nicht die Muhe gemacht, Wharton hineinzustecken; das uberlie?en sie unseren Jungs. Wharton trug einen Krankenhauspyjama aus Baumwolle und billige Pantoffeln, als sie ihn zum ersten Mal im zweiten Stock des Krankenhauses trafen, ein knochiger Mann, schmales, pickeliges Gesicht und langes blondes Haar. Sein Gesa?, ebenfalls schmal und mit Pickeln bedeckt, ragte hinten aus der Pyjamahose raus. Das war der Teil von ihm, den Harry und die anderen zuerst sahen, denn Wharton stand am Fenster und schaute auf den Parkplatz, als sie eintraten. Er drehte sich nicht um, sondern verharrte einfach in seiner Haltung, hielt mit einer Hand den Vorhang zuruck, stumm wie eine Puppe, wahrend sich Harry beim County Sheriff beschwerte, weil er und seine Manner zu faul gewesen seien, Wharton die blaue Gefangniskluft zu verpassen, und der County Sheriff ihm daraufhin einen Vertrag hielt - wozu jeder Staatsbeamte, den ich kennen gelernt habe, sich anscheinend verpflichtet fuhlt -, was seine Aufgabe war und was nicht. Als Harry diesen Teil satt hatte (ich bezweifle, dass es lange dauerte), befahl er Wharton, sich umzudrehen. Wharton tat es. Dean erzahlte uns mit seiner heiseren, halb erstickten Stimme, dass Wharton genauso wie die anderen tausend Hinterwaldler-Verbrecher aussah, mit denen wir im Laufe all der Jahre in Cold Mountain zusammengetroffen waren. Dieses Aussehen auf einen Nenner gebracht, ergibt einen Blodmann mit einer bosartigen Ader. Manchmal entdeckte man auch eine feige Ader in ihnen, wenn sie mit dem Rucken zur Wand standen, aber meistens zeichneten sie sich durch nichts als Kampflust und Boshaftigkeit und noch mehr Kampflust und Boshaftigkeit aus. Es gibt Leute, die etwas Tapferes in Typen wie Billy Wharton sehen, aber ich zahle nicht dazu. Auch eine Ratte kampft, wenn sie in die Enge getrieben ist.

Das Gesicht dieses Mannes hatte anscheinend nicht mehr Personlichkeit als sein pickeliger Hintern, wie Dean sagte. Das Gesicht wirkte schlaff, der Blick war leer, die Schultern hingen, seine Arme baumelten hinab. Er sah aus, als sei er mit Morphium voll gepumpt worden, in allen Fasern so zugedrohnt wie alle Rauschgiftsuchtigen, die sie gesehen hatten. An dieser Stelle nickte Percy verdrossen.

»Anziehen«, sagte Harry und wies auf die Gefangniskluft am Fu?ende des Bettes - sie war aus dem braunen Papier gewickelt, aber sonst nicht angeruhrt worden. Sie war noch so gefaltet, wie sie die Gefangniswascherei verlassen hatte. Wei?e Boxershorts lugten aus einem Armel hervor und wei?e Socken aus dem anderen.

Wharton wirkte bereitwillig genug, um zu gehorchen, kam aber ohne Hilfe nicht weit Er schaffte es, die Boxershorts anzuziehen, doch bei der Hose versuchte er, beide Beine ins selbe Hosenbein zu schieben. Schlie?lich half Dean, schob die Fu?e hinein, wo sie hineingehorten, zog die Hose hoch, verschloss den Schlitz und schnallte den Gurtel zu. Wharton stand nur da und versuchte nicht mal zu helfen, als er sah, dass Dean ihm die Arbeit abnahm. Er starrte mit leerem Blick durch das Zimmer, lie? die Arme locker hinunterhangen, und keinem kam in den Sinn, dass er sich verstellte. Nicht in der Hoffnung zu entkommen (das glaube ich jedenfalls), sondern nur in der Hoffnung, ein Maximum an Problemen zu machen, wenn der richtige Zeitpunkt kam.

Die Papiere wurden unterzeichnet William Wharton, der mit seiner Festnahme Besitz des Countys geworden war, wurde jetzt Besitz des Staates. Er wurde die Treppe hinunter und durch die Kuche gefuhrt, umgeben von Blau-Uniformierten. Er ging schleppend, den Kopf gesenkt die Hande mit den langen Fingern in standiger Bewegung. Als ihm das erste Mal die Mutze vom Kopf rutschte, setzte Dean sie ihm wieder auf. Beim zweiten Mal schob Dean sie einfach in seine eigene Gesa?tasche. Wharton hatte eine weitere Moglichkeit Probleme zu machen, als sie ihn im Transporter fesselten, doch er nutzte sie nicht.

Wenn er etwas dachte (und selbst jetzt bin ich mir nicht sicher, ob er dachte, und wenn, wie viel), dann musste er sich gesagt haben, dass es in dem Transporter zu eng und die Zahl der Bewacher zu gro? fur einen erfolgreichen Angriff war. So wurde er in Ketten gelegt, ein Paar zwischen den Knocheln, ein anderes - zu langes, wie sich herausstellte - zwischen den Handgelenken. Die Fahrt nach Gold Mountain dauerte eine Stunde. Wahrend der ganzen Zeit sa? Wharton auf der linken Bank beim Fuhrerhaus. Er hielt den Kopf gesenkt, und die gefesselten Hande baumelten zwischen den Knien. Dann und wann summte er ein bisschen vor sich hin, sagte Harry, und Percy regte sich auf und beschwerte sich, dass der Blodmann mit seiner vorstehenden Unterlippe Speichel verspritzte, immer ein Tropfchen, bis eine kleine Lache zwischen seinen Fu?en entstanden war. Wie ein Hund, der an einem hei?en Sommertag von der Zungenspitze sabbert Sie fuhren durch das Sudtor ins Gefangnis, an meinem Wagen vorbei, nehme ich an. Der Warter offnete das gro?e Tor zwischen Parkplatz und Gefangnishof, und die Postkutsche fuhr hindurch. Auf dem Hof war nicht viel los. Es waren nur wenige Manner drau?en, die meisten arbeiteten im Garten. Es musste Kurbiszeit gewesen sein. Sie fuhren zu Block E und stoppten. Der Fahrer offnete die Wagentur, lobte die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen und erklarte, er wurde die Postkutsche ruber zur Fahrbereitschaft fahren, um das Ol wechseln zu lassen. Die zusatzlichen Warter fuhren mit ihm. Sie sa?en hinten im Wagen und a?en Apfel - die Turen des Wagens standen offen. Blieben Dean, Harry und Percy mit einem gefesselten Gefangenen. Das hatten genug Warter sein sollen, und es waren auch genug gewesen, wenn sie sich nicht von dem durren Hinterwaldler hatten einlullen lassen, der mit gesenktem Kopf und Fesseln an den Fu?en und Handgelenken dastand. Sie fuhrten ihn die circa zwolf Schritte zur Tur von Block E in der gleichen Formation, in der wir Gefangene uber die Green Mile eskortierten. Harry ging links von dem Gefangenen, Dean rechts, und Percy folgte mit dem Schlagstock in der Hand hinter Wharton. Das mit dem Schlagstock hat mir keiner erzahlt, aber ich wusste verdammt genau, dass Percy ihn in der Hand hatte. Percy war vernarrt in diesen Hickory-Knuppel. Was mich anbetrifft, so sa? ich in Whartons Heim, in dem er wohnen wurde, bis er in den brisantesten Raum verlegt werden wurde - erste Zelle rechts, wenn man uber den Gang in Richtung Gummizelle geht Ich hatte mein Klemmbrett in den Handen und wollte nur meine kleine Ansprache halten und dann hollisch schnell verschwinden. Mein Unterleib schmerzte wieder starker, und ich wollte nur in mein Buro gehen und darauf warten, dass die Pein voruberging. Dean trat vor, um die Tur aufzuschlie?en. Er wahlte den richtigen Schlussel vom Bund an seinem Gurtel und schob ihn ins Schloss. Wharton wurde lebendig, als Dean den Schlussel im Schloss drehte und die Tur aufzog. Er stie? einen schrillen Schrei aus - eine Art Kriegsgeschrei -, bei dem Harry vorubergehend erstarrte und Percy Wetmore vermutlich fur den Rest der Ereignisse die Nerven verlor. Ich horte diesen Schrei durch die Tur, die einen Spaltbreit offen stand, und brachte ihn zuerst nicht mit etwas Menschlichem in Verbindung; ich dachte, ein Hund ware irgendwie in den Hof gelangt und vielleicht von einem jahzornigen Warter mit einer Hacke geschlagen worden. Wharton riss die Arme hoch, streifte die Kette, die zwischen seinen Handgelenken hing, uber Deans Kopf und begann ihn damit zu wurgen.

Dean stie? einen erstickten Schrei aus und taumelte vorwarts, in das kalte elektrische Licht unserer

kleinen Welt Wharton folgte ihm gern, gab ihm sogar noch einen Sto?, und die ganze Zeit brullte und

murmelte er, lachte sogar. Er hielt die Arme erhoben, die Fauste an Deans Ohren, spannte die Kette

so fest, wie er konnte, und sagte damit hin und her. Harry sprang Wharton von hinten an, krallte eine

Hand in das fettige blonde Haar unseres Neuzugangs und schlug ihm die andere Faust seitlich ins

Gesicht, so hart er konnte. Er hatte ebenfalls einen Schlagstock und eine Pistole, doch in seiner

Aufregung dachte er nicht daran. Wir hatten auch zuvor schon mal Schwierigkeiten mit Gefangenen

gehabt, klar, aber keiner hatte einen von uns je so uberrascht wie Wharton. Die Verschlagenheit

dieses Kerls ging uber unsere Erfahrung hinaus. Ich hatte so etwas noch nie zuvor gesehen und habe

es auch nie wieder erlebt

Und er war stark. All diese schlaffe Lockerkeit war verschwunden. Harry sagte spater, er habe das

Gefuhl gehabt, gegen ein Bundel von Stahlfedern zu springen, die plotzlich irgendwie zum Leben

erwacht waren. Wharton, jetzt auf dem Gang und nahe beim Wachpult wirbelte nach links und

schleuderte Harry zuruck. Harry prallte gegen das Pult und ging zu Boden.

»Jucheee, Jungs!« Wharton lachte. »Das ist 'ne Party, was?«

Immer noch schreiend und lachend, wurgte Wharton weiterhin Dean mit der Kette. Warum nicht?

Wharton wusste, was auch Dean klar war: Man konnte ihn nur einmal braten.

»Schlag ihn, Percy, schlag ihn!« schrie Harry und kampfte sich auf die Fu?e. Aber Percy stand nur da,

den Hickory-Schlagstock in der Hand, die Augen so weit aufgerissen wie sonst sein Maul. Da war die

Chance, auf die er gewartet hatte, hatte man sagen konnen, die einmalige Gelegenheit, diesen

Knuppel mal sinnvoll einzusetzen, und er war zu erschreckt und verwirrt, um es zu tun. Dies war kein

verangstigter kleiner Franzose oder apathischer schwarzer Riese, der mal aus der Haut gefahren war,

dies war ein wirbelnder Teufel.

Ich lie? mein Klemmbrett fallen, sprang aus der Zelle, die fur Wharton bestimmt war, und zog meinen

38er. Zum zweiten Mal an diesem Tag verga? ich die Infektion, die meinen Unterleib erhitzte.

Ich habe nicht bezweifelt, was die anderen von Whartons ausdruckslosem Gesicht und seinem leeren

Blick erzahlten, aber das war nicht der Wharton, den ich sah. Was ich sah, war das verzerrte Gesicht

eines Tieres ... nicht das eines intelligenten, sondern eines Tieres, das von Verschlagenheit und

Bosartigkeit ... und Freude erfullt war.

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