Nicken erwiderte. »Was machen wir nun?« bibberte Harry. »O Gott, Paul, was machen wir?« »Wir konnen nichts machen«, sagte Brutal ruhig. »Wir sind dran. Oder, Paul?« Meine Gedanken arbeiteten sehr schnell. Ich schaute zu Harry und Dean, die mich wie verangstigte Kinder anstarrten. Ich blickte zu Percy, der mit herabhangenden Armen und gesenktem Kopf dastand. Dann sah ich meinen alten Freund Brutus Howell an. »Uns wird nichts passieren«, sagte ich. Percy fing doch noch zu husten an. Er krummte sich, stutzte die Hande auf die Knie und ubergab sich fast. Sein Gesicht lief rot an. Ich offnete den Mund, wollte den anderen sagen, dass sie zurucktreten sollten, doch ich bekam nie eine Chance. Percy stie? einen Laut aus, der eine Mischung zwischen einem Rulpsen und dem Quaken eines Ochsenfrosches war, offnete den Mund und spuckte eine Wolke von schwarzem, wirbelndem Zeug aus. Die Wolke war so dicht, dass wir fur einen Moment seinen Kopf nicht sehen konnten. Harry sagte mit schwacher, zittriger Stimme: »Gott schutze uns.«

Dann wurde die schwarze Wolke so blendend hell wie frischer Schnee in der Januarsonne. Einen

Augenblick spater war die Wolke verschwunden. Percy richtete sich langsam auf und starrte mit

leerem Blick uber die Green Mile.

»Wir haben das nicht gesehen«, sagte Brutal. »Nicht wahr, Paul?«

»Nein. Ich habe es nicht gesehen, und du hast es nicht gesehen. Hast du es gesehen, Harry?«

»Nein«, sagte Harry.

»Dean?«

»Was gesehen?« Dean nahm seine Brille ab und begann die Glaser zu polieren. Ich dachte, er wurde

sie aus den zitternden Handen fallen lassen, aber er hielt sie fest.

»>Was gesehen?« Das ist gut. Das ist die Karte, auf die wir setzen. Hort jetzt dem Fuhrer eurer

Pfadfindergruppe zu, Jungs, und merkt es euch gleich beim ersten Mal, denn die Zeit ist knapp. Es ist

eine einfache Geschichte. Lasst sie uns nicht komplizieren.«

3

Ich erzahlte all dies Janice gegen elf Uhr an diesem Morgen - am nachsten Morgen, hatte ich fast

geschrieben, aber es war naturlich am selben Tag. Zweifellos der langste Tag in meinem ganzen

Leben. Ich erzahlte es im gro?en und ganzen, wie ich es hier berichtet habe, und endete damit wie

William Wharton tot auf seiner Pritsche lag, durchlochert mit Blei aus Percys Revolver.

Nein, das stimmt nicht. Ich endete tatsachlich mit dem Zeug, das aus Percy herauskam, die Insekten

oder was auch immer es war. Das war schwer zu erzahlen, selbst bei der Ehefrau, aber ich berichtete

es.

Wahrend ich erzahlte, brachte sie mir Kaffee in halbgefullten Tassen - meine Hande zitterten zuerst so

stark, dass ich keine ganz gefullte Tasse hatte halten konnen, ohne was zu verschutten. Als ich die

Geschichte zu Ende gebracht hatte, hatte das Zittern etwas nachgelassen, und ich hatte das Gefuhl,

dass ich sogar etwas zu mir nehmen konnte - vielleicht ein Ei oder eine Suppe.

»Uns rettete, dass wir nicht zu lugen brauchten, keiner von uns.«

»Lasst einfach ein paar Dinge aus«, sagte Janice und nickte. »Hauptsachlich Kleinigkeiten, zum

Beispiel, dass ihr einen verurteilten Morder aus dem Gefangnis geholt habt und wie er eine sterbende

Frau geheilt hat und wie er diesen Percy Wermore wahnsinnig machte, indem er ihm - was? - einen

purierten Gehirntumor einblies?«

»Ich wei? es nicht Jan«, sagte ich. »Ich wei? nur, wenn du weiterhin so redest, wirst du diese Suppe

entweder allein essen oder an den Hund verfuttern mussen.«

»Es tut mir leid. Aber ich habe recht, nicht wahr?«

»Ja«, sagte ich. »Abgesehen davon, dass wir nicht erwischt wurden, als wir ...« - Was war es? Man

konnte es nicht Gefangenenbefreiung nennen, und Urlaub vom Knast war es auch nicht -»... diesen

Ausflug aufs Land machten. Nicht einmal Percy kann davon erzahlen, wenn er jemals zuruckkommt«

»Wenn er zuruckkommt«, echote sie. »Wie wahrscheinlich ist das?«

Ich schuttelte den Kopf, um anzuzeigen, dass ich keine Ahnung hatte. Aber naturlich hatte ich eine

Ahnung. Ich bezweifelte, dass er zuruckkehrte, weder 1932 noch '42 oder '52. In diesem Punkt hatte

ich recht. Percy Wetmore blieb in Briar Ridge, bis die Anstalt 1944 niederbrannte. Siebzehn Insassen

kamen bei diesem Brand ums Leben, aber Percy war nicht darunter. Immer noch stumm und leer in

jeder Hinsicht - das Wort, das ich uber diesen Zustand erfuhr, hei?t katatonisch -, wurde er von einem

der Warter hinausgefuhrt lange bevor das Feuer auf den Flugel ubergriff, in dem er untergebracht

war. Er kam dann in eine andere Anstalt - ich erinnere mich nicht an den Namen, und ich nehme an,

er spielt ohnehin keine Rolle - und starb 1965. Soweit ich wei?, sprach er das letzte Mal, als er uns

sagte, wir konnten die Stechuhr fur ihn drucken ..., es sei denn, wir wollten erklaren, warum er den

Dienst fruher beendet hatte.

Die Ironie war, dass wir nie viel erklaren mussten.

Percy hatte den Verstand verloren und William Wharton erschossen. Das sagten wir aus, und jedes

Wort davon stimmte. Als Anderson, der stellvertretende Direktor, Brutal fragte, wie Percy vor der Tat

gewirkt hatte, antwortete Brutal mit einem Wort - »ruhig« -, und ich durchlitt einen schrecklichen

Moment, als ich das Gefuhl hatte, in Gelachter auszubrechen. Weil das ebenfalls stimmte: Percy war

ruhig gewesen, denn die meiste Zeit seiner Schicht war sein Mund mit Isolierband verklebt gewesen,

und er hatte nicht viel mehr als mmmph, mmmph, mmmph herausgebracht.

Anderson hielt Percy bis acht Uhr da, und Percy war so stumm wie die Indianerstatue eines

Zigarrenanzunders in einem Tabakladen, aber viel unheimlicher. Dann traf Hal Moores ein, grimmig,

aber bereit wieder in den Sattel zu steigen.

Curtis Anderson lie? ihn genau das tun, und zwar mit einem Seufzer der Erleichterung, den wir fast

horen konnten. Den verzweifelten, angsterfullten alten Mann gab es nicht mehr; Hal Moores war

wieder der entschlossene, energiegeladene Gefangnisdirektor, der zu Percy schritt, ihn mit den gro?en

Handen an den Schultern packte und hart durchruttelte. »Sohn!« schrie er in Percys ausdrucksloses

Gesicht - ein Gesicht das bereits weich wurde wie Wachs, dachte ich -, »Sohn! Horst du mich? Sag es

mir, wenn du mich horst! Ich will wissen, was passiert ist!«

Von Percy kam naturlich nichts. Anderson wollte den Direktor zur Seite ziehen und mit ihm

besprechen, wie der Fall gehandhabt werden sollte - es war eine politisch hei?e Kartoffel, wenn es

jemals eine gegeben hat -, aber Moores schuttelte ihn ab, wenigstens furs erste, und zog mich uber

die Green Mile mit. John Coffey lag mit dem Gesicht zur Wand auf der Pritsche, und seine Beine

baumelten wie stets uber der Pritschenkante. Er wirkte schlafend und schlief vermutlich auch ..., aber

bei ihm stimmte der Anschein nicht immer, wie wir festgestellt hatten.

»Hat das, was in meinem Haus geschehen ist, irgend etwas mit den Ereignissen hier zu tun, als ihr

zuruckgekehrt seid?« fragte Moores leise. »Ich decke Sie, so gut ich kann, Paul, selbst wenn es mich

den Posten kostet, aber ich muss es wissen.«

Ich schuttelte den Kopf. Auch ich sprach leise -es waren fast ein Dutzend Warter am Ende des

Korridors. Jemand fotografierte Wharton in seiner Zelle. Curtis Anderson hatte sich umgewandt und

schaute zu, und im Augenblick beobachtete uns nur Brutal. »Nein, Sir. Wir brachten John zuruck in die

Zelle, und er lag da, wie Sie ihn jetzt sehen, und lie?en Percy aus der Gummizelle heraus, in der wir

ihn sicher verwahrt hatten. Ich dachte, er wurde vor Zorn kochen, aber das war nicht der Fall. Er

fragte nur nach seiner Waffe und dem Schlagstock. Wortlos ging er dann uber den Gang. Als er bei

Whartons Zelle war, zog er die Waffe und ballerte los.«

»Meinen Sie, dass der Aufenthalt in der Gummizelle ... Einfluss auf seinen Verstand hatte?«

»Nein, Sir.«

»Haben Sie ihn in eine Zwangsjacke gesteckt?«

»Nein, Sir. Das war nicht notig.«

»Er war ruhig? Hat keine Gegenwehr geleistet?«

»Keine Gegenwehr.«

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