seine Zelle, wahrend Brutal half, Dean auf die Fu?e zu bringen. Er hielt ihn so liebevoll wie eine

Mutter, wahrend Dean sich krummte, hustete und um Atem rang.

Unser neues Problemkind schlief fast drei Stunden lang, und als es aufwachte, zeigte es absolut keine

Nachwirkungen von Brutals heftigem Schlag. Er kam zu sich, wie er sich bewegte -schnell. Gerade

hatte er noch wie tot auf der Pritsche gelegen, und im nachsten Augenblick stand er schon an den

Gitterstaben - er war leise wie eine Katze - und starrte mich an, wahrend ich am Wachpult sa? und

einen Bericht uber den Zwischenfall schrieb. Als ich schlie?lich spurte, dass mich jemand anstarrte,

blickte ich auf, und da war er. Sein Grinsen gab den Blick auf ein paar faulige dunkle Zahne frei, mit

bereits einigen Lucken dazwischen. Ich erschrak zu Tode, als ich ihn da so grinsend stehen sah.

Naturlich versuchte ich, es nicht zu zeigen, aber ich denke, er wusste es. »Na, du Arschloch«, sagte

er. »Beim nachsten Mal bist du dran. Und dann klappt es.«

»Hallo, Wharton«, erwiderte ich so lassig, wie ich konnte. »Unter diesen Umstanden kann ich mir wohl

die Ansprache und die Willkommensworte schenken, meinst du nicht?«

Sein Grinsen wurde ein wenig schwacher. Das war keine Antwort, die er erwartet hatte, und

vermutlich auch keine, die ich ihm unter anderen Umstanden gegeben hatte. Aber etwas war

geschehen, wahrend Wharton bewusstlos gewesen war. Das ist vermutlich einer der wichtigsten

Punkte, die ich Ihnen auf diesen muhsamen Seiten mitteilen wollte. Nun sehen wir mal, ob Sie es

glauben.

3

Als die Aufregung voruber war, brullte Percy nur einmal Delacroix an und hielt dann den Mund. Das war vermutlich eher auf den Schock zuruckzufuhren als auf den 'Versuch, Taktgefuhl zu zeigen -Percy Wetmore wusste meiner Meinung nach so viel uber Takt wie ich uber die Eingeborenenstamme des dunkelsten Afrika -, aber es war trotzdem verdammt gut, dass er die Klappe hielt Wenn er gejammert hatte, weil Brutal ihn gegen die Wand gesto?en hatte, oder gefragt hatte, warum ihm niemand gesagt hatte, dass manchmal boshafte Manner wie Wild Billy Wharton in Block E kamen, dann hatten wir ihn vielleicht umgebracht glaube ich. Dann hatten wir die Green Mile auf eine ganz neue Weise kennen gelernt Das ist eine lustige Idee, wenn man daruber nachdenkt. Ich verpasste meine Chance, es wie James Cagney in Sprung in den Tod zu machen. Wie dem auch sei, als wir sicher waren, dass Dean wieder atmen und nicht ohnmachtig zusam­menbrechen wurde, fuhrten Harry und Brutal ihn ruber zur Krankenstation. Delacroix, der sich wahrend des Zwischenfalls absolut still verhalten hatte (er war oft im Knast gewesen und wusste, wann man besser die Klappe hielt oder wann man sie relativ ungefahrdet aufrei?en konnte), begann jetzt uber den Gang zu brullen, als Harry und Brutal mit Dean fort gingen. Delacroix wollte wissen, was passiert war. Man hatte denken konnen, seine verfassungsma?igen Rechte waren verletzt worden.

»Halt die Schnauze, du kleiner Schwuler!« brullte Percy so wutend zuruck, dass seine Halsadern anschwollen. Ich legte eine Hand auf seinen Arm und spurte, dass er zitterte. Zum Teil war das naturlich auf die Nachwehen der Angst zuruckzufuhren (von Zeit zu Zeit musste ich mir in Erinnerung rufen, dass ein Teil von Percys Problemen darin bestand, dass er erst einundzwanzig war, nicht viel alter als Wharton), aber ich glaube, das meiste war Zorn. Er hasste Delacroix. Ich wei? nicht, warum, aber er hasste ihn.

»Sieh nach, ob Direktor Moores noch da ist«, wies ich Percy an. »Wenn ja, gib ihm einen voll­standigen mundlichen Bericht uber die Ereignisse. Sag ihm, dass er morgen meinen schriftlichen Bericht auf seinem Schreibtisch hat, wenn ich es schaffe.«

Percy schwoll sichtlich die Brust bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe; einen entsetzlichen Moment

lang dachte ich tatsachlich, er wurde salutieren. »Jawohl, Sir, das werde ich tun.«

»Fang den Bericht damit an, dass die Lage in Block E normal ist Es soll kein Gangsterroman werden,

und der Direktor wird es zu schatzen wissen, wenn du die Sache nicht in die Lange ziehst, um die

Spannung zu erhohen.«

»Das werde ich nicht tun.«

»Okay. Dann zisch ab.«

Er ging zur Tur, dann blieb er stehen und wandte sich um. Wenn man sich bei ihm auf eines verlassen

konnte, dann war es seine Widerspenstigkeit Ich wunschte verzweifelt, dass er verschwand, denn

mein Unterleib schien wieder in Flammen zu stehen, aber jetzt wollte er anscheinend nicht gehen.

»Ist alles in Ordnung, Paul?« fragte' er. »Hast du vielleicht Fieber? Eine Grippe eingefangen? Dein

Gesicht ist schwei?nass.«

»Ich habe mir vielleicht etwas eingefangen, aber sonst geht es mir prima«, sagte ich. »Geh, Percy,

und berichte dem Direktor, was passiert ist«

Er nickte und ging - Gott sei Dank fur diese kleinen Gefalligkeiten. Als die Tur hinter ihm ins Schloss

fiel, rannte ich in mein Buro. Es verstie? gegen die Vorschriften, das Wachpult unbesetzt zu lassen,

aber das interessierte mich jetzt nicht. Die Schmerzen waren wieder so schlimm wie am Morgen.

Ich schaffte es, in die kleine Toilettenkabine hinten in meinem Buro zu gelangen und mein Ding aus

der Hose zu holen, bevor der Urin hervorstromte, aber es war knapp. Ich musste eine Hand auf den

Mund pressen, um einen Schrei zu unterdrucken, als der Strahl zu flie?en begann, und mit der

anderen Hand griff ich blindlings nach dem Waschbecken, um mich abzustutzen. Es war nicht wie bei

mir zu Hause, wo ich neben dem Holzstapel beim Plumpsklo auf die Knie fallen und eine Lache pinkeln

konnte, die im Boden versickerte; hier wurde der Urin uber den ganzen Boden laufen.

Es gelang mir, mich auf den Beinen zu halten und nicht zu schreien, aber beides schaffte ich nur

knapp. Ich hatte das Gefuhl, dass mein Urin mit winzigen Glassplittern durchsetzt war. Der Geruch,

der aus der Toilette aufstieg, war widerlich, und ich sah etwas Wei?es - Eiter, nehme ich an - oben

auf dem Wasser schwimmen.

Ich nahm das Handtuch vom Halter und wischte mir das Gesicht ab. Ja, ich schwitzte; der Schwei?

stromte nur so aus mir heraus. Ich schaute in den Spiegel und sah das Gesicht eines Mannes mit

hohem Fieber. Vierzig Grad? Einundvierzig? Vielleicht besser, es nicht zu wissen. Ich hangte das

Handtuch zuruck, betatigte die Wasserspulung und ging langsam zuruck durch mein Buro zur Tur des

Zellentrakts. Ich befurchtete, Bill Dodge oder sonst jemand konnte aufgetaucht sein und gesehen

haben, dass drei Gefangene unbeaufsichtigt waren, aber es war niemand da. Wharton lag immer noch

bewusstlos auf seiner Pritsche, Delacroix war wieder still, und John Coffey hatte uberhaupt keinen

einzigen Laut von sich gegeben, wie mir plotzlich auffiel. Keinen Piepser. Das war beunruhigend.

Ich ging uber die Green Mile hinunter und spahte in Coffeys Zelle, erwartete fast zu entdecken, dass

er Selbstmord auf eine der beiden ublichen Weisen im Todestrakt begangen hatte - sich entweder mit

seiner Hose aufgehangt oder sich die Pulsadern aufgebissen hatte.

Nichts von beidem, wie sich herausstellte. Coffey sa? nur auf dem Ende seiner Pritsche und hielt die

Hande im Scho?. Der gro?te Mann, den ich je gesehen hatte, schaute mich mit seinen sonderbaren

feuchten Augen an.

»Captain?« fragte er.

»Was ist los, gro?er Junge?«

»Ich muss Sie sehen.«

»Siehst du mich nicht direkt vor dir, John Coffey?«

Er sagte nichts dazu, musterte mich nur weiter mit seinem merkwurdigen feuchten Blick. Ich seufzte.

»Gleich, gro?er Junge.«

Ich schaute hinuber zu Delacroix, der an den Gitterstaben seiner Zelle stand. Mr. Jingles, seine

geliebte Maus (Delacroix wurde behaupten, dass er Mr. Jingles Tricks beigebracht hatte, aber wir, die

auf der Green Mile arbeiteten, waren ziemlich einhellig der Meinung, dass Mr. Jingles sich selbst

dressiert hatte), sprang von Dels einem ausgestreckten Arm auf den anderen, hin und her, wie ein

Akrobat hoch oben in der Zirkuskuppel von einer Plattform auf die andere springt Seine Augen waren

riesig, die Ohren waren an seinen schlanken grauen Schadel angelegt Fur mich gab es keinen Zweifel,

dass die Maus auf Delacroix' Nerven reagierte. Wahrend ich sie beobachtete, flitzte sie an seinem

Hosenbein hinab und durch die Zelle zu der leuchtendbunt bemalten Rolle, die vor einer Wand lag. Die

Maus schob die Rolle bis zu Delacroix' Fu? und schaute eifrig zu ihm auf, doch der kleine Cajun

schenkte seinem Freund keine Beachtung, jedenfalls im Augenblick nicht

»Was war los, Boss?« fragte Delacroix. »Wer sich verletzen? Ich 'abe nicht konnen sehen.«

»Alles ist bestens«, erwiderte ich. »Unser neuer Junge kam herein wie ein Lowe, aber jetzt schlaft er

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