wie ein Lamm. Ende gut alles gut«
»Ist noch nicht voruber«, sagte Delacroix und schaute den Gang entlang in Richtung von Whartons
Zelle. »L'fromme mauvais, c'est vrai!«
»Keine Sorge, Del«, antwortete ich beruhigend. »Niemand wird von dir verlangen, dass du auf dem Hof mit ihm seilspringst«
Hinter mir knarrte es, als Coffey von seiner Pritsche aufstand. »Boss Edgecombe«, sagte er. Diesmal klang es drangend. »Ich muss mit Ihnen reden!«
Ich wandte mich ihm zu. Okay, kein Problem, dachte ich, Reden gehort zu meinem Job. Und die ganze Zeit bemuhte ich mich, nicht zu zittern, denn ich fror trotz des Fiebers. Abgesehen von meinem Unterleib. Ich hatte immer noch das Gefuhl, er sei aufgeschlitzt, mit gluhenden Kohlen gefullt und wieder zugenaht worden.
»Also rede, John Coffey«, sagte ich und bemuhte mich um einen unbeschwerten und ruhigen Tonfall. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Block E wirkte Coffey, als ware er wirklich hier, tatsachlich unter uns. Der fast stetige Tranenfluss aus seinen Augenwinkeln war versiegt, wenigstens vorubergehend, und ich wusste, dass er sah, was er anschaute - Mr. Paul Edgecombe, Boss der Warter von Block E -, und nicht irgendeinen Ort, an den er zuruckzukehren wunschte, um das Schreckliche, was er getan hatte, ungeschehen zu machen. »Nein«, sagte er, »Sie mussen hier rein kommen.«
»Du wei?t, dass ich das nicht tun kann«, erwiderte ich, immer noch um einen lockeren Tonfall bemuht, »wenigstens nicht in diesem Augenblick. Ich bin vorubergehend allein hier, und du bist mindestens anderthalb Tonnen schwerer als ich. Wir hatten heute schon Theater, und das reicht. Also werden wir einfach einen Plausch durch die Gitterstabe halten, wenn es dir nichts ausmacht, und...«
»Bitte!« Er umklammerte die Gitterstabe so fest, dass seine Knochel und die Fingernagel wei? wurden. Sein Gesicht war tiefbetrubt, und diese sonderbaren Augen spiegelten ein 'Verlangen wieder, das ich nicht verstehen konnte. Ich erinnere mich, dass ich dachte, ich hatte es vielleicht verstehen konnen, wenn ich nicht so krank gewesen ware, und dass ich ihm dann hatte helfen konnen. Wenn man wei?, was ein Mensch braucht, dann kennt man den Menschen meistens. »Bitte, Boss Edgecombe! Sie mussen reinkommen«
Das ist das Verruckteste, das ich je gehort habe, dachte ich, und dann wurde mir etwas noch Verruckteres klar Ich wurde es tun. Ich nahm mein Schlusselbund vom Gurtel und suchte nach dem Schlussel fur John Coffeys Zelle. Er hatte mich sogar schnappen und wie Brennholz uber dem Knie zerbrechen konnen, wenn ich gut drauf gewesen ware und mich prima gefuhlt hatte, aber das war an diesem Tag nicht der Fall. Trotzdem wurde ich es tun. Weniger als eine halbe Stunde nach der anschaulichen Demonstration, wohin Blodheit und Laxheit fuhren konnen, wenn man es mit zum Tode verurteilten Mordern zu tun hat, wurde ich die Zelle dieses schwarzen Riesen allein offnen, eintreten und mich zu ihm setzen. Wenn das jemand sah, konnte ich meinen Job verlieren, auch wenn Coffey nichts Verrucktes anstellte, aber ich wurde es trotzdem tun.
Halt, sagte ich mir, sei vernunftig, Paul. Aber ich war es nicht. Ich benutzte einen Schlussel fur das obere Schloss, einen anderen fur das untere, dann schob ich die Tur in ihrer Schiene zur Seite. »Wissen Sie, Boss, das sein vielleicht keine so gute Idee«, meinte Delacroix so nervos und besorgt, dass ich unter anderen Umstanden vielleicht daruber gelacht hatte.
»Kummere dich um deine Angelegenheiten, und ich kummere mich um meine«, sagte ich, ohne mich zu ihm umzuschauen. Mein Blick war starr auf John Coffeys Augen gerichtet und ich hatte das Gefuhl, dass meine Augen wie festgenagelt waren. Es war, als wurde ich hypnotisiert. Meine Stimme klang in meinen Ohren wie ein Echo, das durch ein langes Tal hallt Holle und Teufel, ich wurde vielleicht tatsachlich hypnotisiert »Leg dich einfach hin, Del, und ruh dich aus.« »O 'err im 'immel, diese Knast ist verruckt«, sagte Delacroix mit bebender Stimme. »Mr. Jingles, ich fast wunsche, sie braten mich, und ich 'abe es 'inter mir!«
Ich ging in Coffeys Zelle. Er wich zuruck, als ich naher trat. Als er gegen seine Pritsche stie? - mit den Waden, so gro? war er -, setzte er sich darauf. Er klopfte auf die Matratze neben sich, und sein Blick lie? mich nicht los. Ich setzte mich neben ihn, und er legte einen Arm um meine Schultern, als waren wir im Kino und ich ware sein Madchen.
»Was willst du, John Coffey?« fragte ich und schaute immer noch in seine Augen - in diese traurigen, ernsten Augen.
»Ich will nur helfen«, sagte Coffey. Er seufzte wie jemand, der sich mit einer Aufgabe konfrontiert sieht die er nicht gern erledigt und dann beruhrte er mich in meinem Schritt, gerade oberhalb meines Penis, auf dem Knochen, der eine Handbreite unter dem Nabel liegt »Hey!« rief ich. »Nimm deine verdammte Hand...«
In diesem Augenblick durchfuhr mich etwas wie ein Blitzschlag, ein starker, aber nicht schmerzhafter Schlag. Ich machte einen Satz auf der Pritsche und krummte mich, und ich musste daran denken, wie der alte TootToot sich bei unserer Probe auf dem hei?en - in diesem Fall noch kalten - Stuhl aufgebaumt und gejohlt hatte. »Ich brate, ich brate, ich bin ein gebratener Truthahn!«
Ich fuhlte keine Hitze, keine Elektrizitat, aber fur einen Moment schien alles die Farbe zu verlieren, als ob die Welt irgendwie ausgequetscht und zum Schwitzen gebracht wurde. Ich konnte jede Pore in John Coffeys Gesicht sehen, ich konnte jedes geplatzte Aderchen in seinen jetzt gehetzt blickenden Augen sehen, ich konnte einen winzigen heilenden Kratzer auf seinem Kinn sehen. Mir wurde bewusst, dass meine Hande, wie Krallen gekrummt, erhoben waren und meine Fu?e auf den Boden von Coffeys Zelle trommelten.
Dann war es voruber. Ebenso wie meine Blaseninfektion. Die Hitze und der elende pochende Schmerz waren aus meinem Unterleib verschwunden, und das Fieber war auch fort aus meinem Kopf. Ich spurte noch den Schwei?, den das Fieber aus meiner Haut gesogen hatte, ich konnte ihn auch riechen, aber es war voruber.
»Was ist los?« rief Delacroix schrill. Seine Stimme klang immer noch wie aus weiter Ferne, aber als sich John Coffey vorneigte, den Blickkontakt mit mir brach, klang die Stimme des kleinen Cajun plotzlich laut und klar. Es war, als ob mir jemand Wattepfropfen aus den Ohren gezogen hatte. »Was macht er mit Ihnen?«
Ich gab keine Antwort. Coffey hatte sich vorgebeugt, in seinem Gesicht arbeitete es, und sein Hals wirkte angeschwollen. Die Augen quollen fast aus den Hohlen. Er wirkte wie ein Mann, dem ein Huhnerknochen in der Kehle stecken geblieben ist »John!« sagte ich. Ich klopfte ihm auf den Rucken, das war alles, was mir einfiel. »John, was ist los?«
Er zuckte unter der Beruhrung meiner Hand zusammen. Dann stie? er einen unangenehmen wurgenden Laut aus. Sein Mund offnete sich, wie manchmal Pferde das Maul offnen, um widerstrebend das Zaumzeug zuzulassen - die Lippen in einer Art verzweifeltem, hohnischem Grinsen von den Zahnen zuruckgezogen. Dann offneten sich auch seine Zahnreihen, und er atmete eine Wolke winziger schwarzer Insekten aus, die wie Mucken aussahen. Das dachte ich jedenfalls damals. Sie schwirrten wild zwischen seinen Knien, wurden wei? und verschwanden. Plotzlich wich alle Kraft aus meinem Unterleib. Es kam mir vor, als waren die Muskeln zu Wasser geworden. Ich sank zuruck gegen die Wand von Coffeys Zelle. Ich erinnere mich, dass ich an den Namen des Erlosers dachte - Christus, Christus, Christus, immer wieder -, und ich wei? noch, dass ich dachte, das Fieber hatte mich ins Delirium getrieben. Das war alles.
Dann wurde mir bewusst, dass Delacroix, so laut er konnte, um Hilfe brullte; er teilte der Welt mit, dass John Coffey dabei war, mich zu toten. Sicher, Coffey neigte sich uber mich, aber nur, um sich zu vergewissern, dass mit mir alles in Ordnung war.
»Halt die Klappe, Del«, sagte ich und stand auf. Ich wartete auf den Schmerz, der wieder durch meinen Unterleib schie?en wurde, doch das war nicht der Fall. Mir ging es besser. Wirklich. Ich war noch einen Moment benommen, aber die Benommenheit lie? schon nach, bevor ich mich an einen Gitterstab der Zellentur klammern konnte, um mich zu stutzen. »Mir geht es prima.« »Sie sollten rausgehen«, sagte Coffey und klang wie eine nervose alte Frau, die einem Lausebengel rat, vom Apfelbaum runterzuklettern. »Sie sollten hier nicht drin sein, wenn sonst niemand im Block ist«
Ich schaute John Coffey an, der auf der Pritsche sa? und seine gewaltigen Hande auf die baumstumpfartigen Knie stutzte. John Coffey erwiderte meinen Blick. Er musste den Kopf ein wenig anheben, aber nicht viel.
»Was hast du gemacht, gro?er Junge?« fragte ich leise. »Was hast du mit mir gemacht?« »Geholfen«, sagte er. »Ich habe geholfen, nicht wahr?« »Ja, das nehme ich an, aber wie? Wie hast du mir geholfen?«
Er schuttelte den Kopf auf seine typische Art nach rechts, nach links und zuruck zur Mitte. Er wusste nicht, wie er mir geholfen hatte (wie er mich geheilt hatte), und seine gelassene Miene lie? darauf schlie?en, dass es ihm auch vollig gleichgultig war - so gleichgultig, wie mir die Mechanik des Laufens war, wenn ich auf den letzten funfzig Yard bei einem 4. Juli-Lauf uber zwei Meilen fuhrte. Ich spielte mit dem Gedanken, ihn zu fragen, woher er uberhaupt gewusst hatte, dass ich krank gewesen war, doch er hatte zweifellos mit dem gleichen Kopfschutteln geantwortet