Brad Dolan trat einen Schritt auf sie zu und wirkte unsicher und entsetzlich wutend zugleich. Ich hielt

das fur eine gefahrliche Kombination, aber Elaine zuckte mit keiner Wimper, als er sich naherte. »Ich

wette, ich wei?, wer diesen verdammten Rauchmelder ausgelost hat«, sagte Dolan. »Das kann nur

eine gewisse alte Hexe mit Klauen als Handen gewesen sein. Und jetzt hau ab. Ich und Paulie haben

unseren kleinen Plausch noch nicht beendet«

»Sein Name ist Mr. Edgecombe«, sagte Elaine, »und wenn ich jemals hore, dass Sie ihn wieder Paulie

nennen, dann kann ich Ihnen versprechen, dass Ihre Tatigkeit hier in Georgia Pines enden wird, Mr.

Dolan.«

»Fur wen halten Sie sich?« fragte Brad. Er ragte uber ihr auf, versuchte zu lacheln und schaffte es

nicht ganz.

»Ich bin die Gro?mutter des Mannes, der gegenwartig Prasident des Reprasentantenhauses

von Georgia ist«, sagte Elaine ruhig. »Ein Mann, der seine Verwandten liebt, Mr. Dolan. Besonders

seine alteren Verwandten.«

Das gezwungene Lacheln verschwand von seinem Gesicht, wie etwas von einer Tafel verschwindet,

das mit einem nassen Schwamm weggewischt wird. Ich sah Unsicherheit, den Gedanken, dass sie

bluffte, die Furcht, dass es kein Bluff war, und eine logische Schlussfolgerung: Es wurde leicht genug

sein, das zu uberprufen, das musste sie wissen, und folglich sagte sie die Wahrheit.

Plotzlich begann ich zu lachen, und obwohl es ein bisschen rostig klang, war es ein richtiges Lachen.

Ich erinnerte mich, wie oft Percy Wetmore uns in den schlechten alten Tagen mit seinen Beziehungen

gedroht hatte. Jetzt wurde zum ersten Mal in meinem langen, langen Leben wieder eine solche

Drohung ausgesto?en ..., aber diesmal zu meinen Gunsten.

Brad Dolan warf mir einen wutenden Blick zu und schaute dann wieder Elaine an.

»Es ist mein Ernst«, sagte Elaine. »Zuerst wollte ich Sie einfach gewahren lassen - ich bin alt und Sie

zu ignorieren schien am leichtesten. Aber wenn meine Freunde bedroht und misshandelt werden,

dann bleibe ich nicht untatig. Und jetzt verschwinden Sie. Ohne ein weiteres Wort«

Seine Lippen bewegten sich wie die eines Fischs - oh, wie gern hatte er dieses eine weitere Wort

gesagt (vielleicht eines, das sich auf Hexe oder Rotze reimte). Aber er sagte es nicht. Er schaute mich

noch einmal an, und dann schritt er an ihr vorbei und hinaus in die Halle.

Ich atmete mit einem langen, abgehackten Seufzen auf. Elaine stellte das Tablett vor mir ab und

setzte sich mir gegenuber. »Ist dein Enkel tatsachlich Prasident des Reprasentantenhauses?« fragte

ich.

»Das ist er tatsachlich.«

»Was machst du dann hier?«

»Als Prasident des Reprasentantenhauses ist er machtig genug, um mit einer Schabe wie Brad Dolan

fertig zu werden, aber das macht ihn nicht reich«, sagte sie und lachte. »Au?erdem gefallt es mir hier.

Ich liebe die Gesellschaft.«

»Ich betrachte das als Kompliment«, sagte ich, und so war es auch.

»Paul, ist mit dir alles in Ordnung? Du siehst so mude aus.« Elaine neigte sich uber den Tisch und

strich mir das Haar aus der Stirn. Ihre Finger waren knorrig, doch die Beruhrung war kuhl und

wunderbar. Ich schloss fur einen Moment die Augen. Als ich sie wieder offnete, hatte ich eine

Entscheidung gefallt.

»Alles in Ordnung«, sagte ich. »Und fast fertig. Elaine, wurdest du etwas lesen?« Ich hielt ihr die

Seiten hin, die ich zusammengerafft hatte. Sie waren vermutlich nicht mehr in der richtigen

Reihenfolge - Dolan hatte mir einen riesigen Schrecken eingejagt -, aber sie waren nummeriert, und

Elaine konnte sie schnell sortieren.

Sie schaute mich nachdenklich an, ohne die Seiten zu nehmen. Jedenfalls noch nicht. »Bist du fertig?«

»Du wirst bis zum Nachmittag brauchen, um zu lesen, was fertig ist«, sagte ich. »Wenn du es

uberhaupt entziffern kannst, hei?t das.«

Jetzt nahm Elaine die Seiten und schaute sie an. »Du hast eine sehr schone Handschrift, obwohl

diese Hand offensichtlich mude ist«, sagte sie. »Damit werde ich keine Schwierigkeiten haben.«

»Wenn du fertig gelesen hast, werde ich den Rest geschrieben haben«, sagte ich. »Du kannst den

Schluss in einer halben Stunde oder so lesen. Und dann ... wenn du immer noch willst ... mochte ich

dir etwas zeigen.«

»Hat es etwas mit dem Ort zu tun, an den du morgens und nachmittags gehst?«

Ich nickte.

Sie dachte eine scheinbar sehr lange Zeit daruber nach, nickte dann und erhob sich mit den Seiten in

der Hand.

»Ich gehe hinten raus«, sagte sie. »Die Sonne ist heute morgen sehr warm.«

»Und der Drachen ist besiegt«, sagte ich. »Diesmal von der Heldin.«

Elaine lachelte, neigte sich zu mir und kusste mich uber der Augenbraue auf die empfindliche Stelle,

an der ich immer wohlig erschauere. »Hoffen wir es«, sagte sie, »aber nach meiner Erfahrung wird

man Drachen wie Brad Dolan nur schwer los.« Sie zogerte. »Viel Gluck, Paul. Ich hoffe, du kannst

besiegen, was auch immer an dir genagt hat«

»Das hoffe ich auch«, sagte ich und dachte an John Coffey. Ich konnte nichts dafur, hatte John

gesagt. Ich habe es versucht, aber es war zu spat.

Ich a? das Ruhrei, trank den Orangensaft und schob den Toast fur spater beiseite. Dann nahm ich

meinen Fuller und begann wieder zu schreiben, zum letzten Mal, wie ich hoffte.

Eine letzte Meile.

2

Als wir John in jener Nacht zuruck zu Block E brachten, war sein Transport mit der Leichenbahre eine

Notwendigkeit, kein Luxus. Ich bezweifle sehr, dass er es aus eigener Kraft durch den Tunnel

geschafft hatte; geducktes Gehen erfordert mehr Energie als aufrechtes, und die Decke war fur einen

Riesen wie John Coffey verdammt niedrig. Ich mochte nicht daran denken, dass er dort unten

zusammenbrach. Wie wurden wir das auch noch erklaren, zusatzlich zu der Erklarung, warum wir

Percy in das Irren-Sakko - so bezeichnete Brutal die Zwangsjacke - gesteckt und in die Gummizelle

eingeschlossen hatten?

Aber wir hatten die Bahre - Gott sei Dank -, und John Coffey lag darauf wie ein gestrandeter Wal, als

wir ihn zur Treppe des Lagerraums fuhren. Dort stieg er hinunter, schwankte und blieb dann einfach

mit gesenktem Kopf und schwer atmend stehend. Seine Haut war so grau, dass er aussah, als ware er

in Mehl gewalzt worden. Ich dachte, er wurde spatestens am Mittag im Krankenrevier sein ... das

hei?t, wenn er bis dahin nicht tot war.

Brutal blickte mich grimmig und besturzt an. Ich erwiderte den Blick »Wir konnen ihn nicht rauftragen,

aber wir konnen ihm helfen«, sagte ich. »Du packst ihn unter dem rechten Arm, ich packe ihn unter

dem linken.«

»Und ich?« fragte Harry.

»Geh hinter uns. Wenn er ruckwarts kippt, schiebst du ihn vorwarts.«

»Und wenn das nicht klappt, duck dich dorthin, wo er deiner Schatzung nach hinfallt und mach die

Landung fur ihn weicher«, sagte Brutal.

»O Mann«, sagte Harry, »du solltest als Clown zum Zirkus gehen, so lustig, wie du bist«

»Ich habe Sinn fur Humor, das stimmt«, gab Brutal zu.

Letzten Endes schafften wir es, John die Treppe hinaufzubugsieren. Meine gro?te Sorge war, dass er

vielleicht ohnmachtig wurde, aber das war nicht der Fall. »Geh um mich rum und vergewissere dich,

dass der Lagerraum leer ist«, sagte ich keuchend zu Harry.

»Was soll ich sagen, wenn er nicht leer ist?« fragte Harry und zwangte sich an mir vorbei. »>Ich bin

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