nach Hause geubt, nicht wahr? Ich musste mit den Informationen arbeiten, die ich hatte. Keiner von uns hatte das vorhersehen konnen. Wir haben es noch nie mit so etwas zu tun gehabt.«
»Ich habe nichts anderes von dir erwartet«, sagte Harry. »Entschuldigungen! Sieh den Tatsachen ins Auge, Eddie, du hast es einfach nicht drauf. Das hattest du nie. Selbst als Frontagent wurdest du so zweitklassig eingeschatzt, dass dir niemals Einsatze au?erhalb Londons gestattet wurden! Wenn du wirklichen Stolz hattest, wenn du wirklich das Beste der Familie wolltest, dann wurdest du zurucktreten und jemand Qualifizierten den Job machen lassen.«
»Und du hast da schon jemanden im Sinn, stimmt's, Harry? Vielleicht dich selbst?«
»Das ist typisch fur dich, Eddie, zu versuchen, das ins Personliche zu ziehen«, sagte Harry uberlegen. »Ich will die Familie gar nicht fuhren, ich will dich nur weghaben. Die Matriarchin wusste alles uber dich. Sie wusste, dass man dir nichts wirklich Wichtiges anvertrauen kann. Deshalb hat sie dich von zu Hause weggehen lassen, weil dich sowieso niemand vermissen wurde. Wir hatten dich wie jeden anderen Vogelfreien jagen und erledigen sollen.«
»Ich war niemals ein Vogelfreier! Ich habe immer fur die Familie gearbeitet!« Ich trat einen Schritt vor und ballte meine Hande zu Fausten.
»Nicht«, sagte Molly schnell. »Das will er doch nur.«
»Hor auf deine bessere Halfte«, sagte Harry und sein Hohn trat offen zutage. »Du hast doch gezeigt, wes Geistes Kind du bist, als du die da angeschleppt hast. Als du die schiere Frechheit besessen hast, die beruchtigte Molly Metcalf in unser Heim zu bringen, das laufige Flittchen der wilden Walder!«
Ich traf ihn hart, mitten in den Mund. Er stolperte zuruck, aber er fiel nicht. Die Menge um uns herum lie? Laute des Schreckens horen, aber keiner bewegte sich. Sie warteten alle ab, was als Nachstes passierte. Ihre Augen leuchteten. Harry drehte sein Gesicht, sodass alle das Blut sehen konnten, dass ihm aus dem Mund uber das Kinn lief und dann fuhr er seine Rustung hoch. Das Silber schwappte in einem kurzen Augenblick uber ihn und er stand stolz und gro? vor der Familie, wie eine Allegorie der Rache. Ich hatte getan, was er wollte. Er hatte mich dazu gebracht, meine Geduld zu verlieren und ihn zuerst anzugreifen. Er hatte sich das den langen Weg zuruck uberlegt, er hatte geplant, mich vor der ganzen Familie zu blamieren. Ich wusste das alles, wusste, dass ich ihm in die Hand spielte - aber es war mir egal. Ich wollte jemanden verprugeln, und Harry kam mir gerade recht. Ich rustete ebenfalls hoch und wir traten aufeinander zu, um uns anzusehen. Jeder von uns spiegelte sich in der Rustung des anderen.
»Na los«, sagte Harry. »Zeig mir, was du drauf hast. Zeig mir all die dreckigen Tricks, mit denen du meinen Vater umgebracht hast.«
»Aber gerne doch«, sagte ich. Ich hob meine Hande und lange, silberne und scharfe Klingen wuchsen aus meinen Fausten.
»Hort auf damit!«, sagte der Waffenmeister und bahnte sich seinen Weg zu uns durch die Menge. »Hort sofort damit auf, ihr beiden! Seneschall, tu deine Pflicht, verdammt!«
Da - und erst dann - kam der Seneschall nach vorn, um uns zu trennen. Der Waffenmeister war ebenfalls da und schlug mit einer Hand voller Leberflecken gegen meine silberne Brust und starrte mich bose durch meine konturenlose Maske an. Der Seneschall sah auf Harry und naturlich rustete Harry sofort ab. Wie ein braver kleiner Junge, ein respektvolles Familienmitglied. Er hatte mich von Anfang an ausgespielt. Er hatte nie damit gerechnet, kampfen zu mussen. Er wusste, irgendjemand wurde sich einmischen, um uns aufzuhalten. Ihm war wichtig gewesen, mich vor der Familie schlecht dastehen zu lassen. Er warf mir einen triumphierenden Blick zu und schlenderte ins Herrenhaus, zusammen mit dem Seneschall. Wahrscheinlich, um der Matriarchin zu berichten. Keiner applaudierte ihm offen, aber es gab viel unterstutzendes Gemurmel in der Menge.
Ich rustete ab und nickte dem Waffenmeister beschamt zu. Er grummelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und schuttelte den Kopf. »Rein mit dir, Junge. Hier kannst du nichts mehr tun.«
Ich blickte auf die Familie, die mich nach wie vor beobachtete. Es war noch nicht lange her, da hatten sie sich versammelt, um laut meinen Namen zu rufen und mich den Familienretter zu nennen. Und jetzt sahen sie mich an, als sei ich eine Art Kriegsverbrecher. Es war nicht nur, dass ich eine Schlacht verloren hatte. Ich hatte sie enttauscht, weil ich doch nicht der perfekte Held gewesen war. Ich nahm Merlins Spiegel aus der Tasche, schuttelte ihn auf volle Gro?e und ging durch ihn hindurch in die Waffenmeisterei. Molly und der Waffenmeister folgten mir rasch und ich schloss den Spiegel wieder. Das Gewicht der vorwurfsvollen Familienaugen verschwand und wir waren allein.
»Wei?t du, Eddie, es scheint mir, als warst du langsam ein wenig abhangig von diesem Spiegel«, meinte Molly.
»Quatsch«, antwortete der Waffenmeister brusk. »Darum hab ich ihm den Spiegel ja gegeben, damit er sich gefahrlos dunne machen kann. Solche Gerate sind dafur gemacht, dass man sie benutzt. Wie war's, wenn ich uns eine schone Tasse Tee mache? Ich bin sicher, dass es hier irgendwo auch noch eine Schachtel gefullte Kekse gibt.« Er unterbrach sich kurz und sah mich an. »Wei?t du, Junge, du siehst schei?e aus. Bist du verletzt? Tut dir was weh?«
»Nein«, sagte ich. »All dieses Schlachten und Metzeln und ich bin ganz ohne Kratzer da rausgekommen. Die anderen nicht, die Abscheulichen haben sie zerfetzt.«
»Sieh nicht zuruck, Junge«, sagte der Waffenmeister grimmig. »Konzentrier dich darauf, was du als Nachstes tun kannst. Es ist nicht schlimm, eine Schlacht zu verlieren, solange du den Krieg gewinnst. Sieh dir die Familienchronik an, wir hatten eine Menge Niederlagen. Naturlich musste man weit zuruckgehen, um eine solche Niederlage zu finden - aber das liegt daran, dass die Familie mit den Jahren weich geworden ist, selbstgefallig und vorsichtig. Sie hat die Drecksarbeit den Frontagenten uberlassen. Sich nur die kleinen Schlachten ausgesucht, die kleinen Siege, die wir gewinnen konnten. Deshalb haben die Abscheulichen so lange hierbleiben und immer zahlreicher werden konnen. Vor noch nicht einmal einem Jahrhundert ware das nicht moglich gewesen. Also hor auf, dir selbst leid zu tun, Eddie und denk mal nach! Hast du irgendetwas Nutzliches aus dieser ersten Begegnung gelernt? Etwas, das du brauchen kannst, wenn du das nachste Mal gegen diese Bastarde vorgehst?«
»Vielleicht«, sagte ich. Ich fuhlte mich auf einmal mude und setzte mich auf den nachsten Stuhl. Molly sah besorgt aus und ich lachelte sie aufmunternd an. Auch wenn es nicht sonderlich aufmunternd gewirkt haben konnte, denn auf einmal sah sie noch besorgter aus. Ich kramte in meiner Jackentasche herum und holte das kandarianische Steinamulett hervor, das Molly aus den Trummern des Turms gefischt hatte. Ich reichte das hassliche Ding dem Waffenmeister, der es fur eine Weile genau betrachtete und sich dann neben mich setzte, um es sich unter einem riesigen Vergro?erungsglas noch genauer anzusehen. Molly zog sich ebenfalls einen Stuhl heran und setzte sich neben mich. Ich bemerkte es kaum. Ich konzentrierte mich auf das Amulett. Es musste etwas sein; etwas Wichtiges, etwas, das alles rechtfertigte, was wir durchgemacht hatten, um es zu kriegen. Der Waffenmeister rieb an dem grauen Steinamulett herum und piekte es mit seinen breiten und schweren Ingenieursfingern und murmelte dabei vor sich hin.
»Hmmm. Also. Das ist wirklich kandarianisch. In besonders gutem Zustand, wenn man bedenkt, dass es sicher uber dreitausend Jahre alt ist, wenn man den Stil der Gravierungen bedenkt. Aber auf der anderen Seite sind kandarianische Artefakte sehr … haltbar. Sie wurden gemacht, um die Zeiten zu uberdauern und wurden fur Prozesse benutzt, die wir heute nur raten konnen. Kandar - ein ubler Ort, was man auch hort. Damonenanbeter. Haben sich freiwillig zur Verfugung gestellt, um von au?erdimensionalen Wesen ubernommen zu werden. Haben alle anderen Kulturen, auf die sie trafen, unterjocht und ihnen Schreckliches angetan. Nur weil sie konnten. Sklaverei, Folter, rituelle Opfer; Schlachtfeste und Leiden waren Speis und Trank fur die alten Kandarianer. Schlie?lich haben sie sich gegen sich selbst gewandt und ihre ganze Zivilisation wurde in einer einzigen, furchtbaren, blutdurchtrankten Nacht ausgeloscht. Keine ihrer Stadte existiert heute noch. Ihre Kultur und ihre Leute sind vollkommen ausgerottet, hochstwahrscheinlich zumindest. Alles, was wir je von ihnen gesehen haben, ist das eine oder andere seltsame Amulett oder Waffe, die die Zeiten uberdauert haben, obwohl sie schon langst von ihren inneren Energien hatten zerfressen und zu Staub zerfallen sollen. Wir verstehen die Sprache nur, weil so viele Spruche und Beschworungen ursprunglich darin verfasst wurden.«
»Was ist mit dieser besonderen Glyphe?«, fragte ich und wies auf das Amulett. »Ich habe das als ›Eindringlinge‹ ubersetzt.«
»Hmm? Oh ja, Eddie, du hast ganz recht. Schon zu sehen, dass du wenigstens in ein paar deiner