gehen.

Er war der Ansicht, dass ein Verwandter des Gouverneurs sich so etwas nicht zu bieten lassen brauchte.

Nun, Moores erzahlte mir, er habe Percy so lange hingehalten wie moglich, und als ihm klar geworden sei, dass Percy seine Beziehungen spielen lassen wollte, damit ich einen Tadel erhielt oder wenigstens in einen anderen Teil des Gefangnisses versetzt wurde, hatte er, Moores, Percy in sein Buro gezogen und ihm gesagt, wenn er aufhorte, solchen Wind zu machen, wurde er dafur sorgen, dass Percy bei Delacroix' Hinrichtung sozusagen die erste Geige spielen durfte. Er wurde direkt neben dem elektrischen Stuhl stehen. Ich wurde wie immer die Leitung haben, aber die Zeugen wurden das nicht wissen; fur sie wurde es aussehen, als ware Mr. Percy Wetmore der Leiter der Hinrichtung. Moores hatte nur versprochen, was wir bereits diskutiert hatten und was ich akzeptiert hatte, aber Percy wusste das nicht. Er hatte zugestimmt, seine Drohung, mich versetzen zu lassen, zu vergessen, und die Atmosphare in Block E war angenehmer geworden. Er war sogar einverstanden gewesen, dass Delacroix Percys fruhere Nemesis als Haustier halten durfte. Es ist erstaunlich, wie sich einige Leute andern konnen, wenn sie den richtigen Ansporn bekommen: In Percys Fall brauchte Direktor Moores nur die Chance anzubieten, einem kleinen glatzkopfigen Franzosen das Leben zu nehmen.

9

TootToot fand, dass vier Pennies viel zuwenig fur eine erstklassige Corona-Zigarrenkiste waren, und

damit hatte er vermutlich recht - Zigarrenkisten waren hochbegehrt und -bezahlt im Knast Man konnte

darin unzahlige kleine Dinge aufbewahren, der Geruch war angenehm, und irgend etwas an ihnen

erinnerte unsere Runden daran, wie es war, frei zu sein. Weil Zigaretten im Gefangnis erlaubt waren,

Zigarren jedoch nicht nehme ich an.

Dean Stanton, der zu dieser Zeit wieder im Block war, spendierte einen Penny, und ich steuerte

ebenfalls einen bei. Als TootToot immer noch unzufrieden war, wurde er von Brutal bearbeitet. Zuerst

forderte er ihn auf, sich wegen seiner Geldgier zu schamen, und dann versprach er, dass er, Brutus

Howell, ihm personlich sofort nach Delacroix' Hinrichtung die Zigarrenkiste zuruckgeben wurde. »Mag

sein oder nicht, dass sechs Pennies zuwenig sind, wenn du diese Zigarrenkiste verkaufst, daruber

konnten wir streiten«, meinte Brutal, »aber du musst zugeben, dass es ein stolzer Preis ist wenn du

sie verleihst Er wird in einem Monat allerhochstem in sechs Wochen, uber die Green Mile gehen. Und

diese Zigarrenkiste wird wieder auf deinem Karren stehen, bevor du sie uberhaupt vermisst«

»Ein weichherziger Richter konnte ihm Aufschub gewahren, und dann ware er immer noch hier und

konnte auf alte Bekannte pfeifen«, wandte TootToot ein, aber er wusste es besser, und Brutal wusste,

dass er es wusste. Der alte TootToot hatte diesen verdammten Karren mit Bibelzitaten praktisch seit

den Tagen des Pony Express durch Gold Mountain geschoben, und er hatte viele Informationsquellen

... bessere als unsere, dachte ich damals.

Er wusste, dass im Fall Delacroix kein Richter weichherzig sein wurde. Seine einzige Hoffnung war der

Gouverneur, der im allgemeinen wenig milde bei Leuten war, die ein Dutzend seiner Wahler gebraten

hatten.

»Und selbst wenn er keinen Aufschub bekommt, wird diese Maus bis Oktober in die Zigarrenkiste

schei?en, vielleicht sogar bis zum Thanksgiving«, wandte Toot ein, aber Brutal merkte, dass Toots

Widerstand erlahmte. »Wer wird denn eine Zigarrenkiste kaufen, die von einer Maus als Schei?haus

benutzt wurde?«

»O Mann!« rief Brutal. »Das ist das Blodeste, was ich jemals von dir gehort habe, Toot. Ich meine,

das ist die Hohe. Erstens wird Delacroix die Kiste so sauber halten, dass man daraus essen konnte -

bei seiner Liebe fur diese Maus wird er die Kiste sauberlecken, wenn es notig ist«

»Nun ubertreib mal nicht«, sagte TootToot und rumpfte die Nase.

»Zweitens«, fuhr Brutal fort, »ist Mauseschei?e ohnehin keine gro?e Sache. Das sind nur kleine harte

Kottel, die wie Schrotkugelchen aussehen. Die kannst du einfach rausschutteln. Uberhaupt kein

Problem.«

TootToot erkannte, dass weiterer Protest sinnlos war; er war erfahren genug, um zu wissen, wann er

einer scharfen Brise trotzen konnte und wann es besser war, sich einem Hurrikan zu beugen. Dies war

nicht gerade ein Hurrikan, aber wir Blaujacken mochten die Maus, es gefiel uns, dass Delacroix die

Maus hatte, und das war zumindest ein Sturm. So bekam Delacroix die Zigarrenkiste, und Percy hielt

sein Wort - zwei Tage spater war der Boden der Kiste mit weicher Baumwollwatte aus der

Krankenstation gepolstert Percy uberreichte sie personlich, und ich konnte die Furcht in Delacroix'

Augen sehen, als er durch die Gitterstabe griff, um sie entgegenzunehmen.

Er befurchtete, Percy wurde seine Hand schnappen und ihm die Finger brechen. Ich war ebenfalls besorgt, aber nichts geschah. Das war der Moment, an dem ich Percy fast ein bisschen mochte, aber selbst da konnte ich nicht den Ausdruck kalter Belustigung in seinen Augen ubersehen. Delacroix hatte ein Haustier; Percy hatte ebenfalls eins. Delacroix wurde seines behalten, verhatscheln und lieben -solange er konnte.

Percy wurde geduldig warten (jedenfalls so geduldig, wie ein solcher Typ das konnte) und seines dann lebendig verbrennen.

»Das Mause-Hilton ist eroffnet«, sagte Harry. »Die einzige Frage ist, wird der kleine Kerl es benutzen?« Die Frage wurde beantwortet, als Delacroix Mr. Jingles auf eine Hand nahm und ihn behutsam in die Zigarrenkiste setzte. Die Maus kuschelte sich in die wei?e Watte, und fortan fuhlte sie sich darin heimisch, bis ... Nun, ich werde zur rechten Zeit zum Ende der Mr.-Jingles-Geschichte kommen.

TootToots Befurchtungen, dass sich die Zigarrenkiste mit Mausekot fullen wurde, erwiesen sich als vollig unbegrundet. Ich sah niemals auch nur einen einzigen Kottel darin, und Delacroix sagte das gleiche - nicht einmal in seiner Zelle war einer. Viel spater, ungefahr zu dem Zeitpunkt an dem Brutal mir das Loch im Dachbalken zeigte und wir die gefarbten Holzsplitter fanden, entfernte ich einen Stuhl aus der Ostecke der Gummizelle und fand dort einen kleinen Haufen Mausekot Die Maus war anscheinend immer zum selben Platz gegangen, um ihr Geschaft zu verrichten, so weit von der Zelle fort wie moglich. Hier ist noch etwas: Ich sah die Maus niemals pinkeln. Und fur gewohnlich konnen Mause den Wasserhahn kaum fur zwei Minuten abstellen, besonders wenn sie fressen. Ich sage es Ihnen, das verdammte Ding war eines von Gottes Geheimnissen.

Ungefahr eine Woche nach Mr. Jingles' Einzug in die Zigarrenkiste rief Delacroix mich und Brutal zu seiner Zelle, weil er uns etwas zeigen wollte. Das wollte er so oft, dass es uns nervte - wenn Mr. Jingles sich auch nur auf den Rucken rollte und die Pfoten in die Luft streckte, war es fur den kleinen Cajun das Niedlichste auf Gottes Erde -, aber diesmal sahen wir etwas wirklich Amusantes. Delacroix war nach seiner Verurteilung fast vollig von der Welt vergessen worden, aber er hatte eine Verwandte - eine alte Tante, glaube ich -, die ihm einmal pro Woche schrieb. Sie hatte ihm auch eine gro?e Tute Pfefferminzbonbons geschickt, die Sorte, die damals unter dem Markennamen Canada Mints verkauft wurde. Die Pfefferminzbonbons sahen wie gro?e pinkfarbene Pillen aus. Delacroix durfte naturlich nicht die ganze Tute auf einmal haben - es waren funf Pfund, und er hatte sie verschlungen, bis wir ihn mit Magenkrampfen auf die Krankenstation hatten bringen mussen. Wie fast jeder Morder auf der Green Mile hatte er uberhaupt keinen Sinn fur Ma?igung. Wir gaben ihm jeweils ein halbes Dutzend Pfefferminzbonbons auf einmal, und auch nur dann, wenn er daran dachte, darum zu bitten.

Mr. Jingles sa? neben Delacroix auf der Pritsche, als wir dorthin kamen, hielt eines dieser pinkfarbenen Bonbons zwischen den Pfoten und mampfte es zufrieden. Delacroix war einfach uber­waltigt vor Freude - er benahm sich wie ein Pianist, der seinem funfjahrigen Sohn beim noch zogerlichen Spielen seiner ersten klassischen Passagen zuschaute. Aber verstehen Sie mich nicht falsch; es war wirklich lustig, echt zum Schreien. Das Pfefferminzbonbon war halb so gro? wie Mr. Jingles, und sein Bauch unter dem wei?en Fell war bereits kugelrund aufgeblaht. »Nimm es ihm weg, Eddie«, sagte Brutal halb lachend, halb entsetzt »Allmachtiger, der frisst bis er platzt Ich kann den Pfefferminzgeruch bis hier riechen. Wie viele hast du ihm gegeben?« »Das ist sein zweites«, antwortete Delacroix und schaute etwas nervos auf Mr. Jingles' Bauch. »Meinst du wirklich ... du wei?t schon ..., dass er platzt?« »Schon moglich«, meinte Brutal.

Das war genug Autoritat fur Delacroix. Er griff nach dem Pfefferminzbonbon, von dem nur noch die Halfte ubrig war. Ich rechnete damit dass die Maus ihn bei?en wurde, aber Mr. Jingles uberlie? ihm sanftmutig den Rest des Bonbons. Ich blickte zu Brutal, und er schuttelte ein wenig den Kopf, als wollte er sagen, nein, er konne das auch nicht verstehen. Dann lie? sich Mr. Jingles in die Zigar­renkiste plumpsen und legte sich wie ein erschopfter alter Mann auf die Seite. Wir alle drei mussten bei diesem Anblick lachen. Danach gewohnten wir uns daran, dass die Maus neben Delacroix sa?, ein Pfefferminzbonbon zwischen den Pfoten hielt und so manierlich speiste wie eine alte Lady bei einer nachmittaglichen Teegesellschaft Und Delacroix und Mr. Jingles waren eingehullt in den Duft,

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