zahlte.
In Caracas war es, wo sich der Pater Esperante dafur entschied, seinen Aufenthalt in den fast unbekannten Gebieten des sudlichen Venezuela zu wahlen, wohin Missionare nur sehr selten vordrangen. Eine ganze Menge eingeborner Stamme hatten wohl noch nie etwas von der veredelnden Lehre des Christenthums gehort oder waren wenigstens trotzdem Wilde geblieben wie vorher. Diese aufzusuchen bis zu den Landstrichen, die schon an Brasilien grenzten, das war die Aufgabe, zu der sich der franzosische Missionar berufen fuhlte, und ohne da? jemand von seinem fruhern Beruf das Geringste ahnte, brach er zu Anfang des Jahres 1879 dahin auf.
Nachdem er den Mittellauf des Orinoco hinausgefahren war, kam der Pater Esperante, der nun das Spanische wie seine Muttersprache beherrschte, nach San-Fernando, wo er sich einige Monate aufhielt. Von diesem Orte aus richtete er einen Brief an einen seiner Freunde, einen Notar in Nantes. Diesen Brief - den letzten, den er mit seinem wahren Namen unterzeichnete und der nur die Ordnung einer Familienangelegenheit betraf - bat er den Empfanger geheim zu halten.
Hier mu? daran erinnert werden, da? dieser in den hinterlassenen Papieren des Notars vorgefundene Brief dem
Sergeanten Martial erst 1891, als Jeanne schon fast sechs Jahre bei ihm lebte, in die Hand gekommen war.
Dank seinen personlichen Hilfsmitteln konnte sich der Pater Esperante in San-Fernando Alles beschaffen, was ihm zur Errichtung einer Station jenseits der Quellen des Stromes nothig war. In demselben Orte nahm er auch den Bruder Angelos in seine Dienste, der, schon vertraut mit den Sitten der Indianer, sich ihm ebenso nutzlich, wie fur die edle Aufgabe begeistert erweisen sollte.
Der Bruder Angelos lenkte die Aufmerksamkeit des Pater Esperante auf die Guaharibos, die zum gro?ten Theile an den Ufern des obern Orinoco und in der Nachbarschaft der Sierra Parima umherzogen. Grade diese Indianer zu bekehren, war eine That warmen Mitgefuhls, denn man zahlte sie zu den verwildertsten Eingebornen Venezuelas. Die Guaharibos standen ja, wie erwahnt, in dem Rufe von Raubern, Mordern und Menschenfressern, ein Leumund, den sie wenigstens in diesem Grade keineswegs verdienten.
Das war aber nicht dazu angethan, einen so entschlossenen Mann wie den ehemaligen Oberst von Kermor zuruckzuschrecken, und er blieb bei dem Vorsatze, eine Mission im Norden des Roraima zu begrunden und die Eingebornen der Umgegend um sich zu sammeln.
Der Pater Esperante und der Bruder Angelos verlie?en San-Fernando in zwei Piroguen, die mit allem fur ihre erste Einrichtung unentbehrlichen Material beladen waren. Das Weitere sollte je nach Bedarf zur kleinen Colonie nachgesendet werden. Die Falcas segelten also den Strom hinauf, legten dabei bei den bedeutenderen Ortschaften und den Ranchos am Ufer an und erreichten glucklich den Rio Torrida im Gebiete der Guaharibos.
Nach vielen fruchtlosen Versuchen, zwecklosen Bemuhungen und mancherlei Fahrlichkeiten gelang es dem
Pater Esperante durch seine Gute und Hochherzigkeit doch schlie?lich, die Indianer zu sich heranzuziehen. Auf der Landkarte gab das bald ein neues Dorf, dem der Missionar den Namen Santa-Juana beilegte. Juana, den Namen, der der seines Tochterchens gewesen war.
So vergingen vierzehn Jahre. Die Mission bluhte empor - der Leser wei?, unter welchen Verhaltnissen. Es hatte schon den Anschein, da? den Pater Esperante nichts wieder mit seiner schmerzlichen Vergangenheit verknupfen sollte, als sich die Vorgange abspielten, die den Inhalt dieser Erzahlung bilden.
Nach der Erklarung des Sergeanten Martial hatte der Oberst Jeanne in seine Arme gepre?t, und seine stromenden Freudenthranen glichen einer Taufe, mit der er die Stirn seines Kindes benetzte. Mit kurzen Worten berichtete das junge Madchen ihm uber ihren Lebenslauf, ihre Rettung an Bord des »Vigo«, uber ihren Aufenthalt bei der Famlie Eridia in Havana und ihre Ruckkehr nach Frankreich, ferner uber den Entschlu?, den sie gefa?t hatte, sobald ihr und dem Sergeanten Martial sein in San-Fernando aufgegebener Brief ubermittelt worden war. Dann schilderte sie ihre Reise nach Venezuela, die sie als junger Mann verkleidet und unter dem Namen Jean antrat, die Fahrt auf dem Orinoco, den Ueberfall durch den schurkischen Alfaniz und seine Quivas an der Furt von Frascaes und endlich die jetzige, so wunderbare Rettung.
Darauf begaben sich Beide nach dem Wagen zu dem alten Soldaten. Der Sergeant Martial fuhlte sich wie neugeboren. er »strahlte«, wie man zu sagen pflegt, doch er weinte gleichzeitig, und immer und immer wieder sagte er:
»Mein Oberst. mein Oberst! Nun unsre Jeanne ihren Vater wiedergefunden hat, kann ich getrost sterben.
- Das verbiete ich Dir strengstens, alter Kriegskamerad!
- Ja, wenn Sie mir's freilich verbieten.
- Naturlich. Wir werden Dich pflegen, Dich wiederherstellen.
- O, wenn Sie mich pflegen, dann sterb' ich nicht. gewi? noch nicht!
- Du bedarfst aber dringend der Ruhe.
- Die wird mir nicht fehlen, Herr Oberst. Schon kommt der Schlaf wieder uber mich, und diesmal wird es ein guter, starkender Schlaf werden.
- Immer schlaf' Du, mein alter Freund, schlafe nur!. Wir kehren nach Santa-Juana zuruck. Die Fahrt dahin wird Dir keine Beschwerden machen, und in wenigen Tagen bist Du wieder auf den Fu?en.«
Der Oberst von Kermor hatte sich uber das Lager des Verletzten gebeugt, hatte die Lippen auf die Stirn des Sergeanten Martial gedruckt, und sein alter Freund war dabei lachelnd eingeschlummert.
»Mein Herzensvater, rief Jeanne, wir werden ihn doch wohl retten?
- Mit Gottes Hilfe, ja, meine geliebte Jeanne!« antwortete der Missionar.
Germain und er hatten schon vorher die Verwundung des Sergeanten Martial genau untersucht, und sie glaubten, da? diese keine todliche Folge haben werde.
Spater erfuhr man auch, da? es der verruchte Alfaniz gewesen war, der auf den alten Soldaten in dem Augenblicke geschossen hatte, wo dieser sich in einem Anfall von Wuth auf ihn gesturzt hatte.
Der Pater Esperante sagte dann:
»Heute mogen meine wackern Indianer ausruhen und Ihre Gefahrten, Herr Helloch, ebenfalls, denn Alle bedurfen einer grundlichen Erholung. Morgen schlagen wir den kurzesten Weg nach der Mission wieder ein, wobei uns Gomo fuhren wird.
- O, diesem muthigen Kinde verdanken wir im Grunde unsre Rettung, bemerkte Jeanne.
- Ja, ich wei? es,« antwortete der Pater Esperante.
Darauf rief er den jungen Indianer herbei.
»Komm hierher, Gomo, komm zu mir!. Ich umarme Dich im Namen Aller, die Du gerettet hast!«
Und nachdem er aus den Armen des Pater Esperante freigekommen war, umschlangen ihn noch die Jeannes, die er in seiner Verwirrung immer noch: Mein Freund Jean! nannte.
Da das junge Madchen die seit Beginn der Reise getragene Mannerkleidung, wie wir wissen, noch nicht abgelegt hatte, fragte sie der Pater, ob ihre Begleiter wohl wu?ten, da? Jean von Kermor eigentlich Jeanne von Kermor ware. Daruber sollte er bald genug Aufklarung erhalten.
Als er nun Jacques Helloch und Germain Paterne, sowie Parchal und Valdez, den beiden Schiffern, deren opferfreudige Dienstwilligkeit sich im Verlaufe der langen und beschwerlichen Fahrt stets bewahrte, dankend die Hand gedruckt hatte, nahm Jeanne von Kermor das Wort.
»Ich mu? Dir sogleich mittheilen, liebster Vater, was ich unsern beiden Landsleuten Alles zu danken habe - ach, so viel, da? ich es in meinem Leben nicht wieder gut machen kann.
- Mein Fraulein, fiel da Jacques Helloch ein, ich bitte Sie. ich habe ja gar nichts fur Sie gethan!
- Lassen Sie mich ausreden, Herr Helloch..
- Sprechen Sie aber nur von Jacques, nicht von mir, Fraulein von Kermor, rief Germain Paterne lachend, ich verdiene uberhaupt keinen Dank.
- Ich bin Ihnen Beiden tief verpflichtet, liebe Reisegefahrten, fuhr Jeanne fort, ja wohl, Beiden, mein theurer Vater. Wenn Herr Helloch mir das Leben gerettet hat.
- Sie haben meinem Kinde das Leben gerettet?« rief der Oberst von Kermor.
Jacques Helloch mu?te es sich nun wohl oder ubel gefallen lassen, den Bericht mit anzuhoren, den Jeanne uber den Schiffbruch der Piroguen kurz vor San-Fernando erstattete, und wie sie dabei, dank seinem Opfermuthe, dem Tode entgangen sei.
Weiter setzte das junge Madchen dann hinzu: