William vorsichtig. »Einige dieser Vertrage konnten neu verhandelt werden. Wollen Sie wieder menschlich werden?«

»Ich war immer menschlich«, sagte Mr. Stich. »Das ist das Problem. Ich will etwas anderes. Ich will einen Weg finden, meine Opfer wieder lebendig zu machen. Alle. All den Frauen, die ich in all den Jahren abgeschlachtet habe, will ich das Leben wiedergeben. Bis hin zu den armen funf Frauen, die das alles moglich gemacht haben, damals, in diesem fur die Jahreszeit zu warmen Herbst 1888.«

»Das tut mir leid, aber das geht nicht.«

Mr. Stich huschte unglaublich schnell vor, und plotzlich hatte er eine schimmernde, lange Klinge in der Hand. Bevor William uberhaupt reagieren konnte, wurde das rasiermesserscharfe Messer gegen seine Kehle gepresst, direkt uber den Adamsapfel. Mr. Stich starrte ungeruhrt in Williams Gesicht, sein kalter Atem brandete gegen Williams weit geoffnete Augen. Die Klinge presste sich gegen die Haut und ein kleiner, langsamer Blutfaden rann aus dem winzigen Schnitt, den das Messer geoffnet hatte. William sa? sehr still.

»Das ist nicht die Antwort, die ich horen wollte«, meinte Mr. Stich.

»Wir haben alle Dinge in unserem Leben, die wir ungeschehen machen wollen«, meinte William behutsam. Er wollte ganz offensichtlich sehr gern schlucken, wagte es aber nicht. »Aber Sunden kann man nicht ungeschehen machen. Nur vergeben.«

»Das ist nicht genug«, sagte Mr. Stich.

»Ich wei?«, erwiderte William. Er sah auch weiterhin in den starren Blick von Mr. Stich, so enervierend das auch war, aber es war besser, als auf das Messer herunterzusehen, das an seinen Hals gehalten wurde. »Aber es gibt nichts in dieser Bibliothek, kein Buch und kein Wissen, mit dem man die Toten wieder zum Leben erwecken kann. Nur ein Mann konnte das je tun und ich denke, wir stimmen darin uberein, dass Sie nicht er sind. Ich konnte Ihnen helfen, die Geister dieser armen, unglucklichen Frauen wiederzuerwecken, damit Sie mit ihnen kommunizieren konnen, oder ihre Korper zu Zombies zu machen, aber das ist nicht, was Sie wollen. Oder was Sie brauchen.«

Mr. Stich dachte einen langen Augenblick daruber nach, in dem William kaum atmete. Dann trat er plotzlich zuruck und lie? sein langes Messer wieder verschwinden. William hob zogernd seine Hand an den Hals und atmete etwas freier, als er nur ein paar Tropfen Blut an seinen Fingerspitzen sah.

»Was gibt es noch?«, fragte Mr. Stich. Er sah in keine bestimmte Richtung und William fragte sich offenbar, ob Mr. Stich noch mit ihm redete.

»Was es noch gibt?«

»Ich kann nicht ungeschehen machen, was ich getan habe, kann nicht aufhoren, zu sein, was ich bin. Ich kann nicht einmal durch den Tod aufhoren oder allem entkommen. Was bleibt mir ubrig?«

»Da ist immer die Bu?e«, sagte William. »Tun Sie genugend Gutes, um Ihre Sunden auszugleichen.«

Mr. Stich dachte daruber nach. »Wurde Toten zu einem guten Zweck dazugehoren?«

»Das wurde ich sagen, ja.«

Mr. Stich lachelte zum ersten Mal. »Dann ist es ja gut, dass ein Krieg ansteht.«

Er wandte sich um und ging fort. William sah ihm hinterher und betrachtete dann wieder das Blut an seinen Fingerspitzen.

Etwas spater stand ich in dem rosenfarbenen Gluhen des Sanktums, mit der Matriarchin an meiner Seite, und wartete auf die anderen, die ich herbestellt hatte. Ich wusste nicht, ob es an mir lag oder an den Zeiten, aber Seltsams rotliches Gluhen beruhigte und erfreute mich nicht mehr so wie fruher. Seltsam selbst war sehr still. Vielleicht war er nicht damit einverstanden, was ich von der Familie verlangte, mit der Rustung und der Macht, die er so selbstlos zur Verfugung stellte. Aber ich konnte mir selbst nicht erlauben, mich darum zu kummern. Ich musste einen Krieg gewinnen. Ich wurde mich spater damit befassen, falls ich dann noch lebte.

Wenigstens hoffte ich das.

»Es ist nie leicht«, sagte Martha plotzlich und ihre harsche, kalte Stimme warf in der gro?en, leeren Halle ein Echo. »Es ist niemals leicht, Agenten hinauszuschicken, vielleicht oder sogar wahrscheinlich in ihren Tod. Wir tun es, weil es notwendig ist, fur das Wohl der Familie und der Welt. Aber es wird niemals einfacher.«

»Danke fur den Versuch«, sagte ich. »Aber das zu wissen hilft nicht.«

»Das wird es«, sagte Martha. »Wenn die Zeit dazu gekommen ist. Ich bin froh, dass du nach Hause gekommen bist, Edwin. Wer hatte gedacht, dass wir so viel gemeinsam haben?«

»Eddie«, sagte Seltsam plotzlich. »Tut mir leid, euch zu unterbrechen, aber euer Treffen wird warten mussen. Ich wurde gerade von den Sicherheitsleuten an den Arrestzellen informiert, dass man Sebastian ermordet hat.«

»Was?«, fragte die Matriarchin. »Das ist unmoglich! Nicht unter unserer Bewachung!«

»Was ist passiert?«, fragte ich und unterbrach die Matriarchin. »Hat er versucht, zu entkommen?«

»Nein«, sagte Seltsam. »Er wurde tot in seiner Zelle gefunden.«

»Wie konnte das nur passieren?«, fragte die Matriarchin. Sie klang ernstlich entrustet. »Unsere Sicherheit ist die beste der Welt. Das muss sie sein.«

»Ich bekomme immer noch Details«, sagte Seltsam. Er klang gedampft, beinahe entfernt; uberhaupt nicht nach seinem typischen, heiteren Selbst. Ich vermutete, dass so viele schlechte Nachrichten hintereinander das wohl bewirkten. Und ich konnte mir nicht helfen, ich nahm auch an, dass unsere materielle Welt vielleicht auch eine gro?e Enttauschung fur ihn war. Ich musste mich konzentrieren auf das, was Seltsam zu sagen hatte. »Zuerst dachten die Wachen, es sei Selbstmord. Bis sie in den Isoliertank hineingingen und das Ausma? seiner Wunden entdeckten. Und die waren wirklich … enorm. Es scheint, als hatte man ihn aufgeschnitten, vom Hals bis hinunter in den Schritt. Aber es gibt keine Aufzeichnung, dass jemand den Tank betreten hatte. Kein Zeichen, dass jemand hineinging oder ihn verlie?. Die Uberwachungskameras zeigen uns nichts. Was, wie ich hore, unmoglich sein soll.«

»Halt uns uber die Ermittlungen auf dem Laufenden«, sagte ich nach einer Pause. »Und verdopple die Wachen an den Turen aller Arrestzellen.«

»Das ist alles?«, fragte Martha. »Edwin, wir mussen hinunter und das selbst in Augenschein nehmen!«

»Nein, das mussen wir nicht«, erwiderte ich. »Wir waren nur im Weg. Lass die Sicherheit ihren Job machen. Sie sind sehr gut darin.«

»Aber …«

»Sie wissen selbst, wie unmoglich das ist. Sie brauchen uns nicht, um ihnen uber die Schulter zu sehen. Wir mussen uns darauf konzentrieren, was wirklich wichtig ist und durfen uns nicht ablenken lassen. Vielleicht wurde Sebastian genau deshalb getotet: um uns am Vorabend unserer Attacke abzulenken. Uberhaupt: Warum Sebastian toten? Was hatte er uns schon sagen konnen?«

»Die Identitat des langjahrigen Verraters unserer Familie«, sagte Martha. »Nur einer von uns hatte die Schutzma?nahmen umgehen konnen. Einer, der sie in- und auswendig kannte. Aber du hast recht, Edwin. Wir sollten uns nicht von dem ablenken lassen, was wirklich wichtig ist.«

Einer von uns. Ja. Ich wollte, dass es einer von uns war, so schlimm das auch sein mochte. Weil es sonst Molly hatte sein konnen. Ich wollte nicht daruber nachdenken, aber ich konnte es nicht aufhalten. Molly hatte zu Sebastian gelangen konnen, indem sie ihre Magie benutzte. Sie wollte ihn tot sehen wegen dem, was er ihr angetan hatte. Oder … sie hatte von dem Ding in ihr beeinflusst werden und zu einem Zweck toten konnen, der den Abscheulichen diente.

»Seltsam«, fragte ich. »Wo ist Molly gerade?«

»Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, Eddie«, sagte Seltsam nach einer Pause. »Ich bin offenbar nicht in der Lage, sie irgendwo zu lokalisieren. Was merkwurdig ist …«

»Macht nichts«, sagte ich. »Ist nicht wichtig. Ich rede spater mit ihr.«

Das Treffen fand schlie?lich statt, als die dafur notigen Leute auftauchten. Giles Todesjager war naturlich der Erste, mit dem Sinn eines Soldaten fur Punktlichkeit. Er sah ruhig und entspannt aus und unglaublich gefahrlich, wie immer. Er verbeugte sich kurz vor mir und der Matriarchin, und es ware schwer gewesen zu sagen, was das respektvollere Kopfnicken gewesen ware. Ich begann zu denken, dass ich mich vielleicht doch mit ihm hatte duellieren sollen. Soldaten respektieren nur Starke. Aber wenn ich verloren hatte … Ich hatte Giles kampfen sehen und er war wirklich verdammt gut.

Als Nachste kamen Harry und Roger, beide frohlich und unschuldig lachelnd, als ob sie nicht gerade erst

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