»Das solltest du auch sein«, sagte Martha kalt. »Ich hoffe, wir werden das nicht noch einmal tun mussen. Und Giles, auch wenn du irgendwelche Intentionen hegst, du konntest nie hoffen, uns zu fuhren. Du gehorst nicht zur Familie.«
Sie wandte ihm den Rucken zu und entlie? ihn, und er war klug genug, das hinzunehmen. Er schrie jedem, der zugesehen hatte, zu, dass das Training weiterging und alle gehorchten. Martha lie? sich wieder auf ihrem Klappstuhl nieder und sah mich prufend an.
»Ich habe drei Schwestern besiegt, um meine Position als Matriarchin zu festigen. Du hast das Kommando, weil ich das gestatte. Vergiss das nie, Eddie.«
»Naturlich, Gro?mutter«, sagte ich. Und sie schritt wieder zuruck zum Herrenhaus. Ich sah ihr hinterher und als ich sicher war, dass sie sich au?er Horweite befand, sagte ich. »Es gibt mehr Wege zu kampfen und zu gewinnen, als Leute herumzusto?en, Gro?mutter.«
»Das hab ich gehort«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
»Naturlich, Gro?mutter.«
Die organisierte Selbstverstummelung ging weiter, wahrend Giles seine Befehle vielleicht etwas lauter brullte als vorher, aber ich fand, ich hatte eine Pause verdient. Ich plunderte den Picknickkorb, fand noch etwas Kaviar und Toast und machte mich auf, um etwas Ruhe und Frieden zu finden. Irgendwie landete ich bei der alten Kapelle. Still und friedlich war sie und es gab immer noch keinen Hinweis auf Jacob den Geist. Ich begann, mir darum Sorgen zu machen. Er hatte irgendetwas vor. Ich setzte mich in seinen gro?en abgeschabten Ledersessel und fischte Merlins Spiegel aus meiner Tasche. Die Manie, ihn herauszunehmen, der Drang nachzusehen, was um mich herum passierte, und Dinge herauszufinden, die mich nichts angingen, nahm irgendwie suchthafte Formen an. Aber es gab immer Dinge, die ich wissen musste, fur das Wohl der Familie, also … Ich befahl dem Spiegel, mir die Gegenwart zu zeigen und zu enthullen, was Molly tat. Ich wollte ihr vertrauen, in ihre Instinkte und ihre Selbstbeherrschung, aber sie war eben nicht mehr nur Molly. Da war etwas anderes jetzt in ihr, etwas Lebendiges, und Feindseliges. Ich musste mir ihrer sicher sein. Um unser aller willen.
Selbst in den wenigen Stunden seit gestern, hatte ich physische und mentale Anderungen bei Molly bemerkt, beinahe wider meinen Willen. Sie sah gro?er aus, starker, ihre Bewegungen waren irgendwie seltsamer - obwohl das alles auch nur meiner Phantasie entsprungen sein konnte. Aber es gab keinen Zweifel daran, dass sie sich selbst anders benahm und manchmal erwischte ich sie dabei, dass sie mit leerem Gesicht unnaturlich still dastand, so als hore sie auf eine innere Stimme. Sie sagte, dass sie bereits eine Ahnung von der inneren Stimme der Abscheulichen bekam, am Rand ihres Verstandes. Sie sagte, dass es immer noch nur ein unverstandliches Gemurmel sei, aber sie begann, Teile davon zu verstehen. Sie fing an, besondere Orte fur die Nester der Abscheulichen zu lokalisieren, darunter sogar einige, die wir noch nicht einmal vermutet hatten. Ich gab die neuen Koordinaten an den Lageraum weiter, wo sie schnell bestatigt wurden und man mich bat, Molly nach mehr zu fragen. (Ich hatte ihnen gesagt, wir hatten die Nester dank ihrer Magie gefunden und bei ihrem Ruf hatten sie keine Probleme, das zu glauben). Und jedes Mal, wenn Molly ein neues Nest fand, sah sie mich beinahe herausfordernd an, als wolle sie sagen:
Sie hatte auch heftige Stimmungsschwankungen, aber ich wusste nicht, ob ich die auf die Infektion schieben konnte.
Merlins Spiegel zeigte sie mir. Sie stand in einem kleinen Waldchen und sah hinaus auf das verlassene Wasserrad am anderen Ende des Sees. Ihr Gesicht sah eingefallen und nachdenklich aus, ihre dunklen Augen schienen weit weg zu sein und sie ignorierte die Schwane, die vor ihr auf dem See in der Hoffnung auf Brotkrumen heranschwammen. Ich sah sie lange an. Sie sah immer noch wie Molly aus. Wie meine Molly. Aber ich musste mich fragen, wie lange das noch so sein wurde. Wie lange, bevor die innere Molly sich so anderte, dass sie nicht mehr als echt durchging. Ich fuhlte mich so hilflos! Und ich hatte es satt. Da war ich nun, der Fuhrer der machtigsten Familie der Welt und es gab nicht das Geringste, was ich tun konnte, um die Frau, die ich liebte, zu retten. Au?er sie in die Schlacht zu schicken und zu hoffen, dass sie einen ehrenvollen Tod starb.
Wenigstens wurde ich sie so nicht selbst toten mussen, wenn sie sich wandelte. Konnte ich das uberhaupt tun? Ich glaubte es. Es war, was sie wollte, worum sie mich gebeten hatte. Und au?erdem hatte ich zu meiner Zeit Schlimmeres fur die Familie getan.
Noch wahrend ich hinsah, kamen Harry Drood und Roger Morgenstern am Seeufer entlang auf sie zu. Harry lachelte frohlich, als ware er auf einem kleinen Spaziergang und sei nur zufallig auf Molly getroffen. Roger lachelte ausdruckslos, seine Augen dunkel und wachsam wie immer. Das Gras welkte und wurde schwarz, wohin er seinen Fu? setzte und die Schwane flatterten davon. Ein Vogel, der uber ihm herflog, fiel auf einmal tot vor seine Fu?e. Roger hob ihn auf und biss gedankenverloren hinein, als ware er ein ganz normaler Snack. Blut lief sein Kinn entlang. Harry sah ihn angewidert an und Roger warf den toten Vogel augenblicklich fort. Molly musste wissen, dass sie da waren, aber sie ignorierte die zwei, bis sie beinahe neben ihr standen. Und dann brachte sie beide mit einem einzigen harten Blick dazu, auf der Stelle stehen zu bleiben.
Ich konnte ihre Stimmen deutlich horen, wenn auch entfernt.
Betrachtete man die Art, wie sie die zwei ansah, war mir klar, dass sie sich fragte, ob sie Bescheid wussten. Immerhin hatte Roger ubermenschliche Sinne und Harry besa? Jahre an Erfahrung als Frontagent. Aber sie entschied schnell, dass das nicht der Fall war, und nickte Harry kurz zu. Roger ignorierte sie.
»Molly«, sagte Harry und lachelte leicht. »Du siehst gut aus.«
»Was willst du, Harry?«
»Was ich immer will«, sagte Harry. Er lachelte immer noch und richtete geistesabwesend das Drahtgestell seiner Brille. »Ich will das Beste fur die Familie. Was dieser Tage bedeutet, dass ich das Kommando habe und nicht Eddie. Die Familie braucht meine Ruhe, meine durchdachten Entscheidungen und nicht Eddies durchgedrehte Impulsivitat. Er wird alles verderben und uns alle umbringen. Das musst du doch wissen, Molly. Du kennst ihn besser als jeder von uns. Kannst du wirklich darauf vertrauen, dass er unter Druck das Richtige tut? Und wenn wir besiegt werden - wer wird noch da sein, um die Welt zu retten?«
»Was willst du, Harry?«
»Du bist unsere einzige Moglichkeit, an Eddie heranzukommen«, sagte Roger. »Wenn wir dich dafur gewinnen konnten - also dafur, dass Harry wieder die Macht in der Familie bekommt -, glauben wir, dass wir eine wirklich gute Chance hatten. Eddie wurde einfach draufgehen ohne dich.«
Molly grinste plotzlich. »Ihr beide kennt Eddie wirklich uberhaupt nicht. Er ist immer starker gewesen als alle dachten. Das musste er sein. Er ist nicht auf mich angewiesen. Er braucht mich nicht. Und er wird prima zurechtkommen, wenn ich nicht mehr da bin.«
Harry und Roger wechselten einen schnellen Blick. »Planst du, … uns zu verlassen, Molly?«, fragte Harry.
»Sag nicht, du hast genug von Eddies Gutmenschentum«, sagte Roger. »Na, wurde ja auch Zeit. Du und ich waren uns ja mal sehr nahe, aber ich habe nie verstanden, was du in ihm gesehen hast.«
»Du und ich waren uns nie so nah«, entgegnete Molly.
»Wie kannst du so etwas sagen«, fragte Roger und schmollte spielerisch. »Dabei war es so schlimm fur mich, als du mich verlassen hast. Ich habe Wochen gebraucht, um uber dich hinwegzukommen.«
»Ich habe dich verlassen, weil du versucht hast, meine Seele an die Holle zu verschachern!«
»Kleinigkeiten. Wir haben alle unsere Verpflichtungen der Familie gegenuber.«
Molly schnaubte. »Na, jetzt bist du ja mit Harry zusammen. Eine kleine Uberraschung, du warst immer ein gro?er Weiberheld. Soll ich jetzt wirklich annehmen, du bist schwul?«
Roger zuckte mit den Achseln. »Ich bin ein halber Damon. Ich akzeptiere keine menschlichen Grenzen, am allerwenigsten in meiner Sexualitat. Ich will alles ausprobieren - und das tue ich auch meist.«
Molly sah Harry an. »Und du bist nicht im Geringsten eifersuchtig auf das, was zwischen Roger und mir gelaufen ist?«
»Alles, was ihr gemeinsam hattet, war ein Bett«, sagte Harry. »Roger und ich lieben uns.«
»Liebe?«, fragte Molly unglaubig. »Er ist eine Hollenbrut! Ein Ding aus den Schwefelkluften und darauf fixiert, die ganze Menschheit hinunter in die Verdammnis zu ziehen!«
»Kritik?«, meinte Roger. »Von der beruchtigten Molly Metcalf? Der Frau, die einmal mit den Damonen der