gequetscht hatte, und an meinen Fingern klebte Butter - nun, naturlich Margarine, es gab hier keine Butter.

»Geh rein und wasch dir deine verdammten Pfoten«, sagte er, trat zuruck und biss einen Happen von seinem Blatterteigteilchen ab. »Mein Gott«

Ich ging die Treppe hinauf. Meine Beine zitterten, und mein Herz hammerte wie ein Motor mit undichten Ventilen und wackelnden alten Kolben. Als ich die Hand auf den Turgriff legte und in die Kuche - und in die Sicherheit - gehen wollte, sagte Dolan: »Wenn du jemandem erzahlst dass ich dein armes altes Handchen gequetscht habe, sage ich, dass du spinnst. Beginn seniler Demenz wahrscheinlich. Und du wei?t, dass man mir glauben wird. Wenn du blaue Flecken kriegst wird man denken, du hast sie dir selbst zugefugt«

Ja. Das stimmte. Und wieder einmal hatte Percy Wetmore das sagen konnen, ein Percy, der irgendwie jung und gemein geblieben war, wahrend ich alt und gebrechlich geworden war. »Ich sage keinem etwas«, murmelte ich. »Es gibt nichts zu sagen.«

»So ist es richtig, Opa.« Sein Tonfall war leicht und spottisch, der Tonfall eines Arschlochs (um Percys Wort zu benutzen), das dachte, es werde ewig jung bleiben. »Und ich werde alles daran setzen herauszufinden, was du da treibst. Hast du gehort?«

Ja, ich hatte es gehort, aber ich wollte ihm nicht die Genugtuung geben, es zu bestatigen. Ich ging in die Kuche, durchquerte sie (ich roch jetzt Eier und Wurstchen, aber der Appetit war mir vergangen) und hangte den Poncho auf den Haken. Dann ging ich nach oben auf mein Zimmer -machte bei jeder Treppenstufe eine Pause, damit sich mein Pulsschlag beruhigen konnte -und sammelte mein Schreibmaterial zusammen.

Anschlie?end ging ich hinunter ins Solarium. Ich hatte mich gerade an den kleinen Tisch beim Fenster gesetzt, als meine Freundin Elaine den Kopf zur Tur hereinsteckte. Sie sah mude und unpasslich aus, wie ich fand. Sie hatte ihr Haar gekammt, war aber noch im Morgenmantel. Wir alten Schatzchen halten nicht viel von Formlichkeiten; meistens konnen wir sie uns nicht erlauben. »Ich will dich nicht storen«, sagte sie. »Ich sehe, du willst schreiben ...« »Sei nicht albern«, sagte ich. »Ich habe mehr Zeit, als Carter Leberpillen hat. Komm herein.« Sie trat ein, blieb jedoch bei der Tur stehen. »Ich konnte einfach nicht schlafen - wieder mal - und schaute vor einiger Zeit zufallig aus dem Fenster ... und ...«

»Und du sahst Mr. Dolan und mich bei unserem freundlichen kleinen Plausch.« Ich hoffte, sie hatte nur zugesehen und bei geschlossenem Fenster nicht gehort, dass ich gewinselt hatte, um losgelassen zu werden.

»Es sah nicht freundlich aus«, sagte sie. »Paul, dieser Mr. Dolan hat sich uber dich erkundigt. Er hat mich uber dich ausgefragt - in der vergangenen Woche war das. Ich habe mir zuerst nicht viel dabei gedacht nur dass er seine hassliche lange Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten stecken soll, aber jetzt mache ich mir Gedanken.«

»Er hat sich nach mir erkundigt?« Ich hoffte, dass es nicht so besorgt klang, wie ich mich fuhlte. »Was wollte er denn wissen?«

»Wohin du spazierst zum Beispiel. Lind warum du spazieren gehst«

Ich lachte gezwungen. »Das ist ein Mann, der nichts von Korperertuchtigung halt, soviel ist klar.« »Er denkt, du hast ein Geheimnis.« Sie musterte mich. »Lind ich denke das auch.« Ich offnete den Mund - was ich sagen wollte, wei? ich nicht -, aber Elaine hob eine ihrer knorrigen, jedoch sonderbar schonen Hande, bevor ich ein einziges Wort herausbringen konnte. »Wenn du eins hast, will ich nicht wissen, was es ist Paul. Deine Angelegenheiten gehen mich nichts an. Ich wurde erzogen, so zu denken, aber nicht jeder lernt dass man sich nicht in anderer Leute Dinge einmischt. Sei vorsichtig. Das ist alles, was ich dir sagen will. Und jetzt lasse ich dich allein, damit du arbeiten kannst«

Sie wandte sich um und ging, doch bevor sie durch die Tur war, rief ich ihren Namen. Sie drehte sich mir zu und schaute mich fragend an.

»Wenn ich fertig habe, was ich schreibe ...«, begann ich und schuttelte dann leicht den Kopf. Das war falsch formuliert »Falls ich zu Ende bringe, woran ich schreibe, wurdest du es lesen?« Sie uberlegte anscheinend, und dann schenkte sie mir die Art Lacheln, bei der ein Mann sich leicht verlieben kann, sogar wenn er so alt ist wie ich. »Das ware mir eine Ehre.«

»Warte lieber, bis du es gelesen hast bevor du von Ehre sprichst«, sagte ich und dachte an Delacroix' Tod.

»Ich werde es lesen«, sagte sie. »Jedes Wort Ich verspreche es.

Doch du musst es vorher zu Ende schreiben.« Sie lie? mich allein, damit ich arbeiten konnte, doch es dauerte lange, bis ich irgend etwas schrieb.

Ich sa? fast eine Stunde lang da und starrte aus dem Fenster, klopfte mit meinem Kugelschreiber an die Tischseite und beobachtete, wie sich der graue Tag allmahlich ein wenig aufhellte. Ich dachte uber Brad Dolan nach, der mich Paulie nennt und stets Witze uber Schlitzaugen und Nigger und Itaker und Iren macht, und ich dachte an Elaine Connellys Worte. Er denkt, du hast ein Geheimnis. Ich denke das auch.

Und vielleicht habe ich eins. Ja, vielleicht stimmt es. Und naturlich will Brad Dolan es wissen. Nicht weil er meint, es sei wichtig (das ist es nur fur mich, nehme ich an), sondern weil er der Ansicht ist, sehr alte Manner wie ich sollten keine Geheimnisse haben. Sie sollten keine Ponchos vom Haken vor der Kuche nehmen und auch keine Geheimnisse haben. Unsereins sollte nicht auf den Gedanken kommen, dass wir noch Menschen seien. Und warum sollte man uns solch einen Gedanken nicht erlauben? Brad Dolan wei? nichts. Und darin ist er ebenfalls wie Percy.

Meine Gedanken kehrten schlie?lich wie ein Fluss nach einer langen Biegung dorthin zuruck, wo sie gewesen waren, als Brad Dolan mich am Handgelenk gepackt hatte: zu Percy, dem bosartigen Percy Wetmore, und wie er sich an dem Mann geracht hatte, der ihn ausgelacht hatte. Delacroix hatte die bunte Spule geworfen - Mr. Jingles wurde sie holen -, und sie prallte von der Wand ab und hupfte durch die Gitterstabe der Zelle auf den Gang. Da sah Percy seine Chance.

2

»Nein, du Narr!« brullte Brutal, aber Percy horte nicht auf ihn. Gerade als Mr. Jingles die Spule

erreichte - zu sehr darauf konzentriert, um zu bemerken, dass sein alter Feind in der Nahe war -,

stampfte Percy mit der Sohle eines harten schwarzen Arbeitsschuhs auf ihn. Es knackte, als Mr.

Jingles' Ruckgrat brach, und Blut schoss aus seinem Mund. Seine kleinen schwarzen Augen quollen

aus den Hohlen, und ich sah darin einen Ausdruck von Uberraschung und Qual, der nur allzu

menschlich war.

Delacroix schrie vor Entsetzen und Trauer. Er warf sich an die Tur seiner Zelle, streckte die Arme so

weit, wie er konnte, durch die Gitterstabe und schrie immer wieder den Namen der Maus.

Percy wandte sich ihm zu und lachelte. Er wandte sich auch zu mir und Brutal. »Ich wusste, dass ich

ihn fruher oder spater erwische. War wirklich nur eine Frage der Zeit« Dann machte er kehrt und

stolzierte uber die Green Mile davon, wahrend Mr. Jingles auf dem grunen Linoleum lag, das sich mit

seinem Blut farbte. Dean erhob sich hinter dem Wachpult stie? mit dem Knie an und warf das

Cribbage-Markierbrett vom Pult. Die Pins flogen aus ihren Lochern und rollten in alle Richtungen.

Weder Dean noch Harry, der gerade ausgeschieden war, beachteten das umgekippte Spiel.

»Was hast du diesmal getan?« schrie Dean Percy an. »Was, zum Teufel, war es diesmal, du bloder

Stumper?« Percy gab keine Antwort. Er stolzierte wortlos an dem Pult vorbei und strich sein Haar mit

den Fingern glatt. Er ging durch mein Buro und in den Vorratsraum. William Wharton

antwortete an seiner Stelle. »Boss Dean? Ich glaube, er hat einem gewissen Pommes frites gezeigt,

dass es nicht klug ist, ihn auszulachen«, sagte er, und dann begann er selbst zu lachen. Es war ein

gutes Lachen, ein Country-Lachen, frohlich und tief. Ich habe wahrend dieser Zeit meines Lebens

Menschen kennen gelernt (meistens sehr unheimliche Leute), die nur normal klangen, wenn sie

lachten. Wild Bill Wharton war einer dieser Typen.

Ich schaute wieder benommen auf die Maus. Mr. Jingles atmete noch, aber winzige Blutperlen hatten

sich in seinen Barthaaren verfangen, und in die zuvor glanzenden schwarzen Augen schlich sich eine

dumpfe Trubung. Brutal hob die bunte Rolle auf, schaute darauf und sah dann mich an. Er wirkte so

betaubt, wie ich mich fuhlte. Hinter uns schrie Delacroix seine Trauer und sein Entsetzen hinaus. Es

ging naturlich nicht nur um die Maus; Percy hatte ein Loch in Delacroix' Abwehrmechanismus

geschlagen, und all sein Entsetzen stromte heraus. Aber Mr. Jingles war der Mittelpunkt fur diese

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