- Und kaum dreihundert Schritt von hier, antwortete Valdez.

- Sollte ihn der Sergeant Martial abgefeuert haben, der nach unserm Fortgange vielleicht jagen gegangen ware?

- Das glaub' ich kaum.

- Oder etwa der Indianer, dem die Hutte hier jedenfalls gehort, Valdez?

- Wir wollen uns zunachst uberzeugen, ob sie bewohnt gewesen ist«, rieth der Schiffer der »Gallinetta«.

Beide gingen - sie waren bei dem Krachen des Schusses herausgetreten - in die Strohhutte wieder zuruck.

Ihr Inneres war ebenso durftig wie ihre au?ere Erscheinung. Von Mobeln keine Spur. Tief hinten auf dem Erdboden eine Lagerstatt aus durren Grasern, die offenbar erst unlangst zusammengedruckt waren. Nahe dem Eingange einige leere Flaschenkurbisse und der Rest eines Wasserschweins, das an einer Dachsparre hing. In einem Haufen zwei oder drei Dutzend in der Form Mandeln ahnlicher Gavillanusse, eine handvoll Bachacosameisen und gerostete Comejens, die ein Hauptnahrungsmittel der Bravos-Indianer bilden.

Endlich ein ma?ig gro?er flacher Stein, der als Feuerherd diente und auf dem noch einige rauchende Zweige glimmten.

»Der Bewohner dieser Hutte, bemerkte Valdez, mu? noch kurz vor unserm Eintreffen hier gewesen sein.

- Und kann auch nicht fern sein, setzte Jacques Helloch hinzu, denn jedenfalls ruhrte der Schu? von ihm her.«

Valdez schuttelte den Kopf.

»Diese Indianer haben weder Flinten noch Pistolen. Ein Bogen, Pfeile, eine Sarbacane (Blaserohr), das ist Alles.

- Wir mussen uns aber doch uber die Sache klar werden,« rief Jacques Helloch, der, von neuer Unruhe erfullt, sich fragte, ob hier nicht doch die Quivasbande des gefahrlichen Alfaniz umherschwarmte.

Von welchen Gefahren waren dann die am Pic Maunoir lagernden Passagiere bedroht! Und welch verderbliche Angriffe hatten sie zu befurchten, wenn sie, ohne Fuhrer auf dem Wege nach Santa-Juana, durch dieses Waldgebiet zogen!

Ihre Waffen bereit haltend, traten Jacques Helloch und Valdez aus der Hutte hervor und schlugen, hinter Baumen und Gebuschen immer moglichst versteckt, die Richtung ein, von der her sie den Schu? vernommen hatten.

Die von ihnen eben verlassene Hutte gehorte nicht einmal zu einem Sitio. In ihrer Umgebung war nichts von einer Bearbeitung des Bodens oder von Anpflanzungen zu sehen -keine Gemuse, keine Fruchtbaume, kein Weideplatz fur Nutzthiere.

Jacques Helloch und Valdez drangen, aufmerksam lauschend und scharf umherspahend, langsam weiter vor. Ringsum horten sie keinen andern Laut, als den Schrei von Hoccos und das Pfeifen im Geast sich tummelnder Pavas oder das Rascheln der Zweige im Dickicht, durch das vielleicht ein Raubthier hinschlich.

Schon zwanzig Minuten gingen sie in dieser Art weiter und fragten sich jetzt, ob sie nicht nach der Hutte und von da nach dem Lager zuruckkehren sollten, als ihnen aus geringer Entfernung ein leises Schluchzen zu Ohren drang.

Valdez deutete durch ein Zeichen an, sich niederzuducken, nicht um besser zu horen, sondern um nicht eher gesehen zu werden, als bis der rechte Augenblick zum Hervortreten gekommen ware.

Hinter einem Busche von Zwergflaschenkurbissen lag eine Waldblo?e, die von grellem Sonnenschein beleuchtet war.

Als Valdez die Zweige des Busches etwas auseinander schob, konnte er die Lichtung in ihrem ganzen Umfange ubersehen und bemerkte dabei, da? das Schluchzen von jener Seite her ertonte.

Jacques Helloch, der neben ihm kauernd immer den Finger am Abzug des Gewehres hatte, blickte auch zwischen den Zweigen hindurch.

»Da. sieh da!« sagte endlich Valdez.

So viele Vorsicht, wie Beide beachtet hatten, war, wenigstens in diesem Augenblicke, nicht nothig gewesen. Am andern Ende der Lichtung und am Fu?e einer Palme sah man nur zwei menschliche Gestalten.

Die eine, die eines Mannes, lag regungslos, wie eingeschlafen oder vielmehr, als ob sie hier der Tod ereilt hatte, auf der Erde hingestreckt.

Die andre, die eines halben Kindes, kniete daneben, hob den Kopf des Mannes in die Hohe und lie? jenes Schluchzen vernehmen, dessen Veranlassung nun erkennbar wurde.

Hier lag keine Gefahr vor, sich den beiden Indianern, denn solche waren es, zu nahern, vielmehr erschien es eine Menschenpflicht, ihnen womoglich Hilfe zu bringen.

Sie gehorten nicht zu den - se?haften oder umherschweifenden - Bravos, denen man in den Gebieten des obern Orinoco begegnet. Valdez erkannte ihren Typus vielmehr als den der Banivas, zu denen er selbst zahlte.

Der eine, der, der kein Lebenszeichen von sich gab, schien ein Mann von etwa funfzig, der andre ein Knabe von ungefahr dreizehn Jahren zu sein.

Jacques Helloch und Valdez gingen um den Busch herum und zeigten sich in einer Entfernung von vielleicht zehn Schritten.

Sobald er die beiden Fremdlinge gewahr wurde, sprang der junge Indianer auf die Fu?e. Auf seinen Zugen malte sich der Schrecken. einen Augenblick zogerte er noch, dann, als er zum letztenmale den Kopf des am Fu?e des Stammes liegenden Mannes erhoben hatte, entfloh er, ohne da? die beruhigenden Zeichen des Schiffers Valdez ihn zuruckhielten.

Beide liefen nun auf den Mann zu, beugten sich uber ihn, richteten ihn auf, lauschten auf seine Athmung und legten ihm die Hand auf die Herzgegend.

Das Herz schlug nicht mehr; kein Athemzug kam uber die blutleeren Lippen.

Der Indianer war todt. todt seit kaum einer Viertelstunde. Sein Korper war noch nicht erkaltet und zeigte noch keine Leichenstarre. Unter seinem mit Blut befleckten Guayuco erkannte man, da? eine Kugel seine Brust in der Hohe der Lungen durchbohrt hatte.

Valdez suchte auf dem Boden umher und fand richtig ein Gescho? zwischen dem gerotheten Grase.

Es war eine Revolverkugel von sechsundeinhalb Millimeter Kaliber.

»Das Kaliber der Revolver, die an Bord der »Gallinetta« sind, bemerkte Jacques Helloch, denn die auf der »Moriche« haben ein Kaliber von acht Millimetern. Was bedeutet das? Was sollen wir beginnen?«

Seine Gedanken richteten sich sofort auf Jorres.

»Wir wollen zuerst versuchen, den Knaben zuruckzuholen, fuhr er fort. Er allein kann uns mittheilen, was hier vorgegangen ist, unter welchen Umstanden der Indianer erschossen wurde, und vielleicht auch, wer dessen Morder war.

- Ganz recht, antwortete Valdez, doch wo sollen wir ihn finden, da er aus Angst entflohen ist?

- Sollte er nicht nach der Hutte gelaufen sein?

- Das ist nicht grade wahrscheinlich.«

Es war das gewi? nicht wahrscheinlich, und thatsachlich auch nicht der Fall.

Der junge Indianer hatte sich nur etwa hundert Schritte weit zur Linken von der Waldblo?e entfernt. Hinter einem Baume verborgen, beobachtete er von dort aus die beiden Fremden. Als er sich uberzeugt hatte, da? von ihnen nichts zu furchten sei, und sah, wie sie sich um den Indianer bemuhten, wagte er einige Schritte vorwarts, um sich den Mannern zu nahern.

Valdez bemerkte ihn und erhob sich - da schien das Kind aber aufs neue fluchten zu wollen.

»Reden Sie doch den Knaben an, Valdez,« sagte Jacques Helloch.

Der Schiffer der »Gallinetta« lie? einige Worte in der Indianersprache fallen, um den Knaben zu rufen. Nachdem er ihn dadurch weiter beruhigt hatte, verlangte er, jener solle zu ihnen kommen. Er bat ihn sogar, bei der Wegschaffung des Indianers von hier nach der Hutte behilflich zu sein.

Das Kind schien sich nicht ohne angstliches Zogern zu entscheiden. Dem Ausdruck des Schreckens, der auf seinem Gesichte lag, folgte der des lebhaften Schmerzes, und wieder begann der Knabe kummervoll zu schluchzen.

Nur langsamen Schrittes kam er heran, und als er den todten Korper erreicht hatte, warf er sich unter

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