das Dorf an dieser Stelle zu grunden. Der venezuolanische Gouverneur hatte alle Ursache, derartige Unternehmungen zu unterstutzen, und wenn einige Missionare nach Augustino kamen, wurden sich die Piaroas hier gewi? bald bis zur Stufe der civilisierten Indianer, der »Racionales«, wie man sie gewohnlich nennt, erheben.

- Missionare, Herr Helloch, antwortete Jean, ja, solche muthige, opferbereite Manner wurden unter diesen Indianerstammen gewi? Erfolge erzielen. Ich habe mir immer vorgestellt, da? diese Apostel, die das sorglose Leben, dessen sie sich erfreuen konnten, aufgeben, auf die Freuden der Familie verzichten, die die Hingabe an ihren Beruf bis zur Aufopferung des Lebens treiben. da? gerade sie die edelste Mission zu Ehren der Menschheit erfullen. Bedenken Sie, welche Erfolge - den Berichten nach - der Pater Esperante in Santa-Juana erzielt hat und wie sein Beispiel zur Nacheiferung mahnt!

- Ja, gewi?, gewi?,« stimmte Jacques Helloch zu.

Er war immer hochst erstaunt, bei dem jungen Mann so ernste, edelsinnige Gedanken zu finden. Offenbar war dieser geistig seinen Jahren voraus. So fuhr Jacques Helloch fort:

»Mein lieber Jean, das sind doch Dinge, an die man kaum denkt, so lange man noch so jung ist.

- O, ich bin schon alt, Herr Helloch, erwiderte Jean, leicht errothend.

- Alt. ja freilich. ganze siebzehn Jahre!

- Siebzehn Jahre weniger zwei Monate und neun Tage, bestatigte der Sergeant Martial, der jetzt in das Gesprach eingriff, und ich begreife nicht, warum Du Dich als alt hinstellen willst, lieber Neffe.

- Bitte um Verzeihung, Onkelchen, es soll nicht wieder vorkommen,« gelobte Jean, der ein Lacheln nicht unterdrucken konnte.

Darauf wandte er sich wieder Jacques Helloch zu.

»Um ubrigens auf die Missionare zuruckzukommen, fuhr er fort, wurden die, die sich in Augustino niederlie?en, gar arg gegen die Vorurtheile und den Aberglauben dieser Indianer anzukampfen haben, denn meinem Fuhrer nach zeichnen gerade die hiesigen Stamme sich in dieser Beziehung ganz besonders aus!«

Die Passagiere der Falcas sollten auch bald genug erfahren, wie begrundet das Urtheil des fruhern franzosischen Reisenden war.

Die Hutte (Case) des Capitan stand geschutzt unter einer Gruppe prachtiger Baume. Ein Dach von Palmenblattern bedeckte sie, und daruber erhob sich eine Art cylindrischer Krone, die wiederum von einem Buschel Blumen uberragt war. Eine einzige Thur bildete den Eingang nach dem freien Innenraume, der funfzehn Fu? im Durchmesser haben mochte. Die auf das unumganglich Nothige beschrankte Ausstattung bestand aus Bastkorben, Decken, einem Tische, einigen Sitzen von sehr grober Arbeit und den hochst einfachen Wirthschaftsgegenstanden des Indianers, nebst seinen Bogen, Pfeilen und Ackergerathen.

Diese Hutte war ganz eben erst fertig geworden und gestern mit einer Feierlichkeit eingeweiht worden - einer Feierlichkeit, die die Austreibung des bosen Geistes bezweckte.

Der bose Geist verschwindet nun - dem Indianerglauben nach - nicht wie ein Dunst, und zerstreut sich nicht, wie etwa ein Nebel. Ein Klopfen und Schlagen an die Strohwande, wie es eine aberglaubische europaische Hausfrau thun wurde, genugte hier eben nicht. Der Geist gleicht nicht einem Staube, den man mit dem Besen ausfegen kann. Er ist ein korperloses Wesen, da? erst von einem lebenden Thiere eingeathmet und dann von diesem in die Luft hinausgetragen werden mu?. Die Erledigung dieser Aufgabe mu? also einem beliebigen Vogel uberlassen werden.

Gewohnlich bevorzugt man hierbei einen Tucan (Pfefferfresser), der sich stets bestens bewahrt. Wahrend er umherflattert, pflegt die in der Hutte versammelte, mit ihrer besten Tracht geschmuckte Familie Gesange anzustimmen, Tanze aufzufuhren, Opfer zu bringen und dazu unzahlige Tassen Bruquilla-Kaffee zu trinken, dem ein gutes Theil Aguardiente oder Tafia zugesetzt ist.

Da man sich am Vorabend einen Tucan nicht hatte beschaffen konnen, war ein Papagei als »Reiniger« verwendet worden.

Nachdem dieser im Innern gehorig hin und her geflogen war, hatte man ihn nach dem Walde zu freigelassen, und nun konnte das Strohhaus in aller Ruhe und Sicherheit bewohnt werden. Der Capitan zogerte selbst keinen Augenblick, Fremde da hineinzufuhren, und diese waren sicher, nicht von dem bosen Geiste belastigt zu werden.

Beim Verlassen der Hutte des Capitan Caribal fanden die Reisenden die Bewohner Augustinos zahlreicher, vielleicht vollzahlig versammelt. Die jetzt beruhigten, von ihren Vatern, Brudern und Ehemannern zuruckgerufenen Frauen und Kinder hatten das Dorf wieder zu betreten gewagt. Sie liefen von einer Hutte zur andern, schlenderten unter den Baumen umher und begaben sich sogar nach dem Strande, wo die Falcas angebunden lagen.

Germain Paterne konnte bemerken, da? die kleinen, wohlgebauten Frauen mit regelma?igen Zugen doch auf niedrigerer Stufe standen als die Manner.

Alle Piaroas versuchten nun, einen kleinen Handel anzufangen, wie sie das von jeher gewohnt sind, wenn Reisende, Touristen oder Kaufleute, auf dem Orinoco hierherkommen. Sie boten dabei frische Gemuse, Zuckerrohr oder eine Art Bananen, die unter dem Namen Plantanos bekannt sind, an, eine Frucht, die, getrocknet oder eingemacht, den Indianern bei ihren Zugen vielfach als alleinige Nahrung dient.

Dafur erhielten sie einige Packchen Cigarren, wonach sie sehr lustern sind, Messer, Beile, Glasperlen- Halsbander u. dgl. und schienen uber ihren Tauschhandel mit den Fremden sehr befriedigt zu sein.

Das Hinundherlaufen und Abschlie?en der Geschafte hatte nur eine Stunde beansprucht. Ehe die Sonne unter den Horizont versank, blieb den Jagern noch genug Zeit, in den Waldern der Nachbarschaft von Augustino ihr Gluck zu versuchen.

Als ein solcher Vorschlag laut wurde, stimmten ihm Herr Miguel und Jacques Helloch naturlich im Augenblicke zu. Ihre Gefahrten uberlie?en es ihnen gern, Wasser- und Bisamschweine, Hirsche, Pavas, Huccos, Tauben und Enten zu erlegen, die dem Personal der Piroguen ja jeder Zeit willkommen waren.

Die Herren Varinas und Felipe, Jean von Kermor und der Sergeant Martial blieben demnach zuruck, die einen in den Fahrzeugen, die andern auf dem Strande oder im Dorfe, wahrend Jacques Helloch und Herr Miguel, denen Germain Paterne mit der von ihm unzertrennlichen Botanisiertrommel auf dem Rucken sich anschlo?, in das Dickicht von Palmen, Flaschenkurbisbaumen, Coloraditos und unzahligen Morichals, das sich jenseits der Zuckerrohr- und Maniocfelder erhob, erwartungsvoll eindrangen.

Ein Verirren war dabei nicht zu befurchten, denn die Jagd sollte nicht uber die nachste Umgebung von Augustino ausgedehnt werden, wenn sich die Jager von ihrem cynegetischen Eifer nicht zu weit verleiten lie?en.

Dazu lag ubrigens gar keine Veranlassung vor. Schon in der ersten Stunde hatte Herr Miguel ein Bisamschwein erlegt und Jacques Helloch einen Hirsch zu Boden gestreckt. Mit diesen zwei Thieren hatten sie schon genug Beute nach den Falcas mitgebracht. Vielleicht ware es besser gewesen, wenn sie einen oder zwei Indianer mit zur Jagd genommen hatten; da sich beim Aufbruch aber keiner zu ihrer Begleitung anbot, hatten sie auf eine solche Hilfe verzichtet. Da sie auch die mit kleinen

Reparaturen an den Piroguen beschaftigten Schiffsleute nicht hatten abhalten wollen, waren sie eben allein gegangen, um allein nach dem Dorfe zuruckzukehren.

Nachdem sie zwischen zwei und drei Kilometer weit hinausgezogen waren, befanden sie sich bereits, Herr Miguel das Bisamschwein auf der Schulter, Jacques Helloch und Germain Paterne den Hirsch tragend, auf dem Ruckwege und nur noch funf bis sechs Flintenschu? weit von Augustino, als sie einmal stehen blieben, um sich ein wenig zu erholen.

Es war sehr warm und der Luftwechsel unter dem dichten Blatterdome obendrein noch besonders erschwert.

Da, als sie sich eben am Fu?e eines machtigen Palmenstammes niedergesetzt hatten, begann sich das Unterholz in einem Dickicht zu ihrer Rechten heftig zu bewegen. Es sah aus, als wollte eine gewaltige Masse durch das Gezweig des Buschwerks dringen.

»Achtung! rief Jacques Helloch seinen Begleitern zu. Da drin ist ein Raubthier!

- Ich habe zwei Kugelpatronen im Gewehre, antwortete Herr Miguel.

- Nun, so halten Sie sich schu?fertig, wahrend ich meine Flinte lade,« erwiderte Jacques Helloch.

Es bedurfte fur ihn nur weniger Secunden, um auch mit seinem Hammerle?gewehre schu?bereit zu sein.

Augenblicklich bewegten sich die Zweige des Gebusches nicht. Bei scharfem Hinhorchen konnten die Jager aber ein keuchendes Schnaufen und auch einen knurrenden Ton vernehmen, uber dessen Natur kein Irrthum

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