Als Ersten berührte das Zeichen des Straffeuers Edgar selbst. Das Gesicht des Inquisitors verzog sich, auf seiner Haut leuchteten für einen kurzen Moment noch weitere solcher glutroten Abdrücke auf. Offenbar tat das weh…

Geser und Sebulon nahmen die Einbrennung des Zeichens stoisch hin. Wenn meine Augen mich nicht täuschten, überzog bereits ein dichtes Netz dieser Zeichen ihren Körper. Einer der Inquisitoren winselte auf. Offenbar tat das sehr weh…

Dann kam ich an die Reihe und begriff, dass ich mich geirrt hatte. Das tat nicht sehr weh - das war unerträglich! Als ob man mich mit einem glühenden Brandeisen kennzeichnete. Und mich dabei nicht nur an einer Stelle brandmarkte, sondern das Feuer durch meinen ganzen Körper jagte.

Sobald sich der blutige Schleier vor meinen Augen gehoben hatte, bemerkte ich zu meinem Erstaunen, dass ich mich - im Gegensatz zu zwei Inquisitoren - immer noch auf den Beinen hielt.

»Und da heißt es, eine Geburt sei schmerzhaft…«, sagte Swetlana leise, während sie ihre Bluse zuknöpfte. »Ha…«

»Ich möchte daran erinnern… Wenn das Zeichen zum Einsatz kommt, wird es weitaus schmerzhafter sein…«, murmelte Edgar. In den Augen des Dunklen standen Tränen. »Das ist zum Wohle der Allgemeinheit.«

»Genug der schönen Worte!«, unterbrach ihn Sebulon. »Wenn du hier nun schon mal das Sagen hast, dann benimm dich auch entsprechend.«In der Tat, wo war Viteszlav? War er trotz allem nach Prag abgeflogen?

»Wenn Sie mir jetzt bitte folgen wollten«, meinte Edgar, der immer noch ein gequältes Gesicht machte. Dann ging er zur Wand.

Ein Geheimversteck kann man auf verschiedene Weise anlegen. Ganz banal als magisch maskierten Safe in der Wand, aber auch im Zwielicht, gesichert durch etliche mächtige Zauber.

Dieses Versteck war recht originell. Als Edgar in die Wand schlüpfte, tat sich vor ihm für einen kurzen Moment ein schmaler, irgendwie nicht für einen Menschen gedachter Spalt auf. Sofort erinnerte ich mich an Jene heimtückische und komplizierte Methode, diese Mischung aus Magie der Illusion und Magie der Verschiebung. Aus einem begrenzten Raum, zum Beispiel aus einem Zimmer, wird ein Stück entfernt - hier schmale Streifen aus der Wand - und magisch zu einer einzigen»Kammer«verbunden. Eine recht komplizierte und gefährliche Sache, aber Edgar trat ruhig in das Geheimversteck ein.

»Alle passen da nicht rein«, murmelte Geser und schielte zu den Inquisitoren hinüber. »Wenn ich es richtig verstanden habe, sind Sie bereits drinnen gewesen? Dann können Sie jetzt warten.«

In der Sorge, man könne auch mich zurückhalten, machte ich einen Schritt nach vorn - und die Wand öffnete sich gehorsam vor mir. Die Verteidigungszauber waren bereits durchbrochen.

Die Kammer erwies sich als gar nicht so klein: drei mal drei Meter, mindestens. Darin gab es sogar ein Fenster, das ebenfalls aus Stücken der übrigen Fenster»zusammengeschnitten«worden war. Durch das Fenster ließ sich eine phantasmagorische Landschaft erkennen: ein Waldstreifen, ein halber Baum, ein Fetzen Himmel - alles völlig chaotisch miteinander kombiniert.

Es gab in der Kammer aber noch etwas, das weit größere Aufmerksamkeit verdiente.

Ein guter Anzug aus festem grauen Stoff, ein schickes Hemd (weiß, aus Seide, mit Spitze am Kragen und an den Manschetten), eine elegante Krawatte (silbergrau mit einem rot glänzenden Streifen), ein Paar herrlicher schwarzer Lederschuhe, aus denen weiße Socken hervorlugten. All das lag mitten in der Kammer auf dem Boden. Im Anzug würde sich mit Sicherheit seidene Unterwäsche mit handgesticktem Monogramm finden.

Allerdings verspürte ich nicht den Wunsch, in der Kleidung des Hohen Vampirs Viteszlav herumzuwühlen. Denn die homogene graue Asche in der Kleidung und um sie herum - das war alles, was von dem Inspektor des Europabüros der Inquisition noch übrig war.

Swetlana, die die Kammer nach mir betreten hatte, seufzte nur und nahm mich bei der Hand. Geser grunzte finster. Sebulon seufzte, anscheinend sogar aufrichtig.

Kostja, der als Letzter hereinkam, brachte keinen Laut heraus. Sondern stand wie angewurzelt da und betrachtete die traurigen Überreste seines Artgenossen.

»Wie Sie verstehen, meine Herren«, sagte Edgar leise, »ist das, was hier geschehen ist, schon an sich grauenvoll. Ein Hoher Vampir ist ermordet worden. Schnell und ohne jede Kampfspuren. Ich vermute, dass selbst den verehrten Hohen, die hier anwesend sind, das nicht möglich wäre.«

»Die hier anwesenden Hohen sind nicht so dumm, einen Mitarbeiter der Inquisition anzugreifen«, presste Geser angewidert heraus. »Sollte die Inquisition jedoch auf einer Überprüfung bestehen…«

Edgar schüttelte den Kopf. »Nein. Gerade weil ich nicht den geringsten Verdacht gegen Sie hege, habe ich Sie hierher gerufen. Bevor ich das Europabüro in Kenntnis setze, hielt ich es für angebracht, Ihren Rat einzuholen. Schließlich ist das hier das Territorium der Moskauer Wachen.«

Sebulon hockte sich neben die Überreste, nahm ein wenig Asche auf, rieb sie zwischen den Fingern, roch daran und berührte sie anscheinend sogar mit der Zunge. Mit einem Seufzer erhob er sich. »Viteszlav…«, murmelte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, wer ihn umgebracht haben könnte. Ich würde…«Er zögerte. »… ich würde es mir dreimal überlegen, bevor ich mich auf einen Kampf mit ihm einließe. Und Sie, Kollege?«

Er sah Geser an. Der ließ sich mit der Antwort Zeit, sah sich die Asche mit der Begeisterung eines jungen Naturwissenschaftlers an. »Geser?«, fragte Sebulon.

»Ja, ja…«, meinte Geser nickend. »Ich hätte es gekonnt. Ehrlich gesagt, hatten wir schon die Gelegenheit… es gab da verschiedentlich Missverständnisse. Aber so schnell… und so sauber…«Geser breitete die Arme aus. »Nein, das hätte ich nicht geschafft. Leider nicht. Man könnte fast neidisch werden.«

»Das Siegel«, erinnerte ich vorsichtig. »Vampire bekommen bei einer temporären Registrierung ein Siegel…«

Edgar sah mich an, als rede ich Unsinn. »Aber nicht die Mitarbeiter der Inquisition.«

»Und nicht die Hohen Vampire!«, fügte Kostja streitlustig hinzu. »Das Kleinvieh kriegt ein Siegel, das sich nicht unter Kontrolle hat, Vampire und Tiermenschen in ihrer Lehrzeit.«

»Eigentlich wollte ich schon lange die Frage zur Diskussion stellen, ob wir diese diskriminierende Behandlung nicht abschaffen«, warf Sebulon ein. »Vampire und Tiermenschen sollten kein Siegel bekommen, sobald sie den zweiten, besser noch den dritten Grad erlangt haben.«

»Lass uns noch die Registrierung bei der jeweils andern Wache am Wohnort abschaffen«, schlug Geser amüsiert vor.

»Schluss mit dem Streit!«, ließ sich Edgar in überraschend herrischem Ton vernehmen. »Gorodezkis Unwissenheit ist kein Grund, hier einen Disput vom Zaun zu brechen! Außerdem… ist das Ende der Existenz des Vampirs Viteszlav noch nicht das schlimmste.«

»Was könnte denn noch schlimmer sein als ein Anderer, der spielend einen Hohen umbringt?«, fragte Sebulon.

»Das Fuaran«, antwortete Edgar nur. »Das Fuaran, dessentwegen er ermordet worden ist.«

Zwei

Sebulon grinste. Die Worte Edgars, das war nicht zu übersehen, nahm er auch nicht ansatzweise für bare Münze.

Geser wiederum schien wütend zu werden. Kein Wunder. Erst war ich ihm mit dem Fuaran gekommen, jetzt der Inquisitor.

»Verehrter… europäischer Inquisitor.«Nach kurzem Zögern hatte der Chef doch noch eine in Maßen bösartige Anrede gefunden. »Ich interessiere mich nicht weniger als Sie für Mythologie. Unter Hexen sind die Erzählungen über das Fuaran sehr verbreitet, aber wir sind uns doch wohl einig, dass dies nur ein Versuch ist, der eigenen… Kaste mehr Glanz zu verleihen.

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