»Ich wusste nicht, dass der Schwamm nass sein soll«, sagte Percy mit der Stimme eines Roboters.
»Er war bei den Proben nie nass.«
Dean blickte ihn angeekelt an. »Wie viele Jahre hast du auf die Klobrille gepinkelt, bis dir jemand
gesagt hat, dass du sie vorher hochklappen sollst?« schnarrte er.
Percy offnete den Mund zu einer Erwiderung, doch ich riet ihm, die Schnauze zu halten.
Erstaunlicherweise tat er es. Ich wandte mich an Anderson.
»Percy hat Mist gebaut, Curtis - das ist passiert, schlicht und einfach.« Ich wandte mich Percy zu, und
mein Blick warnte ihn, mir nur ja nicht zu widersprechen. Das tat er nicht, vielleicht weil er in meinen
Augen las: Es war besser, wenn Anderson
was hier unten im Tunnel gesagt wurde. Was zahlte, was stets bei den Percy Wetmores dieser Welt
zahlt, war das, was schriftlich festgehalten oder den hohen Tieren zu Gehor gebracht wurde - den
Leuten, die wichtig waren.
Andersen sah uns funf unsicher an. Er blickte sogar zu Delacroix, aber Del sagte naturlich nichts.
»Ich nehme an, es hatte schlimmer sein konnen«, sagte Anderson.
»Das ist richtig«, pflichtete ich ihm bei. »Er konnte noch am Leben sein.«
Curtis blinzelte - diese Moglichkeit war ihm anscheinend noch nicht in den Sinn gekommen.
»Ich will morgen einen kompletten Bericht uber diesen Vorfall auf meinem Schreibtisch haben«, sagte
er. »Und keiner von euch redet mit Direktor Moores daruber, bis ich Gelegenheit dazu hatte.
Verstanden?« Wir nickten heftig. Wenn Curtis Anderson es dem Direktor verklickern wollte, war uns
das nur recht.
»Wenn nur keiner dieser Schreiberlinge es in die Zeitungen bringt...«
»Das werden sie nicht«, sagte ich. »Wenn sie es versuchen, werden ihre Chefredakteure es
abwurgen. Zu grausam als Familienlekture. Aber sie werden es nicht mal versuchen - sie waren heute
Nacht alle geschockt. Manchmal laufen Dinge schief, das ist alles. Das wissen sie so gut wie wir.«
Anderson dachte daruber nach und nickte dann. Er wandte sich Percy zu, und ein angewiderter
Ausdruck war auf seinem fur gewohnlich freundlichen Gesicht.
»Sie sind ein kleines Arschloch«, sagte er, »und ich kann Sie kein bisschen leiden.« Er nickte
zufrieden, als er Percys entgeisterte Miene sah. »Und wenn Sie Ihren hochgestochenen Freunden
erzahlen, dass ich das gesagt habe, dann werde ich es leugnen, bis Tante Rhodys alte graue Gans
wieder zum Leben erwacht und diese Manner werden fur mich eintreten. Sie haben ein Problem,
Sohn.«
Er machte kehrt und stieg die Treppe hinauf. Ich lie? ihn vier Stufen hinaufgehen und sagte dann:
»Curtis?«
Er blieb stehen und wandte sich mit erhobenen Augenbrauen um, ohne etwas zu sagen.
»Sie brauchen sich wegen Percy keine Sorgen zu machen«, sagte ich. »Er lasst sich bald nach Briar
Ridge versetzen. Dort hat er gro?ere und bessere Aufgaben. Nicht wahr, Percy?«
»Sobald sein Versetzungsgesuch genehmigt ist«, lugte Brutal hinzu.
»Und bis dahin meldet er sich jede Nacht krank«, warf Dean ein.
Das erregte Percys
anzusammeln, die bei Krankmeldungen verrechnet wurde. Er schaute Dean angewidert an.
»Davon kannst du traumen.«
6
Wir waren um viertel nach eins wieder im Block (mit Ausnahme von Percy, der den Hinrichtungsraum
saubermachen musste und den Job murrisch erledigte), und ich musste einen Bericht schreiben. Ich
entschloss mich, es am Wachpult zu tun; wenn ich mich auf meinen bequemen Burostuhl setzte,
wurde ich wahrscheinlich eindosen. Das kommt Ihnen vielleicht angesichts dessen, was erst vor einer
Stunde geschehen war, merkwurdig vor, aber ich hatte das Gefuhl, seit elf Uhr in der vergangenen
Nacht drei Leben gelebt zu haben, alle ohne Schlaf.
John Coffey stand an seiner Zellentur, und Tranen rannen aus seinen Augen, die sonderbar wie in
weite Ferne blickten - es war, als liefe Blut aus einer unheilbaren, aber sonderbar schmerzlosen
Wunde. Naher zum Pult sa? Wharton auf seiner Pritsche, wiegte sich hin und her und sang ein Lied,
das er offenbar erfunden hatte und das nicht mal ganz blodsinnig war. Soweit ich mich erinnere, ging
es so:
Grill-Party, Dabbadabbadu
Stinke, stinke, puh-puh-puh!
Es war nicht Billy oder Philadelphia Philly,
Es war nicht Jackie oder Rourke!
Es war ein kleiner Warmer, eine hei?e Gurke
Mit Namen Delacroix, hahaha!
»Halt die Klappe, du Blodmann«, sagte ich. Wharton grinste und zeigte seine absterbenden
Zahne.
»Komm her, wenn du was auf die Nase haben willst, oder traust du dich nicht?«
Und dann begann er einen anderen Vers des >Grillparty-Songs< und reimte nicht ganz so blindlings.
Dort in der Zelle war was los, das muss ich sagen. Eine Art unreife und widerliche Intelligenz, die - auf
ihre Weise - fast brillant war.
Ich ging zu John Coffey. Er wischte sich seine Tranen mit dem Handballen fort. Seine Augen waren rot
und wirkten wie entzundet, und er sah aus, als ware er ebenfalls erschopft. Ich wei? nicht, warum er
das hatte sein sollen, ein Mann, der vielleicht zwei Stunden uber den Hof schlurfte und den Rest der
Zeit in seiner Zelle sa? oder lag, aber ich bezweifelte nicht, was ich sah. Es war zu deutlich.
»Armer Del«, sagte er mit leiser, heiserer Stimme. »Armer alter Del.«
»Ja«, sagte ich. »Armer alter Del. John, bist
»Er hat es hinter sich«, sagte Coffey. »Del hat es hinter sich, nicht wahr, Boss?«
»Ja. Beantworte meine Frage, John. Bist du Okay?«
»Del hat es hinter sich, er ist der Gluckliche. Ganz gleich, wie es geschah, er ist der Gluckliche.«
Ich dachte, Delacroix hatte ihm da widersprochen, aber das sagte ich nicht. Statt dessen spahte
ich in Coffeys Zelle. »Wo ist Mr. Jingles?«
»Ist dort runter gerannt« Coffey wies durch die Gitterstabe den Gang hinunter zur Tur der
Gummizelle. Ich nickte. »Nun, er wird zuruckkommen.«
Aber das war nicht der Fall; Mr. Jingles' Tage auf der Green Mile waren voruber. Die einzige Spur von
ihm, auf die wir jemals stie?en, war das, was Brutal in diesem Winter fand: ein paar bunte Holzsplitter
und der Geruch von Pfefferminzbonbons, der aus einem Loch in einem Balken drang.
Ich wollte dann fortgehen, aber ich tat es nicht. Ich schaute John Coffey an, und er sah mich an, als
wusste er alles, was ich dachte. Eine innere Stimme forderte mich auf, wegzugehen, zum Wachpult
zuruckzukehren und meinen Bericht zu schreiben. Statt dessen sagte ich seinen Namen:
»John Coffey.«
»Ja, Boss?« erwiderte er sofort.
Manchmal ist man dazu verdammt, etwas unbedingt wissen zu wollen, und so war es mit mir in
diesem Augenblick. Ich lie? mich auf ein Knie sinken und zog einen meiner Schuhe aus.
z
Der Regen hatte aufgehort, als ich heimkehrte, und ein spater, grinsender Mond tauchte uber den Hugeln im Norden auf. Meine Schlafrigkeit war anscheinend mit den Wolken verschwunden. Ich war hellwach, und ich konnte Delacroix an mir riechen. Ich dachte, dass ich ihn auf meiner Haut -Grillparty, stinke stinke, puh-puh-puh - noch lange riechen wurde. Janice war noch auf und erwartete mich wie immer in Hinrichtungsnachten. Ich wollte ihr die Geschichte nicht erzahlen, sah keinen Sinn darin, sie damit zu qualen, doch sie sah mein Gesicht, als ich die Kuche betrat und wollte alles wissen. So setzte ich mich hin, nahm ihre warmen Hande in meine kalten (die Heizung in meinem alten Ford funktionierte kaum, und seit dem Gewitter war die Temperatur stark gesunken) und erzahlte