Es war sechs Uhr abends, als die »Moriche«, die »Maripare« und die »Gallinetta« am linken Ufer fur die Nacht anlegten, die durch nichts gestort werden sollte.
Schon wollte sich der Schlaf auf die ermudeten Lider senken, da richtete, anknupfend an das eben Erlebte, Germain Paterne an seinen Freund noch eine Frage.
»Was meinst Du, Jacques, was werden jene Piaroas denn nun mit ihrem Tapir anfangen?
- O, den begraben sie mit allen einem so heiligen Thiere zustehenden Ehrungen!
- Ich dachte gar, Jacques!. Willst Du mit mir wetten, da? sie ihn aufessen und damit gar nicht Unrecht haben, denn es geht wirklich nichts uber eine gut gerostete Tapirlende!«
Vierzehntes Capitel
Mit Tagesanbruch, als die letzten Sterne noch am Westhimmel flimmerten, wurden die Passagiere durch die Vorbereitungen zur Weiterfahrt geweckt. Alles lie? erwarten, da? dies der letzte Reisetag sein werde. San- Fernando lag jetzt nur noch funfzehn Kilometer weit entfernt. Der Gedanke, heute Abend in einem wirklichen Zimmer und in einem leibhaftigen Bette zu schlafen, beruhrte Alle naturlich hochst angenehm. Von Caicara aus gerechnet, dauerte die Stromfahrt bereits einunddrei?ig Tage und folglich ebenso viele Nachte, wahrend der man sich hatte mit den sehr primitiven Esteras der Deckhauschen begnugen mussen.
Was den Aufenthalt in la Urbana, wie in den Dorfern Maipures und Atures betrifft, wo man in Strohhutten und auf indianischen Lagerstatten ubernachtet hatte, so verschwand diese fragliche Annehmlichkeit doch ganz gegen den Comfort eines in europaischer Weise ausgestatteten einfachen Gasthauses, von dem eines eigentlichen Hotels ganz zu schweigen. Ohne Zweifel wurde ja San-Fernando nach dieser Seite alle Wunsche befriedigen.
Als die Herren Miguel und seine Gefahrten aus den Deckhausern hervortraten, schwammen die Falcas schon in der Mitte des Strombettes. Bei frischem Nordostwinde kamen sie jetzt ziemlich schnell vorwarts. Leider lie?en gewisse Vorzeichen, uber die sich Stromschiffer des Orinoco nicht wohl tauschen konnten, befurchten, da? die gunstige Brise nicht lange genug anhalten werde, um funfzehn Kilometer zuruckzulegen.
Die Piroguen segelten wieder so nebeneinander hin, da? Jacques Helloch bequem nach der »Gallinetta« hinubersprechen konnte.
»Sie befinden sich doch heute Morgen wohl, lieber Jean? fragte er, mit der Hand gru?end.
- Ich danke Ihnen, Herr Helloch, erwiderte der junge Mann.
- Und Sie, Sergeant Martial?
- Mir scheint, ich befinde mich nicht schlechter als gewohnlich, begnugte sich der alte Soldat zu antworten.
- Das sieht man. sieht man freilich auf den ersten Blick, versetzte Jacques Helloch froh gelaunt. Ich hoffe, wir werden heute Abend Alle bei vortrefflicher Gesundheit in San-Fernando ankommen.
- Heute Abend? wiederholte der Schiffer Valdez mit unglaubigem Kopfschutteln. Wer kann das wissen?«
Da mischte sich noch Herr Miguel, der den Himmel betrachtet hatte, in das Gesprach.
»Sind Sie nicht zufrieden mit dem Wetter, Valdez? fragte er.
- Nicht so ganz, Herr Miguel. Da oben ziehen Wolken aus dem Suden herauf, und die haben nichts Gutes zu bedeuten.
- Wird der Wind sie nicht vertreiben?
- Wenn er aushalt. vielleicht. doch wenn er, wie ich furchte, abflaut oder sich ganz legt. Was da unten heraufsteigt, sind Gewitterwolken, und es ist ja nicht selten, da? solche dem Winde entgegen ziehen.«
Jacques Helloch lie? die Blicke uber den Horizont schweifen und schien die Ansicht des Schiffers Valdez zu theilen.
»Nun, inzwischen, sagte er, wollen wir die Brise ausnutzen und so viel wie moglich Weg zuruckzulegen suchen.
- Daran soll es nicht fehlen, Herr Helloch!« versicherte der Fuhrer der »Gallinetta«.
Im Laufe des Vormittags erlitten die Piroguen keine nennenswerthe Verzogerung. Immer genugten die prall geschwellten Segel zur Ueberwindung der Stromung, hier ubrigens einer recht schnellen, zwischen den von weiten Ilanos begrenzten Ufern und dem da und dort von einzelnen Mesas, das sind grunbedeckte Erdhaufen, durchsetzten Orinoco. Mehrere Rios, die von den letzten Regengussen her noch reichliche Wassermassen fuhrten, nach funf bis sechs Wochen aber ganz versiegt sein wurden, mundeten hier in den Hauptstrom ein.
Dank der Brise konnten die Fahrzeuge nach Umschiffung der Risse von Nericawa, wenn auch unter mancher Schwierigkeit und gro?er Anstrengung, das kleine Raudal von Aji uberwinden, dessen Durchlasse zur Zeit uberall noch Wassertiefe genug hatten, zwischen ihren Felsblocken hindurchzulavieren. Eine Gefahr lag dabei nur darin, da? eine unerwarteterweise von der Stromung gepackte Pirogue gegen eine solche Klippe geschleudert wurde, an der sie unfehlbar zertrummert werden mu?te.
Ein solcher Unfall ware der »Moriche« beinahe zugesto?en. Mit ungeheurer Gewalt fortgerissen, war sie nahe daran, an die Kante eines machtigen Felsblocks geworfen zu werden. Ware dieses Ungluck eingetroffen, so hatten die »Gallinetta« und die »Maripare« jedenfalls die Insassen und das Material der »Moriche« noch retten konnen. In diesem Falle hatten Jacques Helloch und sein Begleiter wohl oder ubel nach einer andern Falca ubersiedeln mussen, und es lag ja auf der Hand, da? dann die »Gallinetta« die beiden Landsleute an Bord aufnahm.
Das war ein moglicher Fall, der dem Sergeanten Martial -um nicht mehr zu sagen - gewi? arg gegen den Strich gegangen ware, obwohl die den beiden Franzosen zu gewahrende Gastfreundschaft voraussichtlich nur wenige Stunden dauern konnte.
Nachdem die Schiffsleute den Gefahren des Raudals von Aji entgangen waren, gelang ihnen ebenso die Passage des Raudals von Castillito, des letzten, das stromabwarts von San-Fernando die Schifffahrt erschwerte.
Nach eingenommenem Fruhstuck, d.h. um die Mittagszeit, erschien Jacques Helloch auf dem Vordertheil der »Moriche«, um eine Cigarre zu rauchen.
Mit lebhaftem Bedauern mu?te er sich uberzeugen, da? Valdez sich in seiner Voraussicht nicht getauscht hatte.
Die Brise wurde schwacher und die schlaffen Segel vermochten kaum noch die Stromung uberwinden zu helfen. Nur zuweilen noch spannte sie ein kurzer Windsto? starker an, wobei die Piroguen ein paar Kabellangen weiter hinausgelangten.
Es lag auf der Hand, da? der Zustand der Atmosphare in kurzer Zeit eine starke Veranderung erfahren werde. Im Suden thurmten sich bleigraue, von dunkleren Streifen wie das Fell mancher Raubthiere durchzogene Wolkenmassen auf. In der Ferne flogen auch zerfaserte Dunstsetzen schnell uber den Himmel. Die Sonne, die zur Zeit ihrer Culmination im Zenith stand, mu?te bald hinter dem dichten Dunstwall verschwinden.
»Desto besser! rief Germain Paterne, uber dessen gebraunte Wangen gro?e Schwei?tropfen hinabrieselten.
- Nein, desto schlimmer! entgegnete Jacques Helloch. Es ware angenehmer, sich zu Wasser aufzulosen, als auf diesem Theile des Stromes, wo ich keinen Schlupfwinkel sehe, von einem Unwetter uberrascht zu werden.«
Herr Felipe au?erte eben zu seinen Collegen:
»Man kann kaum noch athmen, und wenn sich der Wind ganz legt, mussen wir ersticken.
- Wissen Sie, wieviel das Thermometer im Innern des Deckhauses zeigt? erwiderte Herr Varinas. Siebenunddrei?ig
Centigrade, und wenn es nur noch ein wenig steigt, sind wir in Gefahr, gesotten zu werden.
- Eine solche Hitze hab' ich auch noch nicht erlebt!« sagte Herr Miguel einfach und wischte sich gemuthsruhig die Stirn ab.
In den Deckhausern Schutz zu suchen, war ganz unmoglich geworden. Auf dem Hintertheile der Piroguen konnte man wenigstens ein wenig Luft »schnappen« - freilich eine gluhende Luft, die dem Schachte eines Hochofens zu entstromen schien. Zum weitern Ungluck bewegten sich die Falcas ja mit der Brise, so da? man von