ich in Timur die Kraft spüren müssen! Da war aber keine…«

Er breitete die Arme aus. Setzte sich. »Aber schreib nicht mir diese Heldentat zu«, murmelte er. »Ich kann aus einem Menschen keinen Anderen machen.«Geser verstummte. Um mit einem Mal aufgewühlt hinzuzufügen: »Aber du hast Recht. Ich hätte ihn früher spüren müssen! Man kann in einem fremden Menschen erst im Alter den Anderen erkennen. Aber in dem eigenen Sohn? Den du auf deinen Armen gehalten hast? In dem du unbedingt den Anderen erkennen willst? Ich weiß nicht. Seine Anlagen müssen zu schwach gewesen sein… oder ich einfach zu blöd. »

»Es gibt noch eine Variante«, brachte ich unsicher hervor.

Geser sah mich von unten herauf an und zuckte mit den Schultern. »Varianten gibt es immer mehr als eine. Was meinst du genau?«

»Irgendjemand kann Menschen in Andere verwandeln. Und dieser Jemand hat Timur gefunden und zu einem potenziellen Anderen gemacht. Danach haben Sie ihn dann gespürt…»

»Olga hat ihn gespürt«, brummte Geser.

»Gut, Olga. Dann haben Sie angefangen zu handeln. Sich überlegt, wie Sie die Inquisition und die Dunklen täuschen. Dabei sind Sie es, der getäuscht worden ist.«Geser schnaubte.

»Nehmen Sie doch wenigstens für einen Augenblick an, dass man einen Menschen in einen Anderen verwandeln kann!«, bat ich.

»Und weshalb sollte jemand das getan haben?«, fragte Geser. »Ich bin bereit, alles zu glauben, wenn du mir die Gründe dafür nennst. Wollte man Olga und mich in irgendwas hineinreiten? Das kann nicht sein. Schließlich ist alles reibungslos über die Bühne gegangen.«

»Ich weiß es nicht«, gab ich zu. Und während ich aufstand, fügte ich rachsüchtig hinzu: »Aber ich an Ihrer Stelle würde mich noch nicht zurücklehnen. Sie sind daran gewöhnt, dass Ihre Intrige immer die raffinierteste ist. Aber es gibt immer mehr als eine Variante.«

»Kluger Junge…«Geser verzog das Gesicht. »Geh jetzt zu Sweta… Nein, warte.«

Er steckte die Hand in die Tasche seines Morgenmantels und holte sein Handy heraus. Das klingelte nicht, vibrierte aber nervös.

»Ich mach's kurz…«, meinte Geser, während er mir zunickte. »Hallo«, sagte er dann ins Mobiltelefon, bereits mit seiner Telefonstimme.

Taktvoll ging ich zu den Schränken und guckte mir den magischen Nippes an. Gut, die Figuren von Ungeheuern dürften der Anrufung von Monstern dienen. Zum Beispiel. Aber wofür war die Peitsche nötig? War das eine Art Geißel des Schaab?

»Wir sind gleich da«, meinte Geser knapp. Dann klappte er sein Handy zu. »Anton!«

Als ich mich zu Geser umdrehte, war er gerade mit dem Umziehen fertig. Er hatte sich einfach mit den Händen über den Körper gestrichen, worauf Morgenmantel samt Pyjama Farbe und Stoff änderten, sich in einen streng geschnittenen grauen Anzug verwandelten. Mit einer letzten Handbewegung legte Geser eine Krawatte um seinen Hals. Bereits komplett mit strengem Windsorknoten. All das war keine Illusion, sondern Geser hatte tatsächlich einen Anzug aus seinem Pyjama gemacht.

»Wir müssen eine kleine Reise machen, Anton… In das Häuschen dieser bösen Zauberin.«

»Ist sie gefasst worden?«, fragte ich, wobei ich versuchte, mir über meine Gefühle klar zu werden. Ich trat an Geser heran.

»Nein, schlimmer. Gestern Abend ist im Zuge einer Hausdurchsuchung bei Arina ein Geheimversteck entdeckt worden.«Geser fuchtelte mit der Hand, worauf in der Luft ein Portal entstand. »Es sind schon… ein paar Leute da«, fügte er nebulös hinzu. »Gehen wir. »

»Was war in dem Versteck?«, rief ich.

Aber Gesers Hand schubste mich bereits in das weiße leuchtende Oval hinein. »Geh in Position«, vernahm ich seinen Rat.

Der Weg durch ein Portal braucht seine Zeit. Mal Sekunden oder Minuten, manchmal auch Stunden. Das hängt nicht von der Entfernung ab, sondern von der Präzision der Einstellung. Ich wusste nicht, wer das Portal in Arinas Haus geöffnet hatte, ich wusste auch nicht, wie lange ich in der milchweißen Leere bleiben musste.

Ein Geheimversteck in Arinas Haus. Ja und? Jeder Andere konnte in seinem Haus ein Versteck für magische Gegenstände anlegen.

Was hatte Geser so beunruhigt? Denn ich war überzeugt davon, dass der Chef beunruhigt und irritiert war - zu steinern und gelassen wirkte seine Miene!

Aus irgendeinem Grund stellte ich mir fürchterliche Dinge vor, zum Beispiel Kinderleichen im Keller. Das würde Gesers Panik erklären, der so überzeugt gewesen war, dass Arina Nad-juschka nicht angerührt hatte! Aber nein, das konnte nicht sein…

Mit diesem Gedanken stürzte ich aus dem Portal, mitten hinein in das kleine Zimmer. Da waren in der Tat reichlich viele Leute.

»Aus dem Weg!«, schrie Kostja und packte mich bei der Hand. Ich hatte kaum einen Schritt zur Seite getan, als Geser aus dem Portal trat.

»Ich grüße dich, Großer«, sagte Sebulon erstaunlich freundlich, ganz ohne seine sonstige Gehässigkeit.

Ich blickte mich um. Sechs unbekannte Inquisitoren, in Kitteln, die Kapuzen auf dem Kopf, alles so, wie es sich gehört. Edgar, Sebulon und Kostja - das war nicht weiter verwunderlich. Aber Swetlana! Voller Angst sah ich sie an, doch zu meiner Beruhigung schüttelte sie sofort den Kopf. Mit Nadja war also alles in Ordnung. »Wer leitet die Untersuchung?«, fragte Geser.

»Ein Triumvirat«, antwortete Edgar knapp. »Ich von der Inquisition, Sebulon von den Dunklen und…«Er sah Swetlana an. »… wen ihr bestimmt.«

»Ich«, nickte Geser. »Vielen Dank, Swetlana. Ich weiß das sehr zu schätzen.«

Erklärungen brauchte ich nicht. Was auch immer hier geschehen war, Swetlana war als erste Lichte eingetroffen - und hatte im Namen der Nachtwache gehandelt. Der Dienst hatte sie zurück, wenn man so wollte. »Sollen wir Sie informieren?«, fragte Edgar. Geser nickte.

»Und Gorodezki?«, fragte Edgar.

»Bleibt bei mir.«

»Das ist Ihr gutes Recht.«Edgar nickte mir zu. »Also, wir haben es hier mit einem außergewöhnlichen Zwischenfall zu tun…«Warum verständigte er sich mit Worten?

Ich versuchte Swetlana danach zu fragen, streckte mich gedanklich nach ihr aus…

Und schlug gegen eine blinde Mauer.

Die Inquisition hatte die Gegend blockiert. Deshalb hatte man Geser angerufen, statt sich telepathisch mit ihm in Verbindung zu setzen. Worum es hier auch gehen mochte, sollte geheim bleiben. Die nächsten Worte Edgars bestätigten meinen Gedanken.

»Da das, was hier geschehen ist, strengster Geheimhaltung unterliegt«, sagte Edgar, »bitte ich alle Anwesenden, ihren Schutz aufzugeben und sich für die Markierung mit dem Straffeuer bereitzuhalten.«

Ich schielte zu Geser hinüber, der bereits sein Hemd aufknöpfte. Sebulon, Swetlana, Kostja und sogar Edgar - alle entkleideten sich!

Ich fand mich damit ab und zog meinen Pullover aus. Kriegte also auch ich jetzt das Straffeuer…

»Wir, die hier Anwesenden, schwören, niemals irgendwo jemanden darüber zu informieren, was wir im Zuge der Untersuchung dieses Vorfalls in Erfahrung bringen, abgesehen vom obersten Tribunals der Inquisition als einziger Ausnahme«, sagte Edgar. »Ich schwöre!«

»Ich schwöre«, sagte Swetlana und fasste mich bei der Hand.

»Ich schwöre«, flüsterte ich.

»Ich schwöre, ich schwöre, ich schwöre…«, erklang es von allen Seiten.

»Wenn ich dieses Geheimnis preisgebe, möge mich die Hand des Straffeuers vernichten!«, schloss Edgar.

Seine Finger loderten in blendend roten Strahlen auf. In der Luft schien der brennende Abdruck einer Hand zu hängen, die in einzelne Schichten zerfiel, um flackernd zwölffach auf uns zuzukommen. Sehr langsam - und nichts jagte mir eine derartige Angst ein wie diese Bedächtigkeit.

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