»Was du nicht sagst, Anton!«Edgar bedachte mich mit einem ironischen Blick. »Ermitteln etwa Geheimdienste der Menschen gegen die Anderen? Um dann, sobald sie etwas von dem Buch gehört haben, einen Agenten hierher zu schicken? Der dann einen Hohen Vampir ermordet?«

»Anton hat so Unrecht nicht«, sprang Geser mir zur Seite. »Ihnen ist doch bekannt, Edgar, dass wir jedes Jahr Schritte der Menschen zu unterbinden haben, die auf unsere Entdeckung zielen. Und was die Spezialabteilungen der Geheimdienste angeht…«

»Dort sitzen welche von uns«, warf Edgar ein. »Doch selbst wenn wir davon ausgehen, dass wieder einmal nach Anderen gefahndet wird, dass irgendwo Informationen nach draußen dringen, bleibt Viteszlavs Tod ein Rätsel. Nicht einmal James Bond könnte unbemerkt zu ihm vordringen. »

»James Bond? Wer ist denn das?«, wollte Sebulon wissen.

»Das gehört in den Bereich der Mythologie«, meinte Geser schmunzelnd. »Der modernen Mythologie. Lassen Sie uns hier nicht sinnlos unsere Zeit vergeuden, meine Herren. Die Situation ist doch völlig klar: Viteszlav ist von einem Anderen ermordet worden. Einem starken Anderen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach von jemandem, dem der Inquisitor vertraut hat.«

»Er hat niemandem vertraut, noch nicht einmal mir«, murmelte Edgar. »Vampire nehmen das Misstrauen einfach mit dem Mutterblut auf… wenn Sie den Scherz entschuldigen wollen.«

Niemand lächelte. Kostja schielte finster zu Edgar hinüber, sagte jedoch kein Wort.

»Willst du von allen Anwesenden das Gedächtnis überprüfen lassen?«, erkundigte sich Geser höflich. »Würden Sie dem denn zustimmen?«, wollte Edgar wissen.

»Nein«, entgegnete Geser. »Ich weiß die Arbeit der Inquisition zu schätzen, aber alles hat seine Grenze.«

»Damit wären wir in einer Sackgasse gelandet.«Edgar breitete die Arme aus. »Meine Herren, wenn Sie nicht kooperationsbereit sind…«

Swetlana hüstelte taktvoll. »Darf ich vielleicht etwas dazu sagen?«, fragte sie. »Aber ja, sicher.«Edgar nickte freundlich.

»Ich glaube, wir schlagen einen falschen Weg ein«, sagte Swetlana. »Sie sind der Ansicht, wir sollten den Mörder suchen, dann würden wir auch das Buch finden. Das stimmt, aber den Mörder kennen wir nicht. Warum versuchen wir nicht einfach, das Buch aufzuspüren? Über das Fuaran kommen wir dann auch an den Mörder.«

»Und wie würdest du das Buch suchen, Lichte?«, fragte Sebulon in ironischem Ton. »Willst du James Bond anrufen?«

Swetlana streckte die Hand aus und berührte vorsichtig Arinas Brief. »Also… Soweit ich es verstanden habe, hat die Hexe den auf das Buch gelegt, möglicherweise sogar zwischen die Seiten gesteckt. Eine gewisse Zeit lang lagen diese beiden Gegenstände also zusammen. Das Buch selbst ist eine magische, eine mächtige Sache. Wenn wir ein Ebenbild herstellen… Sie wissen schon, in der Weise, wie man es den jungen Magiern beibringt…«

Unter den Blicken der Hohen wurde sie unsicher und geriet aus dem Konzept. Doch sowohl Sebulon wie auch Geser blickten Swetlana wohlwollend an.

»Ja, stimmt, es gibt eine solche Magie«, murmelte Geser. »Wie ist das gleich, jetzt fällt's mir wieder ein… Einmal ist mir ein Pferd gestohlen worden, ich hatte dann nur noch das Zaumzeug…«

Er verstummte. Schielte zu Sebulon hinüber. »Ich bitte Sie, Dunkler«, sagte er in ausgesucht freundlichem Ton. »Erschaffen Sie das Ebenbild!«

»Ich würde es lieber sehen, wenn Sie das täten«, erwiderte Sebulon nicht weniger höflich. »Damit mir nicht unterstellt wird, ich sei unehrlich gewesen.«Irgendwas stimmte hier nicht! Aber was?

»Nun, wie heißt es doch im Volksmund so schön: Den ersten Peitschenhieb für den Denunzianten!«, meinte Geser fröhlich. »Swetlana, dein Vorschlag ist angenommen. Stell das Ebenbild her.«

Gequält sah Swetlana Geser an. »Boris Ignatjewitsch… Es tut mir leid, das ist eine so einfache Sache… die habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Vielleicht könnten wir einen Magier mit niedrigerem Grad bitten?«

Daran hakte es also. Die Großen Magier beherrschten das ABC der Magie, das allen neuen Anderen beigebracht wird, nicht mehr. Hatten es vergessen - wie ein Akademiker das kleine Einmaleins oder Schönschrift!

»Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte ich. Ohne die Antwort abzuwarten, streckte ich eine Hand nach dem Brief aus. Ich kniff die Augen zusammen, damit der Schatten meiner Wimpern auf meine Augen fiel, und sah durchs Zwielicht auf das graue Blatt Papier. Ich stellte mir ein Buch vor, einen dicken Schmöker, gebunden in Menschenhaut, das Tagebuch einer von Menschen und Anderen verfluchten Hexe…

Langsam formte sich das Bild. Das Buch sah fast so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte, nur die Ecken des Einbands waren mit goldfarbenen Metalldreiecken beschlagen. Anscheinend waren sie erst später angebracht worden, von einem der Besitzer des Fuaran, der nicht wollte, dass das Buch beschädigt wurde.

»Da ist es!«, sagte Geser mit lebhaftem Interesse. »In der Tat, in der Tat…«

Die Magier erhoben sich, beugten sich über den Tisch, betrachteten das nur für Andere sichtbare Bild des Buchs. Das Papier auf dem Tisch erzitterte leicht, als gehe hier ein Luftzug. »Kann man es nicht öffnen?«, fragte Kostja.

»Nein, das ist nur ein Bild, das die Sache selbst nicht in sich birgt…«, sagte Geser freundlich. »Weiter, Anton. Fixiere es… und überleg dir einen Suchmodus.«

Das Bild des Buchs zu fixieren gelang mir ohne weiteres. Aber die Bitte, mir einen Suchmodus zu überlegen, hatte mich kalt erwischt. Am Ende entschied ich mich für eine groteske Kompass-Analogie: ein riesiger, tellergroßer Kompass mit einer Nadel, die sich um die eigene Achse drehte. Ein Ende der Nadel leuchtete heller - es musste das Fuaran anzeigen.

»Lad ihn mit Energie auf«, bat Geser. »Er muss mindestens eine Woche funktionieren… für alle Fälle.«Ich lud ihn auf. Völlig erschöpft, aber zufrieden entspannte ich mich.

Wir starrten auf den im Zwielicht hängenden»Kompass«. Die Nadel wies direkt auf Sebulon.

»Was soll das, Gorodezki?«, wollte Sebulon wissen. Er stand auf und trat zur Seite. Die Nadel rührte sich nicht.

»Gut«, meinte Geser zufrieden. »Edgar, deine Mitarbeiter sollen reinkommen.«

Rasch ging Edgar zur Tür, rief sie und kam an den Tisch zurück.

Einer nach dem andern betraten die Inquisitoren das Zimmer. Die Nadel rührte sich nicht. Sondern wies ins Leere.

»Was zu beweisen war«, brachte Edgar beruhigt hervor. »Keiner der hier Anwesenden hat etwas mit dem Diebstahl des Buches zu tun.«

»Sie zittert«, sagte Sebulon, indem er auf den»Kompass«guckte. »Die Nadel zittert. Aber da wir bei dem Buch keine Beinchen entdecken konnten…«

Er brach in ein unschönes, böses Gelächter aus. Er schlug Edgar auf die Schulter. »Was nun, alter Genosse?«, fragte er. »Brauchst du Hilfe bei der Festnahme?«

Edgar fixierte den»Kompass«ebenfalls aufmerksam. »Wie genau arbeitet das Gerät, Anton?«, fragte er dann.

»Ich glaube, nicht sehr genau«, gestand ich. »Schließlich war die Spur des Buchs nur sehr schwach. »

»Die Genauigkeit!«, wiederholte Edgar.

»Auf hundert Meter genau«, vermutete ich. »Vielleicht auf fünfzig. Soweit wie ich es verstehe, wird das Signal in größerer Nähe zu stark, und die Nadel fängt dann an, sich nur noch chaotisch um sich selbst zu drehen. Tut mir leid.«

»Keine Sorge, Anton, du hast alles richtig gemacht«, lobte mich Geser. »Bei einer so schwachen Verbindung hätte das niemand besser machen können. Hundert Meter sind hundert Meter… Kannst du

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