zuerst Tone erklangen, als waren sie voller Nachtigallen, denen man die Tonleiter zu singen gelehrt hatte, schwarmten zahlreiche Truplais, die besten Sanger des Luftmeers, hervor. Der Leser erinnert sich wohl, da? der Sergeant Martial und Jean einige solche schon gesehen hatten, als sie nach der Ausschiffung aus dem »Simon Bolivar« durch Caicara lustwandelten.
Die Versuchung, mit der Hand eines jener Nester zu fassen, war fur Germain Paterne zu stark, ihr widerstehen zu konnen, doch als er es eben thun wollte, rief Gomo:
»Achtung!. Nehmen Sie sich in Acht!«
In der That sturzte schon ein halbes Dutzend Truplais, ihm nach den Augen hackend, auf den kuhnen Naturforscher zu. Valdez und der junge Indianer mu?ten noch herbeieilen, um seine Angreifer zu verscheuchen.
»Vorsicht, Vorsicht! empfahl ihm Jacques Helloch, hute Dich, nicht als Einaugiger oder Blinder nach Europa zuruckzukommen!«
Germain Paterne lie? sich das fur die Folge auch gesagt sein.
Nicht weniger war es rathsam, unter dem Gebusch zu wuhlen, das am Ufer des Rios uppig wucherte. Das Wort Myriaden enthalt keine Uebertreibung, wenn man es auf die Vertreter des Wurmer- und Schlangengeschlechts anwendet, von denen es im Grase wimmelte. Sie sind ebenso zu furchten wie die Kaimans im Wasser oder langs der Ufer des Orinoco. Wenn diese sich im hei?en Sommer in noch feucht gebliebene Vertiefungen verkriechen und darin bis zur Regenzeit schlafen, bleiben die Schlangen unter der Decke von durren Blattern stets munter. Sie sind immer »auf dem Anstand«, und es wurden auch mehrere gesehen darunter ein zwei Meter langer Trigonocephale, den Valdez zum Gluck zeitig genug bemerkte und verjagen konnte.
Von Tigern, Baren, Oceloten oder andern Raubthieren zeigte sich in der Umgebung nichts. Sehr wahrscheinlich wurde man ihre Stimme aber in der Nacht zu horen bekommen und es daher nothig sein, den Lagerplatz gut zu bewachen.
Bisher waren Jacques Helloch und seine Gefahrten also jeder unliebsamen Begegnung mit gefahrlichen Thieren oder rauberishcen Banden - die noch mehr zu furchten waren als jene - glucklich entgangen. Ohne Jorres oder Alfaniz je erwahnt zu haben, hatten Jacques Helloch und Valdez freilich niemals die sorgsamste Aufmerksamkeit au?er Acht gelassen. Recht haufig entfernte sich der Schiffer der »Gallinetta«, der der kleinen Truppe vorausging, seitwarts zur Linken und streifte unter den Baumen umher, um jede Ueberraschung zu verhuten oder jedem plotzlichen Angriff zuvorzukommen. Hatte er dann, obwohl er zuweilen mehr als einen halben Kilometer in den Wald hineingegangen war, nichts
Verdachtiges bemerkt, so nahm Valdez seinen Platz neben Jacques Helloch wieder ein. Ein Blick, den Beide wechselten, genugte ihnen zur Verstandigung.
Soweit es der schmale, neben dem Rio Torrida verlaufende Pfad gestattete, hielten sich die Reisenden immer moglichst dicht beieinander. Wiederholt wurde es jedoch nothig, unter den Baumen hinzumarschieren, um hohe Felsen oder tiefe Aushohlungen zu umgehen. Der Flu? hielt langs der letzten Vorberge der Sierra Parima immer die Richtung nach Nordosten ein. Am andern Ufer erhob sich der Wald mehr etagenformig und wurde da und dort von einer thurmhohen Palme uberragt. Weit drau?en ragte der Gipfel eines Berges empor, der mit dem orographischen System des Roraima zusammenhangen mu?te.
Jean und Gomo gingen nebeneinander und langs des Ufers hin, das einen fur zwei Personen grade noch genugend breiten Weg bot.
Ihr Gesprach bezog sich immer auf die Mission von Santa-Juana. Der junge Indianer erzahlte sehr ausfuhrlich viele Einzelheiten uber die Grundung des Pater Esperante und uber den glaubenseifrigen Pater selbst. Alles, was diesen Missionar betraf, war ja fur Jean von hochstem Interesse.
»Du kennst ihn doch wohl? fragte er.
- Jawohl, ich kenne ihn und hab' ihn oft genug gesehen. Mein Vater und ich, wir haben uns ein ganzes Jahr in Santa-Juana aufgehalten.
- Vor langerer Zeit?.
- Nein, erst voriges Jahr vor der Regenzeit. Das war nach dem gro?en Ungluck. unser Dorf San-Salvador hatten die Quivas ausgeplundert und zerstort. Damals fluchteten mit uns auch noch andre Indianer nach der Mission.
- Und Ihr seid dort von dem Pater Esperante aufgenommen worden?
- Ja. ach, ein so guter Mann! Er wollte uns uberhaupt dabehalten. Einige sind auch bei ihm geblieben.
- Und warum gingt Ihr dann fort?
- Mein Vater wollte es so. Wir sind Banivas. Er sehnte sich danach, wieder nach den Gebieten unsers Stromes zu kommen. Er hatte als Ruderer auf dem Strome gedient. Ich verstand auch schon mit einer kleinen Pagaie umzugehen. Bereits mit vier Jahren hab' ich mit ihm gerudert.«
Was der Knabe sagte, konnte Jacques und seine Gefahrten nicht verwundern. Aus dem Bericht des franzosischen Reisenden kannten sie die Lebensgewohnheiten der Banivas, dieser besten Bootsleute, die schon seit Jahren zum Katholicismus bekehrt sind und zu den begabtesten und achtbarsten Indianerstammen gehoren. In Folge besonderer Verhaltnisse - und weil Gomos Mutter von einer Sippe im Osten herstammte - hatte sich sein Vater im Dorfe San-Salvador, oberhalb der Quellen des Stromes, angesiedelt. Als er den Beschlu? fa?te, Santa- Juana zu verlassen, gehorchte er einem innern Triebe, der ihn bestimmte, nach den Ilanos zwischen San- Fernando und Caicara zuruckzukehren. Hier wartete er nun auf Arbeitsgelegenheit, auf das Eintreffen von Piroguen, worauf er hatte einen Platz finden konnen, und inzwischen bewohnte er die durftige Hutte in der Sierra Parima.
Was ware wohl nach dem von Jorres verubten Todtschlage aus seinem Kinde geworden, wenn die Falcas nicht genothigt wurden, an der Stelle des Lagers am Pic Maunoir Halt zu machen!
Diese und ahnliche Gedanken beschaftigten Jeanne von Kermor, wahrend sie den Worten des jungen Indianers lauschte. Dann brachte sie das Gesprach auf Santa-Juana, auf den heutigen Zustand der Mission und vorzuglich auf den Pater Esperante. Gomo gab auf alle Fragen eine klare, bestimmte
Antwort. Er beschrieb den spanischen Missionar als einen gro?en, trotz seiner sechzig Jahre kraftstrotzenden Mann - »ein schoner, schoner Mann«, wiederholte er mehrmals - mit wei?em Bart und wie von Feuer leuchtenden Augen, ganz wie ihn Herr Manuel Assomption und der elende Jorres geschildert hatten. In einer Geistesverfassung, die sie jeden Wunsch als verwirklicht betrachten lie?, sah sich Jeanne schon in Santa-Juana angelangt. der Pater Esperante empfing sie mit offenen Armen. gab ihr nach allen Seiten die nothige Auskunft. er sagte ihr, was aus dem Oberst von Kermor nach dessen letztem Auftauchen geworden ware - sie wu?te endlich, wo er nach seinem Weggange von Santa-Juana Zuflucht gesucht hatte.
Um sechs Uhr abends lie? Jacques Helloch, nach glucklich uberwundener zweiter Wegstrecke, Halt machen.
Die Indianer gingen sofort daran, ein Lager fur die Nacht vorzubereiten. Der Ort schien dafur gunstig. Eine tiefe, in das steile Ufer einschneidende Ausbuchtung bildete bis zum Flu?rande ein wirkliches Tonnengewolbe. Ueber den Eingang zu dieser Hohle hingen die Zweige gro?er Baume gleich einem Vorhange herab, der auf die Felswand herniederfiel. Im Innern fand sich auch noch eine kleine Nische, worin das junge Madchen ruhen konnte. Eine dicke Schicht trocknen Grases und durrer Blatter sollte ihr als Lagerstatt dienen, auf der sie aber so gut wie im Deckhause der »Gallinetta« schlummern konnte.
Naturlich wehrte es Jean ab, da? man sich fur ihn solche Muhe machen wollte. Jacques Helloch wollte jedoch auf keine Einwendungen horen und rief die Autoritat des Sergeanten Martial an - da mu?te der Neffe ja dem Onkel Gehorsam leisten.
Germain Paterne und Valdez richteten die Abendmahlzeit her. Der Rio enthielt Fische in erstaunlicher Menge. Gomo todtete einige davon auf Indianerart mit Pfeilen, und diese wurden dann bei ma?igem Feuer, das neben dem Felsen entzundet wurde, schmackhaft gerostet. Mit den Conserven und dem Cassavabrod aus den Sacken der Trager, erkannten die Tischgenossen, die nach funfstundigem Marsche freilich ein reger Appetit unterstutzte, gern an, da? sie noch nie eine so kostliche Mahlzeit verzehrt hatten seit.
»Seit der letzten!« erklarte Germain Paterne, dem jedes Essen vortrefflich mundete, wenn es nur den Hunger stillte.
Nachdem es finster geworden war, sachte Jeder fur sich ein geeignetes Ruheplatzchen, wahrend Jean sich hatte in seiner Nische niederlegen mussen. Der junge Indianer streckte sich dicht vor dem Eingang aus. Da das Lager nicht ohne Ueberwachung bleiben konnte, entschied man sich dahin, da? Valdez im ersten Theile der Nacht mit einem seiner Leute munter bleiben sollte, bis ihn Jacques Helloch fur den zweiten Theil derselben abloste.