der Avon-Berater<, und dann hierhin zuruckflitzen?«

»Sei kein Klugschei?er«, brummte Brutal.

Harry offnete die Tur einen Spalt und steckte den Kopf hindurch. Das kam mir wie eine Ewigkeit vor.

Schlie?lich zog er den Kopf zuruck und sah fast frohlich aus. »Die Luft ist rein. Und es ist still.«

»Hoffen wir, dass es so bleibt«, sagte Brutal. »Komm, John Coffey, fast daheim.«

John schaffte es aus eigener Kraft, den Lagerraum zu durchqueren, aber wir mussten ihm die drei

Stufen zu meinem Buro hinauf helfen und ihn dann durch die kleine Tur schieben.

Als er wieder auf die Fu?e kam, atmete er rasselnd, und seine Augen hatten einen glasigen Schimmer.

Au?erdem - ich registrierte es mit Entsetzen - hatte sich der rechte Mundwinkel nach unten gezogen

und wirkte wie Melindas Mund, als wir in ihr Zimmer getreten waren und sie im Bett gesessen hatte,

gestutzt von den Kissen. Dean horte uns und kam vom Wachpult am Kopf der Green Mile.

»Gott sei Dank! Ich dachte schon, ihr kommt nie zuruck. Ich war fast uberzeugt, dass ihr geschnappt

worden seid oder der Direktor euch eine Kugel verpasst hat oder ...« Er verstummte, als sein Blick das

erste Mal auf John fiel. «Was ist denn mit dem los? Er sieht wie ein Sterbender aus!«

»Er stirbt nicht ... oder, John?« fragte Brutal. Seine Augen signalisierten Dean eine Warnung.

»Naturlich nicht«, sagte Dean hastig, »ich meinte, nicht wie ein Sterbender...«

Dean stie? ein nervoses kleines Lachen aus. »Aber, Himmel...«

»La? es gut sein«, sagte ich. »Hilf uns, ihn in seine Zelle zu bringen.«

Wieder einmal waren wir Hugel um einen Berg namens John Coffey, aber jetzt war es ein Berg, der

ein paar Millionen Jahre an Erosion durchlitten hatte und ausgelaugt und traurig war. John Coffey

bewegte sich langsam und atmete schnaufend durch den Mund wie ein alter Mann, der zuviel

geraucht hat, aber immerhin bewegte er sich.

»Was ist mit Percy?« fragte ich. »Hat er Theater gemacht?«

»Zu Anfang«, sagte Dean. »Versuchte er durch das Isolierband zu brullen, das du ihm uber das Maul

geklebt hast. Es waren Fluche, glaube ich.«

»Gnade«, sagte Brutal. »Gut, dass unsere zarten Ohren woanders waren.«

»Seither nur dann und wann ein kaum horbarer Tritt gegen die Tur.« Dean war so erleichtert, uns

wieder zu sehen, dass er brabbelte. Seine Brille war auf die Spitze der Nase gerutscht, die vor

Schwei? glanzte. Er ruckte die Brille zurecht. Wir passierten Whartons Zelle. Dieser nichtsnutzige

junge Mann lag flach auf dem Rucken und schnarchte wie ein Sousaphon. Seine Augen waren diesmal

geschlossen. Dean sah meinen Blick und lachte.

»Keine Probleme von diesem Kerl! Hat sich nicht mehr geregt, seit er sich auf die Pritsche legte. Total

weg. Und was Percys gelegentliche Tritte gegen die Tur anbetrifft die haben mir nichts ausgemacht.

Ehrlich gesagt ich war froh daruber. Wenn er uberhaupt keine Gerausche von sich gegeben hatte,

dann hatte ich mich gefragt ob er an dem Knebel erstickt sei. Aber das ist noch nicht der Clou. Wisst

ihr, was der Clou ist? Es war so ruhig wie am Aschermittwochmorgen in New Orleans! In der ganzen

Nacht hat sich kein Mensch blicken lassen.« Letzteres sagte er mit triumphierender Stimme. Er freute

sich diebisch. »Wir sind nicht erwischt worden! Es hat geklappt!«

Das erinnerte ihn daran, warum wir uberhaupt die ganze Komodie aufgefuhrt hatten, und er

erkundigte sich nach Melinda.

»Es geht ihr prima«, sagte ich. Wir gelangten zu John Coffeys Zelle. Was Dean gesagt hatte, wirkte

gerade auf uns ein. Wir sind nicht erwischt worden. Es hat geklappt.

»War es wie ... du wei?t schon ... wie mit der Maus?« fragte Dean. Er blickte kurz zu der leeren Zelle,

in der Delacroix mit Mr. Jingles gewohnt hatte, dann hinab zu der Gummizelle, von der aus die Maus

wahrscheinlich zum ersten Mal aufgetaucht war. Er senkte die Stimme, wie es Leute tun, wenn sie

eine gro?e Kirche betreten, wo sogar die Stille zu flustern scheint »War es ein ...« Er schluckte. »Sag's

schon, du wei?t was ich meine ... War es ein Wunder?«

Wir drei tauschten kurze Blicke und bestatigten, was wir bereits wussten. »Er holte sie aus ihrem

verdammten Grab zuruck«, sagte Harry. »Ja, es war ein Wunder, das war es.«

Brutal schloss die beiden Schlosser der Zelle auf und schob John sanft hinein. »Geh, gro?er Junge.

Ruh dich eine Weile aus. Du hast es verdient. Wir kummern uns um Percy und ...«

»Er ist ein boser Mann«, sagte John mit leiser, mechanisch klingender Stimme.

»Das stimmt zweifellos, bose wie ein Hexer«, pflichtete ihm Brutal in beruhigendem Tonfall bei.

»Aber du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen, wir lassen ihn nicht in deine Nahe.

Entspanne dich auf deiner Pritsche, und ich besorge dir im Nu eine Tasse Kaffee. Hei? und stark. Du

wirst dich wie neugeboren fuhlen.« John lie? sich schwer auf die Pritsche sinken. Ich dachte, er wurde

sich zuruckfallen lassen und zur Wand rollen, wie er es fur gewohnlich tat, aber er blieb einfach dort

sitzen, hielt die Hande zwischen den Knien verschrankt, senkte den Kopf und atmete sto?weise durch

den Mund. Das Medaillon des Heiligen Christophorus, das Melinda ihm geschenkt hatte, war aus

seinem Hemd gerutscht und pendelte hin und her. Er wird dich beschutzen, hatte sie ihm gesagt, aber

John Coffey sah kein bisschen beschutzt aus. Er sah aus, als hatte er Melindas Stelle in diesem Grab

eingenommen, von dem Harry gesprochen hatte.

Aber ich konnte in diesem Augenblick nicht uber John Coffey nachdenken.

Ich wandte mich an die anderen. »Dean, hol Percys Waffe und den Hickory-Stock«

»Okay.« Dean ging zum Wachpult, schloss die Schublade auf, nahm den Revolver und den

Schlagstock heraus und kehrte damit zuruck.

»Bereit?« fragte ich. Meine Manner - gute Manner, und ich war nie stolzer auf sie als in dieser

Nacht - nickten. Harry und Dean wirkten nervos; Brutal war so unerschutterlich wie immer. »Okay. Ich

rede. Je weniger ihr sagt, desto besser wird es vermutlich sein, und um so schneller haben wir alles

hinter uns ... zum Besseren oder Schlechteren. Okay?«

Sie nickten abermals. Ich atmete tief durch und ging uber die Green Mile zur Gummizelle.

Percy blickte blinzelnd auf, als das Licht auf ihn fiel. Er hockte am Boden und leckte an dem

Isolierband, das ich ihm uber den Mund geklebt hatte. Der Teil, den ich um seinen Nacken gewunden

hatte, hatte sich gelost (vermutlich durch den Schwei? und die Pomade in seinem Haar), und er hatte

es fast geschafft, den Rest auch noch zu losen. Noch eine Stunde, und er hatte aus Leibeskraften um

Hilfe gebrullt.

Er schob sich mit den Fu?en auf dem Boden weiter zuruck, als wir eintraten. Dann verharrte er, weil

ihm wohl klar geworden war, dass er nur in die Sudostecke der Zelle krabbeln konnte. Er war boshaft,

und er kapierte nicht den Sinn unserer Arbeit in Block E, aber er war nicht ganz blode.

Ich nahm seine Waffe und den Schlagstock von Dean entgegen und hielt die Dinge Percy hin.

»Willst du die zuruckhaben?« fragte ich.

Er schaute mich misstrauisch an und nickte dann. »Brutal, Harry«, sagte ich. »Stellt ihn auf die Fu?e.«

Sie buckten sich, packten ihn unter den Segeltucharmen der Zwangsjacke und zogen ihn hoch. Ich

ging auf ihn zu, bis wir fast Nase an Nase standen. Ich roch seinen sauren Schwei?, mit dem er

ubergossen schien. Einiger davon war ihm vermutlich bei seinen Anstrengungen ausgebrochen, sich

von dem Isolierband zu befreien oder gelegentlich gegen die Tur zu treten, aber ich glaube, der

meiste Schwei? war auf Angst zuruckzufuhren; die Furcht vor dem, was wir ihm vielleicht antaten,

wenn wir zuruckkehrten.

Sie werden mir nichts tun, sie sind keine Killer, hatte sich Percy wohl gesagt..., und dann hatte er

vielleicht an Old Sparky gedacht, und es war ihm in den Sinn gekommen, dass wir in gewisser Weise

eben doch Killer waren. Ich selbst hatte siebenundsiebzig getotet, mehr, als jeder der Manner, die ich

jemals auf den hei?en Stuhl geschnallt hatte, mehr als Sergeant York sich im Ersten Weltkrieg als

Verdienst anrechnen konnte. Percy zu ermorden wurde nicht logisch sein, aber wir hatten uns bereits

unlogisch verhalten. Das hatte er sich vermutlich gesagt, als er dort mit den Armen hinter dem

Rucken gehockt und versucht hatte, mit der Zunge das Isolierband vom Mund zu losen. Und

au?erdem hatte Logik hochstwahrscheinlich wenig Macht uber die Gedanken einer Person, die in einer

Gummizelle auf dem Boden hockt, so fest eingehullt, wie eine Spinne jemals eine Fliege in ihrem Netz

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