Es erschien ja dringend angezeigt, sowohl auf der bewaldeten Seite am Rio, als auch auf dessen andern Ufer jede verdachtige Annaherung rechtzeitig zu entdecken.
Obwohl der Sergeant Martial auch seinen Antheil am Nachtdienste beansprucht hatte, mu?te er sich doch darein fugen, bis zum Morgen ungestort auszuruhen. Fur die nachste Nacht wollte man sein Anerbieten, ebenso wie das Germain Paterne's, gern annehmen. Heute wurden Valdez und Jacques Helloch, wenn sie einander ablosten, schon genugen. Der alte Soldat sachte sich also einen Platz dicht an der Hohlenwand und moglichst nahe dem jungen Madchen aus.
Das Gebrull der Raubthiere und das Geschrei der Heulaffen begann wirklich, sobald es finster geworden war, und sollte vor den ersten Strahlen des Morgenroths auch nicht aufhoren. Die beste Ma?regel, um die Raubthiere vom Lager fern zu halten, bestand ja darin, ein loderndes Feuer anzuzunden und es die Nacht uber zu unterhalten. Das war wohl Allen bekannt, und doch kam man zu dem Entschlusse, davon abzusehen. Wenn die leuchtenden Flammen auch die Thiere des Waldes verscheucht hatten, so konnten sie andrerseits Raubgesindel anlocken - vielleicht die Quivas, wenn diese jetzt in der Umgebung hausten, und es kam doch gerade darauf an, von diesen Mordgesellen unentdeckt zu bleiben.
Au?er Valdez, der nahe dem Ufer Platz genommen hatte, und dem Manne, der mit ihm wachte, war das ganze Lager bald in tiefen Schlaf versunken.
Um Mitternacht traten Jacques Helloch und der zweite Trager an ihre Stelle.
Valdez hatte etwas Verdachtiges weder gesehen noch gehort. Etwas zu horen, ware freilich bei dem Rauschen des Rios, dessen Wasser sich an den Felsblocken in seinem Bette brach, au?erordentlich schwer gewesen.
Jacques Helloch nothigte Valdez, sich nun erst einige Stunden Ruhe zu gonnen, und nahm am Uferrande seinen Platz ein.
Von hier aus konnte er nicht nur den Saum des Waldes, sondern auch das linke Ufer des Torrida im Auge behalten.
So lehnte er sinnend am Fu?e einer machtigen Palme, doch weder seine Gedanken, noch die Empfindungen, die sich in seinem Herzen regten, vermochten ihn zu verhindern, stets strenge Wacht zu halten.
War er das Opfer einer Sinnestauschung? Gegen vier Uhr morgens, als am Horizont der erste bleiche Tagesschimmer heraufstieg, wurde seine Aufmerksamkeit plotzlich durch eine gewisse Bewegung am entgegengesetzten Ufer, das weniger steil abfiel, seltsam erregt. Es kam ihm vor, als ob unerkennbare Gestalten dort zwischen den Baumen umherschlichen. Waren das Thiere. waren es Menschen? Er erhob sich, kroch vorsichtig ganz nach dem Uferrande hin, dem er sich bis auf zwei Meter nahern konnte, und blieb nun, scharf auslugend, still liegen.
Etwas Bestimmtes konnte er auch von hier aus nicht wahrnehmen. Nur da? eine gewisse Unruhe am Rande des Waldes auf der andern Seite herrschte, glaubte er mit Gewi?heit zu bemerken.
Sollte er jetzt Alarm schlagen oder wenigstens Valdez wecken, der nur wenige Schritte von ihm schlummerte?
Er hielt das letztere schlie?lich fur das Beste und ruttelte den Indianer also sanft an der Schulter.
»Schweigt still, Valdez, raunte er ihm mit gedampfter Stimme zu; seht dort nach dem andern Ufer hinuber!«
Valdez, der noch lang ausgestreckt auf der Erde lag, brauchte nur den Kopf nach der angedeuteten Richtung hin zu wenden. Eine Minute lang durchforschte er mit dem Blicke den freieren dunkeln Raum unter den Baumen.
»Ich tausche mich nicht, sagte er endlich, dort schleichen drei bis vier Manner langs des Ufers umher.
- Was sollen wir da thun?
- Jedenfalls niemand wecken. an dieser Stelle ist es unmoglich, den Flu? zu uberschreiten. und wenn sich nicht weiter oben eine Furt findet.
- Doch auf der andern Seite, unterbrach ihn Jacques Helloch nach dem Wald hinweisend, der sich in nordostlicher Richtung fortsetzte.
- Dort hab' ich nichts gesehen und sehe auch jetzt nichts, erklarte Valdez, der sich umgedreht hatte, ohne aufzustehen. Vielleicht handelt es sich druben nur um wenige Bravos-Indianer.
- Was sollten diese aber in der Nacht hier am Ufer zu suchen haben?. Nein, nein, meiner Ansicht nach ist unser Lager aufgespurt worden, und da, sehen Sie, Valdez, dort versucht einer der Manner bis zum Rio selbst hinunter zu klettern.
- Wahrhaftig, murmelte Valdez, das ist auch kein Indianer. man erkennt es schon aus seinem Gang!«
Die ersten Lichtstrahlen, die vorher nur die entfernten Gipfel am Horizont getroffen hatten, drangen jetzt bis zum Bett des Torrida herein. Valdez konnte den Mann, den er am andern Ufer gesehen hatte, also mit Bestimmtheit erkennen.
»Das ist einer von den Quivas, die Alfaniz anfuhrt. sagte Jacques Helloch.
Sie allein haben Interesse daran, auszukundschaften, ob wir von allen Mannschaften der Piroguen begleitet werden oder nicht.
- Das erstere ware freilich besser gewesen, meinte der Schiffer der »Gallinetta«.
- Gewi?, Valdez, leider konnen wir nicht Verstarkung vom Orinoco herholen. Nein, sind wir einmal entdeckt, so konnen wir keinen Mann mehr nach dem Lager entsenden. Wir wurden doch angegriffen, ehe die Hilfe eintrafe.«
Da fa?te Valdez lebhaft den Arm Jacques Helloch's, der sofort schwieg. Die Ufer des Torrida lagen jetzt in etwas hellerer Beleuchtung, wahrend die Ausbuchtung, in deren Hintergrund Jean, Gomo, der Sergeant Martial, Germain Paterne und der zweite Trager schliefen, noch ziemlich in Dunkel gehullt war.
»Ich glaube. begann da Valdez. ja, ich kann es erkennen. meine Augen sind gut. sie konnen mich nicht tauschen. ich erkenne den Mann dort. das ist der Spanier.
- Jorres!.
- Gewi?. er selbst.
- Nun, es soll niemand sagen, da? ich den elenden Schuft habe entkommen lassen!«
Jacques Helloch hatte bereits das neben ihm am Felsen lehnende Gewehr ergriffen und hob es rasch zur Schulter empor.
»Nein. nein.! wehrte ihm Valdez. Da ware doch nur einer weniger, und unter den Baumen verstecken sich vielleicht Hunderte. Uebrigens konnen sie jetzt unmoglich uber den Rio kommen.
- Hier nicht, doch vielleicht weiter oben. Wer wei? das?«
Jacques Helloch fugte sich inde? dem Rathe, den Valdez ihm ertheilte, umsomehr, als der Schiffer der »Gallinetta« bisher immer das Richtige getroffen und uberhaupt die merkwurdige Schlauheit und kluge Vorsicht der Banivas gezeigt hatte.
Jorres ubrigens - wenn er es wirklich war - hatte sich bei dem Versuche, das Lager genauer in Augenschein zu nehmen, ja der Gefahr ausgesetzt, selbst sicher erkannt zu werden. So zog er sich denn unter die Baume in dem Augenblicke zuruck, wo der nahe dem Torrida stehende Bootsmann einige Schritte vorwarts ging, als ob er etwas Auffalliges bemerkt hatte.
Weder Jorres, noch irgend ein Andrer wurden am entgegengesetzten Ufer nochmals sichtbar. Nichts bewegte sich am Rande des Waldes, der nach und nach heller beleuchtet wurde.
Bei dem zunehmenden Tageslichte hatte der Spanier - immer vorausgesetzt, da? sich Valdez nicht geirrt hatte -wahrscheinlich erkennen konnen, da? nur zwei von den Mannschaften die Passagiere der Piroguen begleiteten, so da? er die Ueberzeugung gewann, da? die kleine Truppe ihm auf jeden Fall nicht gewachsen war. Wie sollte nun die Wanderung unter so unzureichender Sicherheit fortgesetzt werden? Die Gesellschaft war entdeckt. war ausspioniert worden. Jorres hatte Jacques Helloch und seine Begleiter auf dem Wege nach der Mission Santa-Juana angetroffen und wurde ihre Spur jetzt nicht wieder verlieren.
Das erzeugte schwere Bedenken, noch ernster war es jedoch zu nehmen, da? der Spanier jedenfalls wieder zu der Quivasbande gesto?en war, die hier in der Umgebung unter der Fuhrung des Straflings Alfaniz hauste.