»Ja, ich dachte mir schon, dass du das hast. Was ist los, Harry?«
»Nun, um mal anzufangen: Wo ist die beruchtigte Molly Metcalf? Sollte eine Hexe mit ihren zweifellos vorhandenen Talenten nicht unter den Glucklichen sein, die eine solche Kampfgruppe fuhren?«
»Oh, sie wird dabei sein«, sagte ich. »Und sich selbst nutzlich machen.«
Molly hatte selbst zu den Nestern gehen und ihren beruchtigten Aufruhr anzetteln wollen, aber ich hatte Nein dazu sagen mussen. Ich konnte nicht riskieren, dass ihre infizierte Personlichkeit plotzlich in der Nahe eines Turms an die Oberflache kam. Sie sagte, dass sie das verstunde. Seitdem hatte ich sie nicht mehr gesehen.
»Und diese ›bemerkenswerten Transportwege‹«, fugte Harry hinzu. »Hast du irgendeine neue Art Wundergerat, das du in der Tasche mit dir herumtragst?«
Ich musste grinsen. »Wirklich lustig, dass du das sagst, Harry …«
Molly wartete in dem gro?en Steingewolbe des Lageraums, als die Matriarchin und ich etwas spater endlich eintrafen. Sie lachelte uns an, aber es wirkte, als schenkte sie uns nicht ihre ganze Aufmerksamkeit. Als dachte sie an etwas anderes. Ich sah absichtlich woanders hin. Der Lageraum sah fur seine Verhaltnisse ziemlich verlassen aus. Ich erkannte ihn kaum wieder. Die meisten der Arbeitsstationen und Bildschirme waren heruntergefahren, damit der Lageraum mit einer Rumpfcrew operieren konnte. Es war seltsam, all die Weltkarten ohne ihre ublichen bunten Lampchen zu sehen, aber wir kummerten uns nicht mehr um das, was im Rest der Welt vor sich ging.
Die Matriarchin ging direkt zu ihrem Operationstisch und war sofort von einem Dutzend Boten umgeben, die die letzten Berichte und Geheimdienst-Updates brachten. Ich wanderte durch den Raum und uberprufte den verbliebenen Kommunikationsstab. Auch hier hatten wir nur das absolut notige Personal ubriggelassen. Die meisten Leute aus dem Lageraum hatten sich den Tausenden von gerusteten Gestalten angeschlossen, die mehr oder weniger geduldig in den Korridoren drau?en warteten und sich selbst auf die kommenden Schlachten vorbereiteten. Normalerweise konnte jeder Agent, der drau?en im Feld operierte, darauf zahlen, dass ihn Hunderte im Herrenhaus unterstutzten, ihn mit Informationen, Ratschlagen oder sonstiger Hilfe versorgten; aber wir konnten uns das jetzt nicht leisten. Jeder musste mitkampfen. Es wurde ein Schlacht- und Brandfest werden, eiskaltes Toten - Metzgerarbeit.
Ich beendete meinen Rundgang durch den Lageraum und blieb neben Molly stehen. Sie sah … angespannt aus, wie unter gro?er Anstrengung; ein Stuck Draht, das so straff gespannt war, dass es jeden Moment rei?en konnte. Ich wollte meinen Arm um sie legen, aber ich wusste, das wurde sie nicht wollen. Molly wollte in der Offentlichkeit immer hart und selbstsicher wirken. Sie hatte schon den Gedanken, dass irgendjemand sie als schwach ansehen konnte, gehasst. Also stand ich einfach nur so dicht neben ihr wie ich konnte und hielt meine Stimme ruhig und leicht, als taten wir diesen »Lass-uns-fur-die-Menschheit-die-Welt-retten-Kram« jeden Tag.
»Also«, meinte ich. »Sieht aus, als ginge es endlich los. Ab in die Holle fur einen himmlischen Zweck und so. Wo warst du?«
»Drau?en im Park«, sagte sie. »Es ist ziemlich friedlich da drau?en.«
Sie sagte nichts uber Harry und Roger und ich wollte sie nicht drangen. Aber es lie? mich daruber nachdenken, ob sie noch andere Dinge vor mir verheimlichte. Sie hatte Sebastian toten konnen, aus allen moglichen Grunden. Wie konnte ich sie beschutzen, wenn ich nicht wusste, wovor?
»Hor zu«, sagte sie plotzlich und sah mich immer noch nicht an. »Lass dich nicht umbringen, ja?«
»Ich werde nicht mit den Kampfgruppen rausgehen«, sagte ich. »Ich werde die Dinge von hier aus leiten. Sicher und heil von hier aus, weit von jeder Front weg.«
»Ich kenne dich, Eddie. Sobald irgendetwas schiefgeht, bist du der Erste, der losrennt und wieder einmal den Helden spielt. Du wirst gar nichts dafur konnen, so bist du eben. Also - pass auf dich auf da drau?en. Halt dir den Rucken frei. Heutzutage gibt es uberall Verrater. Und ich wei? nicht, was ich tun soll, wenn ich dich nicht mehr habe.«
»Alles wird wieder gut«, sagte ich. Es klang schon in dem Moment nicht sehr uberzeugt, als ich es sagte, aber ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Ich konnte sie nicht hier in der Offentlichkeit in den Arm nehmen, also nahm ich nur ihre Hand und druckte sie. Sie druckte zuruck, ohne mich anzusehen.
Wir standen zusammen, und sahen zu den Hauptbildschirmen hin, die die ganze Zeit Bilder der goldenen Armee zeigten, die sich nach wie vor in den Korridoren drau?en sammelte. Sie standen in langen Reihen da, so weit das Auge reichte. Es gab uberraschend wenig Unterhaltungen, jeder schien mit seinen eigenen Gedanken beschaftigt. Die ganz Alten und ganz Jungen standen im Hintergrund und fragten sich ohne Zweifel im Stillen, ob sie ihre Lieben je wiedersehen wurden. Ich hatte nicht dabei zugesehen, wie meine Eltern auf ihre letzte, todliche Mission aufbrachen. Der Lehrer hatte mich nicht aus der Klasse gehen lassen. Als ich es endlich geschafft hatte, mich davonzustehlen, war es zu spat gewesen, sie waren bereits gegangen. Ich sah sie nie wieder.
Es machte mir in der letzten Zeit mehr und mehr aus, dass ich ihnen niemals habe Auf Wiedersehen sagen konnen.
Alles fur die Familie. Zum Teufel mit der Familie. Und zum Teufel mit der Welt, die uns so notig braucht.
Die verschiedenen Kampfgruppenfuhrer kamen herein, hatten alle ihre Leute uberpruft. Der Stress und die Anstrengung sorgten dafur, dass sie sich wie uberdrehte Cartoons ihrer selbst auffuhrten. Giles Todesjager kam allerdings wie der Soldat herein, der er war und blieb mit gro?em Getose vor dem Lagepult der Matriarchin stehen. Sie nahm ihn nur mit einer hochgezogenen Augenbraue zur Kenntnis und wandte sich dann wieder ihrer Arbeit zu. Harry und Roger kamen hereingeschlendert und hielten ostentativ Handchen. Die Matriarchin sah nicht einmal in ihre Richtung. Ich wei? nicht genau, wann Mr. Stich ankam. Ich sah nur auf und da war er schon, ein viktorianischer Anachronismus mitten unter so viel Technik aus dem 21. Jahrhundert. Der Seneschall kam ein paar Momente spater hereingesturzt und war sichtlich angefressen, dass Mr. Stich seiner Aufsicht hatte entkommen konnen. Er starrte seinen fluchtigen Schutzling wutend an und stellte sich demonstrativ neben ihn. Mr. Stich nickte nur hoflich.
Der Waffenmeister kam geschaftig hereingewuselt und trug einen ganzen Sack voller nutzlicher Kleinigkeiten. Ein halbes Dutzend Labortechniker schwanzelte wie eifrige Welpen hinter ihm her. Und Callan Drood kam naturlich zu spat und beschwerte sich bitterlich uber irgendetwas Unanstandiges, das der Blaue Elf angestellt hatte, der hoflich so tat, als hore er nicht hin.
Und das war's. Diese Leute wurden die vier Hauptkampfgruppen anfuhren und die gefahrlichsten Situationen und die Turme bewaltigen, die beinahe fertig waren. Alle anderen Kampfgruppen wurden von unseren erfahrensten Frontagenten angefuhrt werden. Ich hatte eigentlich auch eine der Gruppen fuhren mussen, vorzugsweise mit Molly an meiner Seite. Aber ich hatte alle Verantwortung auf mich genommen, als ich das Kommando uber die Familie ubernommen hatte und das beinhaltete nun einmal auch, danebenzustehen und hilflos zuzusehen, wie andere fortgingen und auf mein Kommando starben. Martha hatte gesagt, dass es nie einfacher werden wurde. Was es wirklich einfacher machte, zu verstehen, wie sie geworden war, was sie darstellte.
Harry kam zu Molly und mir heruberspaziert, Roger dicht bei sich. Harry ignorierte Molly ganz offen, um mich anzulacheln.
»Also, Eddie«, sagte er. Ein mutiger Schritt in Richtung Selbstverstandlichkeit im Umgang mit mir. »Wann wirst du dein neuestes Wunder aus dem Hut ziehen und uns alle uberraschen? Wie werden wir zum Beispiel in all diese Nester und Ghoulstadte platzen, ohne entdeckt zu werden? Ich wei?, dass du deine brillanten Weltrettungsideen gern bis zum allerletzten Moment aufhebst, aber es wird jetzt schon verdammt knapp.«
Ich grinste, zog Merlins Spiegel aus der Tasche und schuttelte ihn zu voller Gro?e auf. Am Ende stand er in der Mitte des Lageraums, wie eine Tur ins absolute Uberall. Was es ja technisch gesehen auch wirklich war. Jeder drangelte sich jetzt vor dem Spiegel, wahrend ich zusammenfasste, was er konnte. Wir alle sahen zweifelnd auf die besorgten Gesichter unserer Spiegelbilder. Wir sahen nicht gerade wie Leute aus, die die Welt retten wollten.
»Der Spiegel Merlins sieht die Gegenwart«, sagte ich. »Uberall und nirgends. Und er kann wie ein Tor zu allem wirken, was er sieht. Das ist unsere Eintrittskarte, Leute. Wir sagen dem Spiegel, er soll ein Nest aussuchen. Dann zeigt er uns das Innere einer Ghoulstadt und dann werden wir, respektive ihr, mit eurer Kampfgruppe durchgehen und die Schei?e aus den Abscheulichen prugeln. Was konnte einfacher sein?«
Der Waffenmeister und seine Laborcrew hasteten um die Basis des Spiegels herum und verbanden es mittels eines unuberschaubaren Wusts von regenbogenfarbenen Kabeln mit den Kommunikationsstationen und den Bildschirmen, damit wir verfolgen konnten, was in mehr als einem Nest gleichzeitig geschah. Molly schwebte uber