dieser kaum etwas und bei dem bedrohlich zunehmenden Aussetzen derselben gar nichts verspurte.

Der »Gallinetta«, der »Maripare« und der »Moriche« gelang es inde?, gegen drei Uhr eine gro?ere Insel anzulaufen, die man auf den Karten unter dem Namen Amananemi verzeichnet findet, eine bewaldete Insel mit dichtem Gestrupp und steil abfallenden Ufern. Indem sie den Arm des Stromes hinausgingen, wo nur eine ma?igere Stromung stand, und sich mittelst der Espilla weiter fortarbeiteten, erreichten die Schiffsleute noch glucklich die Sudspitze dieser Insel.

Die Sonne war jetzt hinter den angehauften Dunstmassen, die sich eine uber die andre hinwegzuwalzen schienen, verschwunden. Lang andauerndes Donnerrollen ertonte von Suden her. Schon zerrissen die ersten Blitze die Wolkenhaufen, die fast zu zerspringen drohten. Von Norden her wehte kein Lufthauch mehr. Das Gewitter zog herauf und breitete seine elektricitatsschwangern Fittige von Osten bis nach Westen hin aus. Da? die gro?artige Naturerscheinung ohne furchtbaren Aufruhr der Elemente vorubergehen konnte, war zwar nicht ausgeschlossen, doch auch der vertrauensseligste Meteorolog hatte es hier nicht zu hoffen gewagt.

Aus Vorsicht wurden die jetzt doch ganz nutzlosen Segel der Piroguen eingezogen. Die Schiffsleute legten aus demselben Grunde auch die Masten nieder und banden sie auf den Schiffen fest. Sobald die Falcas zuruckzuweichen begannen, erfa?te jeder die Palaucas und arbeitete sich, mit so viel Kraft, wie ihm die erstickende Atmosphare gerade noch ubrig gelassen hatte, gegen den Strom hinaus.

Nach der Insel Amanameni erreichte man die nicht kleinere Insel Guayartivari, wo es moglich war, sich langs des abschussigen Ufers hinzuschleppen. Die Piroguen kamen dabei schneller als durch die Palancas vorwarts und konnten unter diesen Umstanden uber die stromaufwarts gelegene Spitze hinausgelangen.

Wahrend die Mannschaften, die so schwer zu schleppen gehabt hatten, ein wenig ausruhten, um nachher die Palancas mit neuer Kraft zu handhaben' naherte sich Herr Miguel der »Moriche«.

»Wie weit sind wir noch von San-Fernando? fragte er.

- Drei Kilometer, erklarte Jacques Helloch, der eben die Stromkarte eingesehen hatte.

- Nun, diese drei Kilometer mussen wir im Laufe des Nachmittags noch hinter uns bringen,« sagte Herr Miguel sehr bestimmt.

Dann wendete er sich an die Schiffsmannschaften.

»Auf, liebe Freunde, rief er mit lauter Stimme, noch eine letzte Anstrengung! Ihr sollt es nicht zu bereuen haben und werdet fur Eure Muhe reichlich belohnt werden. Zwei Piaster fur jeden Mann, wenn wir noch heute Abend am Quai von San-Fernando liegen!«

Die Gefahrten des Herrn Miguel verpfandeten ebenfalls ihr Wort fur diese Zusage. Angefeuert durch den versprochenen Preis, schienen die Mannschaften der drei Piroguen bereit, auch das Unmogliche moglich zu machen, um die Belohnung einzuheimsen. Unter den Verhaltnissen freilich, unter denen man ihnen diesen Mehraufwand von Energie zumuthete, waren die zwei Piaster gewi? redlich verdient.

Die Fahrzeuge befanden sich jetzt dem Guaviare gegenuber, dessen Mundung das linke Ufer des Orinoco tief einbuchtet, wenn es nicht der Orinoco ist, der tief in das rechte Ufer des Guaviare einschneidet, im Falle da? Herr Varinas gegen die Herren Miguel und Felipe Recht behielt.

Es darf wohl nicht wundernehmen, da? der Vertheidiger des Guaviare, das Fernrohr vor den Augen, die Blicke uber den weiten Einschnitt schweifen lie?, durch den der von ihm bevorzugte Flu? sein thoniges, gelbliches Wasser entleerte. Freilich darf man sich auch nicht mehr wundern, da? Herr Felipe, der die vollkommenste Nichtachtung heuchelte, als die Pirogue vor der weiten Bucht voruberglitt, obgleich er recht wohl wu?te, um was es sich handelte, ironischen Tones fragte:

»Welcher Bach ist denn das?«

Ein Bach, dieser Guaviare, den Fahrzeuge noch tausend Kilometer hinaufsegeln konnen; ein Bach, dessen Zuflusse das Gebiet bis zum Fu?e der Anden bewassern; ein Bach, der in der Secunde eine Wassermasse von dreihundertzweitausend Cubikmetern in den andern Strom ergie?t!

Auf die verachtliche, spottische Frage des Herrn Felipe erfolgte jedoch keine Antwort, denn niemand fand Zeit zu einer solchen, oder sie bestand doch nur in dem einen Worte, das die Mannschaften der drei Falcas gleichzeitig hervorstie?en:

»Chubasco!. Chubasco!«

Das ist der indianische Name fur den furchtbaren kurzen Sturm, der jetzt am fernen Horizonte losbrach. Einer Lawine gleich wuhlte sich der Chubasco in das Bett des Orinoco ein. Seltsam ist dabei und unerklarlich fur jeden, der mit diesen, den venezuolanischen Ilanos eigenthumlichen Erscheinungen nicht vertraut ist, da? er von Nordwesten her uber deren Ebenen dahinbraust.

Noch einen Augenblick vorher war die Luft ruhig. mehr als ruhig, schwer, dick, fast zum festen Korper erstarrt. Die von Elektricitat ubersattigten Wolken verbreiteten sich mehr und mehr uber den Himmel, der Sturm aber, statt ebenfalls von Suden herzukommen, raste von der entgegengesetzten Seite heran. Nahe dem Zenith prallte er auf jene Dunstmassen, zerstreute die einen und walzte dafur andre zu Haufen an, die, vom Winde geblaht, von Regen- und Hagelmassen belastet, sich uber die Stromecke entluden, an der sich die Fluthen eines machtigen Stromes mit denen seiner zwei gro?en Zuflusse mischten.

Die erste Wirkung des Chubasco bestand darin, da? er die Fahrzeuge von der Mundung des Guaviare entfernte, die zweite aber darin, da? er sie, ohne Mithilfe der Palancas, nicht nur gegen die Stromung festhielt, sondern sie sogar in schrager Richtung auf San-Fernando zutrieb. Brachte der wilde Sturm sie selbst nicht in Gefahr, so hatten die Passagiere sich nicht uber die Richtung zu beklagen, die er den drei Piroguen aufzwang.

Leider sind diese Chubascos aber gewohnlich von zahlreichen Unfallen begleitet. Wer nicht selbst davon Zeuge gewesen ist, kann sich von ihrem Ungestum gar keine Vorstellung machen. Sie erzeugen alles zerrei?ende, mit Hagelschauern verbundene Boen, denen man sich nicht ungestraft aussetzen konnte, einen Kartatschenhagel, der auch die Strohdacher der Deckhauser durchlochert.

Auf den Ruf »Chubasco! Chubasco!« hatten die Passagiere sofort Unterschlups gesucht. In richtiger Voraussicht dieses »Hundewetters«, wie es die Stromschiffer nennen, waren schon die Segel eingezogen und die Masten niedergelegt worden, und so konnten die »Maripare«, die »Moriche« und die »Gallinetta« dem ersten Anprall des Orkans widerstehen.

Jene Vorsichtsma?regeln hatten jedoch noch keineswegs alle Gefahren beseitigt; es drohten auch noch andre, au?er der des Kenterns. Vom wuthenden Winde getrieben und von schaumenden, denen des Oceans ahnlichen Wellen uberspult, schwankten die Falcas eine auf die andre zu, stie?en gegeneinander und drohten dadurch leck zu werden oder an den Felsen des rechten Ufers in Trummer zu gehen. Selbst wenn die Passagiere sich dann noch ans Land zu retten vermochten, mu?te doch ihr Gepack und alles Schiffsmaterial dabei verloren gehen.

Jetzt taumelten die Fahrzeuge auf dem auf- und abwogenden Strome hilflos umher. Es war den Schiffern ganz unmoglich, sie mittelst der Palancas am Achter in bestimmter Richtung hinzusteuern. Sie drehten sich vollig um sich selbst, wenn sie auf eine riesige Woge stie?en, die einen furchtbaren Wasserschwall uber ihren Bordrand ergo?. Durch diese Ueberlastung tiefer eingedruckt, waren sie zweifellos gesunken, wenn die Schiffsleute nicht ununterbrochen bemuht gewesen waren, das Wasser auszuschopfen, und die Passagiere ihnen dabei nicht redlich geholfen hatten.

Die flachbodigen Fahrzeuge, nur bestimmt, auf ruhigen Wasserflachen zu segeln, sind weder der Gro?e, noch der Gestalt nach geeignet, einen derartigen Sturm auszuhalten, und gro? ist die Zahl derer, die bei den in der warmen Jahreszeit so haufigen Chubascos zwischen den Ufern des mittleren Orinoco zugrundegehen.

Der Strom ist an dieser Stelle grade sehr breit. Er erweiterte sich schon von der Sudspitze der gro?en Insel Guayartivari an. Man konnte ihn fur einen gro?en Binnensee halten, der, im Osten und gegenuber der Mundung des Guaviare abgerundet, sich nach Suden in Trichterform fortsetzt. Hier konnen die

Sturme unbehindert ihre Wuth entfalten, denn die Ilanos am Ufer haben weder Cerros noch Waldmassen, die ihre Kraft brechen konnten. Ein von solchem Unwetter uberraschtes Fahrzeug hat nicht einmal, wie auf dem Meere, die Moglichkeit, sich ihm durch Flucht zu entziehen, sondern mu? als einziges Rettungsmittel auf gut Gluck auf das Ufer laufen.

Die Mannschaften wu?ten das recht gut und vermochten doch nichts zu thun, um einer solchen Katastrophe vorzubeugen. Schon dachten sie daran, ehe sie gegen die Felsen stie?en, ihre Personen zu retten, und das war nur dadurch moglich, da? sie sich in die schaumige Brandung sturzten und schwimmend das Ufer zu erreichen suchten.

Die Herren Miguel, Felipe und Varinas hatten, trotz des Wuthens der Boe, das Deckhaus der »Maripare« verlassen, die durch uberschlagende Wellen halb angefullt war. Jetzt hielten sie sich fur jede Moglichkeit

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